Welche Heiligen Vorbild für jedermann sein können

Der Priester Peter von Steinitz hat ein Buch über Katharina von Alexandria geschrieben. Er glaubt: Die Heilige, die Flüchtlinge aufnahm, kann auch heute noch Vorbild sein – und viele andere auch

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Peter von Steinitz verfasste einen Roman über die Heilige Katharina von Alexandria

Seit Jahren spaziert Peter von Steinitz donnerstags in den Dom zu Münster. Dort setzt er sich – die violette Stola um den Hals – in den Beichtstuhl und wartet auf Kundschaft. Direkt über ihm prangt eine gotische Statue. Sie zeigt die Heilige Katharina von Alexandria. Wann immer der Priester an der Skulptur vorbeigeht, schiesst ihm durch den Kopf, man sehe dieser “schönen jungen Frau an, dass sie weiss, was sie will”. Aber was genau wollte sie eigentlich? Mit den Jahren drängte es ihn, das herauszufinden. Immerhin war sie im Mittelalter die nach Maria am meisten verehrte Heilige Europas. Nun ist Peter von Steinitz’ Lebensgeschichte der Katharina von Alexandria als Roman erschienen. Der Experte ist sich sicher, dass Katharina auch heutige Zeitgenossen inspirieren kann – trotz aller Skepsis gegenüber Heiligenverehrung.

Welt am Sonntag: Herr von Steinitz, die Verehrung von Heiligen wirkt auf manche Zeitgenossen so seriös wie Bachblüten-Therapie. Wird sie eines Tages als eine esoterische Technik neben vielen anderen gelten?

Peter von Steinitz: Das glaube ich nicht. Es gibt einen grossen Unterschied zwischen Bachblüten und Heiligenverehrung. Zunächst schon zeitlich: Bachblüten hat bis vor ein paar Jahren niemand gekannt, die Heiligen sind seit 2000 Jahren im Gespräch. Wenn das “esoterisch” ist, liegt das nicht an der Sache, sondern an den heutigen Menschen. Aber auch die feiern alljährlich noch die Taten zweier Heiliger: die Taten von Martin und Nikolaus.

Welt am Sonntag: Aber deren katholische Bedeutung als Fürsprecher bei Gott spielt auf den meisten Martins- und Nikolausfeiern keine Rolle.

von Steinitz: Kommt darauf an. Für Nichtkatholiken sind sie Vorbilder, nicht mehr. Viele Katholiken pflegen dagegen noch immer eine reale Beziehung zu den Heiligen – weil diese in der Ewigkeit leben, uns hören und für uns Fürsprache bei Gott einlegen.

Welt am Sonntag: Da wird Ihnen nicht jeder folgen. Finden Sie die Distanz gegenüber der Heiligenverehrung nicht auch verständlich? Wenn Knochen der Heiligen in Kirchen ausgestellt werden, damit man sie verehrt – dann wirkt das auf viele befremdlich.

von Steinitz: Ja, das kann ich bis zu einem gewissen Grad nachempfinden, aber die Verehrung der Heiligen geht auch ohne Reliquienkult. Reliquien sind nur ein möglicher Ansatzpunkt, um sich Heiligen zu nähern. Ganz wichtig scheint mir jedoch die Vorbildfunktion der Heiligen.

Welt am Sonntag: Da bedienen sie noch immer ein tiefes Bedürfnis?

von Steinitz: Allerdings, selbst wenn man das Übernatürliche unbeachtet lässt, hat die Heiligenverehrung einen Sinn, insofern als alle Menschen Vorbilder für das eigene Leben suchen. Dabei kommt es natürlich darauf an, wen man als Vorbild ansieht. Mahatma Gandhi oder Eros Ramazotti – das macht einen Unterschied. Manche Heilige eignen sich allerdings nicht so gut als Vorbilder. Wer kann schon einen König Stephan von Ungarn nachahmen oder wer könnte sich an Johanna von Orléans orientieren?

Welt am Sonntag: Johanna hat die Engländer aus Frankreich geprügelt, soweit bekannt. Aber was hat dieser Stephan noch gleich geleistet?

von Steinitz: Er hat sein Volk zum Christentum geführt und wurde daraufhin zum König gekrönt. Das lässt sich schwer nachahmen. Ein gutes Vorbild für jedermann sind dagegen die Helden der Nächstenliebe wie die heilige Elisabeth von Thüringen oder Mutter Teresa.

Welt am Sonntag: Mutter Teresas Wirken ist gut dokumentiert – anders als das der meisten Heiligen früherer Zeiten. Was nutzt die Legende von einem Meister der Caritas, wenn die Geschichte weitgehend ausgedacht ist?

von Steinitz: Die Legenden sind im Ton oft übertrieben, sie klingen häufig frömmelnd oder unwahrscheinlich, andererseits haben sie fast immer einen wahren Kern. Und manchmal ist die Legende auch nur scheinbar falsch. Bei näherem Hinsehen entdeckt man, wie sie durchaus realistisch die Fakten so darstellt, dass ein sehr einfaches Publikum sie versteht.

