Initiator der Versöhnung

In wenigen Tagen gedenkt die Weltkirche des hl. Maximilian Kolbe:

Hl. Maximilian KolbeHl. Maximilian Kolbe

Ein grosser Heiliger, der für den Dialog zwischen Deutschen und Polen eine wichtige Bedeutung hatte und hat – gerade auch im Zusammenhang mit dem Briefwechsel der Bischöfe vor 50 Jahren.

Von Erzbischof Ludwig Schick

Die Tagespost 07. August 2015

Am 14. August wird der Gedenktag des hl. Maximilian Kolbe gefeiert – jedes Jahres, in der ganzen katholischen Kirche, vor allem aber in Auschwitz (poln. Oœwiêcim). Von der Maximilian-Kolbe-Pfarreikirche in der Innenstadt des Ortes zieht dann eine grosse Prozession mit Bischöfen, Priestern, Ordensleuten und Laien zum berühmt-berüchtigten Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, dem grössten Vernichtungslager der Nazis, in dem über eine Million Menschen umgebracht wurden. Darunter auch Maximilian Kolbe, der polnische Franziskaner-Minorit, Verleger und Publizist, der am 8. Januar 1894 in dem bei Lodz gelegenen Ort Zduñska Wola zur Welt kam und trotz angegriffener Gesundheit alles tat, um für die Immaculata, die unbefleckt Empfangene Jungfrau Maria, die Welt zu erobern.

Die Gläubigen legen in Erinnerung an ihn einen ungefähr fünf Kilometer langen Weg betend und singend zurück und ziehen dann durch das Eingangstor, das die makabere Aufschrift “Arbeit macht frei” trägt, ins Konzentrationslager ein, das heute eine Gedenkstätte ist.

Dort macht die Prozession einen ersten Halt an dem Platz, wo sich Maximilian Kolbe anbot, als Ersatz für einen Mithäftling im Hungerbunker zu sterben. An dieser Stelle wird ein Blumenstrauss niedergelegt. An der Erschiessungsmauer wird ein zweiter Halt gemacht, die anwesenden Bischöfe und Priester knien sich zum Gebet nieder, denken an die vielen Menschen, die hier erschossen wurden, und legen Blumen nieder und zünden Kerzen an. Danach gehen die Bischöfe und der Provinzial der Minoriten in den sogenannten “Hungerbunker“, der sich im Gebäude direkt neben der Erschiessungsmauer befindet und beten schweigend an dem Ort, wo Maximilian Kolbe am 14. August 1941 mit der Todesspritze getötet wurde. Am 28. Juli 1941 war er mit neun anderen Mithäftlingen in den “Hungerbunker“ eingesperrt worden, weil die Nazischergen für einen geflohenen Häftling Rache nehmen und ein Exempel der Abschreckung setzen wollten.

Maximilian Kolbe konnte seine Leidensgenossen nicht nur trösten und mit ihnen beten, wie Zeitzeugen später berichteten, er überlebte die anderen Todeskandidaten. Er selbst wurde schliesslich mit Gift getötet, weil der “Hungerbunker” für die nächsten Häftlinge freigemacht werden musste. Auf dem Exerzierplatz im Freien wird anschliessend mit tausenden Gläubigen aus allen Nationen die heilige Messe gefeiert.

In diesem Jahr können alle, die Maximilian Kolbe verehren, seinen Gedenktag besonders dankbar begehen. In Auschwitz und anderswo. Denn im Jahr 2015 erinnert die katholische Kirche Polens und Deutschlands mit verschiedenen Veranstaltungen in Berlin, Breslau und Warschau des historischen Briefwechsels zwischen den polnischen und deutschen Konzilsteilnehmern im November/Dezember des Jahres 1965 – und Maximilian Kolbe spielte damals vor 50 Jahren, also kurz vor Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils, eine nicht zu unterschätzende Rolle, um diesen Prozess der Versöhnung zwischen beiden Nationen einzuleiten und zu festigen. Das ist, wenn man so will, ein mystisch-historisches Faktum, das allerdings oft vergessen wird und deshalb der Erinnerung und Erläuterung bedarf.

