“Seid Träumer, aber keine Schlafmützen”

Papst Franziskus in Morelia: Eucharistiefeier mit Priestern, Ordensleute und Seminaristen, ein Abstecher in die Kathedrale und Treffen mit der Jugend

Christus und die ApostelQuelle
Vatikan: Begegnung mit den Jugendlichen
KathTube: Papst Franziskus in Mexiko: Messe mit Priestern, Ordensleuten, Personen des geweihten Lebens und Seminaristen: Wider die Versuchung der Resignation
KathTube: Papst Franziskus trifft in der Kathedrale von Morelia/Mexiko Erstkommunionkinder: Betet für die, mit denen Ihr gestritten habt!

Von Josef Bordat

Die Tagespost, 17. Februar 2016

Am Dienstag gab es für Papst Franziskus in Morelia, der Hauptstadt des mexikanischen Bundesstaates Michoacán, die rund 200 Kilometer westlich von Mexiko-Stadt entfernt liegt, drei Programmpunkte: Am Vormittag feierte der Papst mit Priestern, Ordensleuten und Seminaristen eine heilige Messe, am Nachmittag besuchte er zunächst die barocke Kathedrale Las Monjas, Sitz des Erzbischofs Alberto Suárez Inda, den Franziskus vor einem Jahr zum Kardinal erhoben hat. Danach stand eine Begegnung mit Jugendlichen im Stadion „José María Morelos y Pavón“ auf der Agenda.

Wenn Franziskus zu Klerikern spricht, zu Bischöfen zumal, ist schnell Schluss mit Gemeinplätzen und Floskeln. Der Papst neigt zu plastischer Sprache mit kräftigen Metaphern und liest den Hirten gern ausführlich die Leviten. Bereits am Samstag hatte er bei der Begegnung mit dem mexikanischen Episkopat Tacheles geredet und Mut eingefordert im geistlichen Kampf gegen Korruption, Gewalt und Drogen. Die Bischöfe seien keine Fürsten, sondern Boten des Evangeliums. Die vierte Eucharistiefeier der Mexikoreise, die im vollbesetzten Stadion „Venustiano Carranza“, wurde daher mit Spannung erwartet.

In seiner kurzen bewegenden Predigt nahm der Heilige Vater das Thema des Evangeliums auf: das Gebet. Beten und Leben, so Franziskus, seien wechselweise aufeinander bezogen. Das Geheimnis des Lebens Jesu erschliesst sich über die Art und Weise, wie Christus uns zu beten lehrte – „Vater unser“. Die erste und wichtigste Berufung des geistlichen Lebens sei daher die Erfahrung des barmherzigen Vaters. An die Adresse der Seminaristen, Priester, Bischöfe und Ordensleute sagte Franziskus: „Wehe uns, wenn wir nicht das Leben Jesu teilen.“ Kleriker seien keine Funktionäre des Göttlichen, keine Angestellten Gottes, sondern Menschen, die den Gläubigen das vermitteln sollen, was ihren priesterlichen Dienst ausmacht: Teilhabe am Leben Gottes.

Auch das Thema des Sonntagsevangeliums klang noch einmal an: Versuchung. Franziskus legt den Finger in die Wunde und nennt die Resignation als die erschütterndste Versuchung für die Geistlichkeit. Resignation lähme den Kampf gegen die Widerstände in Staat, Gesellschaft und Kirche, lasse die priesterliche Kernaufgabe der Verkündigung zu gross erscheinen und nehme die Freude am Lobpreis Gottes. Am Ende stehe der „Rückzug in die Sakristei“. Den gelte es zu verhindern, ebenso wie den „Verlust an Erinnerung“, denn die Geschichte Mexikos mahne auch heute. Die Vorfahren derer, die heute als Priester und Ordensleute wirken, dürfen nicht vergessen werden, so Papst Franziskus.

In der Tat: Das bunte Bild der im Stadion versammelten Geistlichkeit darf nicht aus dem Bewusstsein verdrängen, dass vor rund einem Jahrhundert die Mexikanische Revolution eine brutale Verfolgung der katholischen Kirche einleitete, in deren Verlauf die Zahl der Priester im Land um über neunzig Prozent schrumpfte – Hunderte wurden ermordet und Tausende mussten fliehen. Zugleich gilt der Appell, in die Geschichte zu blicken, auch der leidvollen Kolonialvergangenheit Mexikos. Nachdem der Heilige Vater gestern an Bartolomé de Las Casas, den ersten Bischof von Chiapas und Apostel der Indios, erinnerte – in der Stadt, die dessen Namen trägt –, würdigte er heute das Wirken seines Zeitgenossen Vasco de Quirogas, des ersten Bischofs von Michoacán. Die Messe zelebrierte er mit dessen Bischofsstab und benutzte als Zeichen besonderer Wertschätzung dessen Kelch und Patene. Vasco de Quirogas erhielt von den Indios den Beinamen „Tata“ – Vater. Hier schliesst sich der Kreis zum Gebet des Herrn, das an den göttlichen Vater gerichtet ist.