Welt am Sonntag: Also sind Heiligengeschichten nur etwas für Ungebildete?

von Steinitz: Natürlich nicht. In ihrer tiefsten Bedeutung sind Heilige etwas für jeden Christen, vom Hochschullehrer bis zum Kindergartenkind, weil sie dokumentieren, wie bunt und individuell die Nachfolge Christi aussehen kann. Das hat mich beim Studium der Heiligen immer schon fasziniert: Jeder Heilige wird “ein anderer Christus”, wie Paulus das nennt, also eine ganz individuelle Variante Christi. Und dennoch sind die Heiligen untereinander extrem verschieden!

Welt am Sonntag: Und was ist ihnen allen gemein?

von Steinitz: Ein Heiliger ist eine vollendete Persönlichkeit. Und das kann jeder von uns sein. Gott liebt die Menschen so sehr, dass er sich für jeden eine vollkommene Entfaltung seiner Persönlichkeit und all seiner Anlagen ausgedacht hat, was er uns aber nicht sagt, damit wir nicht unsere Freiheit verlieren. Wenn wir mit ihm konform gehen und beten “Dein Wille geschehe!”, dann entfaltet sich auch bei uns dieser ideale Lebenslauf, wie die Heiligen es vorgelebt haben.

Welt am Sonntag: Können Sie das an Ihrer Katharina veranschaulichen?

von Steinitz: Sie hat vorbildlich die uns allen gemeinsame Neigung zum Bösen zurückgedrängt und die zum Guten gestärkt. Sie hat Flüchtlinge aufgenommen, sich für diese aufgeopfert, verfolgten Christen geholfen und sich am Ende lieber köpfen lassen als ihrem Glauben abzuschwören. Ganz besonders könnte sie aber für junge Frauen von heute Vorbild sein.

Welt am Sonntag: Wieso? Machte sie Karriere?

von Steinitz: Na ja, sie war so etwas wie eine Feministin, wenn man darunter eine Frau versteht, die sich in einer Männerwelt nicht nur behauptet, sondern den Männern zeigt, wo es langgeht. Sie ist attraktiv, intelligent und willensstark, aber das alles gepaart mit einer Souveränität, die sich nicht nur aus ihrem Glauben herleitet, sondern aus ihrer bewussten Jungfräulichkeit um Christi willen, die sie nie infrage stellt.

Welt am Sonntag: Mit einem Loblied auf Jungfräulichkeit kommt man vermutlich nicht weit auf dem Buchmarkt.

von Steinitz: Das unterscheidet uns von der Spätantike, in der Katharina lebte. Beim Studium der römischen Spätantike ist mir aufgegangen, dass die damaligen Heiden in der Jungfräulichkeit durchaus einen Wert sahen. Zumindest offiziell glaubten sie, dass die Vestalinnen, also die jungfräulichen Priesterinnen der Göttin Vesta, durch ihr bloßes Dasein als Jungfrauen den Staat trugen und seine Fortexistenz sicherten. Eine Vestalin hatte sogar vor dem Kaiser den Vortritt.

Welt am Sonntag: Sie tauchen in Ihren Heiligengeschichten gerne in die Spätantike ein.

von Steinitz: Gegenwartsherausforderungen lassen sich oft klarer erkennen, wenn man sie räumlich und zeitlich in der Ferne ansiedelt. Und neben den Unterschieden gibt es auch eine ganze Menge Parallelen zwischen damals und heute.

Welt am Sonntag: Zum Beispiel die religiöse Vielfalt?

von Steinitz: In der Tat. In Alexandria, wo Katharina lebte, wohnten Ägypter, Griechen, Römer, Phönizier und Juden. Und außer dem Christentum gab es viele andere Religionen, die dem überkommenen Heidentum Konkurrenz machten. Dieser religiöse und kulturelle Pluralismus war schon damals eine Herausforderung.

Welt am Sonntag: Schon Katharina musste mit der Vielfalt der Weltbilder ringen?

von Steinitz: Allerdings, Alexandria war ein Zentrum verschiedenster Weltanschauungen, von den altägyptischen Mysterien bis zur Gnosis. In dieser Hinsicht war Katharina gewissermaßen eine Heilige der Postmoderne. Aber all diese durchaus tiefen Weisheitslehren konnten Katharina letztlich nicht in ihren Bann schlagen – ihre glühende Liebe zu Christus war stärker. Das gefällt mir am besten an ihr.

Peter von Steinitz: “Katharina von Ägypten”, 2014, 14,90 Euro

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