Am Nachmittag ging es in die Kathedrale. Der Mahner und Warner aus dem Vatikan klatscht beim Einzug die Kinder in der ersten Reihe ab wie ein Fussballstar. Dazu Sprechchöre wie im Stadion: „Man merkt und spürt es: Der Papst ist da.“ Zum Auszug ertönt die Ode „An die Freude“. Den Weg des Pontifex säumen bei strahlendem Sonnenschein die Gläubigen in mehreren Reihen, die Smartphones und Kameras fest auf das Papamobil gerichtet. Franziskus ist dort, wo er auftaucht, von Rummel und Betriebsamkeit umgeben. Doch bei ihm hat man den Eindruck, dies stehe nicht im Kontrast zur Botschaft der Demut, die er zu verkünden hat. Der Papst geht souverän mit den Menschen um, wirkt fokussiert. Franziskus geht auf die Menschen ein, ohne in der Ehrerbietung aufzugehen.

Im Stadion, das nach José María Morelos y Pavón benannt ist, einem Priester und Wegbereiter der Unabhängigkeit, wartet die Jugend Mexikos. Bereits am Samstag hatte Papst Franziskus bei der Begegnung mit Vertretern von Staat und Regierung sowie Vertretern des öffentlichen Lebens und der Zivilgesellschaft gesagt, der „grösste Reichtum Mexikos“ habe heute „ein junges Gesicht“; „ja, es sind die jungen Menschen“. Franziskus erinnerte daran, dass etwas mehr als die Hälfte der mexikanischen Bevölkerung Kinder und Jugendliche sind. Mit dieser Hälfte, die in seinen Augen zugleich den Reichtum des Landes bedeutet, kam der Heilige Vater nun ins Gespräch.

Jugendliche aus verschiedenen Teilen Mexikos stellen dem Papst ihre Themen vor: Arbeitslosigkeit, Abhängigkeiten verschiedenster Prägung – nicht nur Drogen, sondern auch die Sozialen Medien werden erwähnt –, der zunehmende Individualismus in der Gesellschaft, die Angst vor dem wirtschaftlichen Absturz. Doch sie sprechen auch von ihrer Hoffnung auf Jesus Christus – und auf Franziskus, den sie als Lateinamerikaner ansprechen – als einen der ihren. „In dir sehen wir die Kirche, an die wir wirklich glauben können“, heisst es. Und: „Du bist der Spiegel der Freude des Evangeliums“.

Franziskus antwortet gut gelaunt und nimmt die Begeisterung der jungen Menschen auf, die immer wieder in euphorischen Jubel ausbrechen. Der Papst wiederholt sein Bild vom Reichtum und vertieft es, indem er darauf hinweist, dass Bodenschätze und Mineralien wertvoll sind, aber – um der Menschheit Nutzen bringen zu können – gefördert werden müssen. Der Reichtum liege in der Person. Er entfalte sich in einer Gemeinschaft, in der die Person Wertschätzung erfahre. Allerdings sei es – so räumt der Pontifex ein – schwer, sich reich zu fühlen inmitten von Kriminalität und Drogen, angesichts des Mangels an Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten, ohne eine menschenwürdige Arbeit, eingedenk falscher Versprechungen. Es brauche in diesem Umfeld den „Zauber eines gemeinsamen Traums“. Franziskus nutzt die Chance für ein Sprachspiel: „Seid Träumer, aber keine Schlafmützen!“

Franziskus greift sodann das Thema Hoffnung auf und nennt zwei Bedrohungen dieser christlichen Tugend: das Minderwertigkeitsgefühl und den Materialismus. Das Wort der Hoffnung, um das ihn die Jugendlichen gebeten haben, werde er ihnen gerne geben, so Franziskus. Es laute: Jesus Christus. Er ist die Basis, an seiner Hand zu gehen gibt Sicherheit und er hilft auf, wenn wir fallen. Franziskus ermutigt und ermahnt die jungen Menschen, sich nicht ausschliessen, herabwürdigen, wie eine Ware behandeln zu lassen. Die Erfahrung der Liebe Gottes verhelfe, aufrecht durchs Leben zu gehen, unabhängig von materiellen Umständen: „Ohne Auto, aber mit Würde!“ Der weltliche Ort dieser Erfahrung sei die Familie: „Lasst die Familie nicht im Stich!“

Die Jugendlichen jubeln. Während weisse Ballons aufsteigen, singen sie eines der Lieblingslieder des Heiligen Vaters, der kräftig mitsingt. Die „Jugend des Papstes“ hat den richtigen Ton getroffen. Schliesslich folgt ein liturgischer Teil mit Fürbitten und der Segnung der Missionskreuze, die von den Jugendlichen in ihre Diözesen gebracht werden. Eine farbenfrohe Tanz- und Musikdarbietung in Weltjugendtagsformat beschliesst das Treffen, das der Papst mit seiner Ansprache unter das Leitmotiv „Reichtum, Hoffnung, Würde“ gestellt hat.

Gegen halb sieben am Abend ging es für Franziskus zurück nach Mexiko-Stadt, wo er für die Dauer der Reise in der Nuntiatur wohnt und hoffentlich eine gute Nacht hatte. Am nächsten Morgen ging es nämlich weiter in die Ciudad Juárez, in die gefährlichste Stadt der Welt; alle drei Stunden wird hier – statistisch betrachtet – ein Mensch ermordet. Dort stand vor dem Rückflug nach Rom unter anderem eine Begegnung mit Strafgefangenen auf der Tagesordnung.

Es bleibt wohl ein Prinzip seines Pontifikats: Papst Franziskus fordert nicht nur Kirche und Gesellschaft, Bischöfe und Spitzenpolitiker heraus, er macht es sich auch selbst nicht leicht.

 

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