Es war im Jahr 1960, als Boles³aw Kominek (1903–1974), der später zum ersten polnischen Erzbischof von Breslau ernannt wurde, im Vorfeld des Konzils den Vorschlag machte, Maximilian Kolbe, den er sehr verehrte, zur “Gestalt christlicher Versöhnung beider Nationen“ zu erklären. Während des Zweiten Vatikanischen Konzils in Rom, an dem Kominek als Titularerzbischof teilnahm, verstärkte er seine diesbezüglichen Bemühungen. Er war es, der als erster auf die deutschen Konzilsteilnehmer zuging und erreichte, dass während des Konzils polnische und deutsche Bischöfe gemeinsam an Papst Paul VI. die Bitte richteten, Maximilian Kolbe seligzusprechen. Diese Bitte war der erste Schritt der Annäherung und der Versöhnung von Polen und Deutschen, der in gewisser Weise den Briefwechsel von 1965 vorbereitete. Schon damals, 1963, bezeichneten die Bischöfe Maximilian Kolbe als “Vorbild und Fürsprecher bei Gott für die Versöhnung“. Kardinal Julius Döpfner, der sich auf deutscher Seite zum Motor der Seligsprechung von Maximilian Kolbe machte, fasste den gemeinsamen Wunsch der polnischen und deutschen Bischöfe so zusammen: “[Wir] erflehen seine baldige Seligsprechung und hoffen, dass durch sein Vorbild und seine Fürbitte der Gott des Friedens beiden Völkern die Gnade einer Versöhnung aus innerstem Herzen gewähre.” In diesem Zusammenhang ist es bedenkens- und erwähnenswert, dass es eben dieser Bischof Boles³aw Kominek war, der den Brief der polnischen Bischöfe in Rom kurz vor Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils anregte und weitgehend verfasste. In diesem Brief der polnischen Konzilsteilnehmer an die deutschen findet sich der berühmt gewordene Satz: “Wir vergeben und wir bitten um Vergebung“, dem die deutschen Bischöfe in ihrem Antwortbrief dann ausdrücklich zustimmten und ihn wiederholten. Dieser katholische Briefwechsel und dazu die “Ostdenkschrift“ der evangelischen Kirche Deutschlands, die ebenfalls im Herbst 1965 erschien, leiteten vor 50 Jahren den Beginn des Versöhnungsprozesses zwischen Deutschen und Polen ein, sie legten das spirituelle Fundament, auf dem auch der politische Dialog wachsen konnte, wie im Jahr 1970 der damalige Bundeskanzler Willy Brandt realistisch konstatierte: “Das Gespräch der Kirchen […] war dem Dialog der Politiker voraus.“

Tatsächlich war es damit um das einflussreiche Wirken Maximilian Kolbes, dessen Vater deutschstämmig und dessen Mutter Polin war, aber noch längst nicht geschehen. Der arbeitsame Franziskanerpater, der 1971 von Papst Paul VI. in Rom seliggesprochen wurde und dabei ausdrücklich als jemand bezeichnet wurde, der durch sein Beispiel und seine Fürbitte “Versöhnung“ erwirke, betätigte sich weiter vom Himmel her als geistlicher Protektor der Versöhnung zwischen beiden Ländern, Deutschland und Polen.

So baten 1980 die deutsche und die polnische Bischofskonferenz – erneut gemeinsam – Maximilian Kolbe als “Märtyrer des Glaubens und der Liebe” heiligzusprechen. Und im Juni 1982 besuchten deutsche und polnische Bischöfe zusammen mit Papst Johannes Paul II. das Konzentrationslager Auschwitz. Dabei sprachen sie wiederum gemeinsam die Bitte an den Papst aus, Maximilian Kolbe als Märtyrer heiligzusprechen. Sie schrieben: “Wir wollen uns gemeinsam für die Erneuerung Europas im Geist Jesu Christi, des Gekreuzigten, einsetzen. Möge Europa mithelfen, die Botschaft der Liebe und Gerechtigkeit in der Welt zu verwirklichen.”

Dies alles, das darf man nicht vergessen, geschah während der Zeit des “Kalten Krieges”, also durch den damals existierenden “Eisernen Vorhang” hindurch. Was man durchaus auch als Gnaden-Beweis Maximilian Kolbes werten kann, als Zeichen dafür, dass ihn die Heilung der deutsch-polnischen Wunden, die Überwindung der europäischen Spaltung etwas anging. Maximilian Kolbe erwies sich aber nicht nur als Versöhner, indem er die polnischen und deutschen Bischöfe 1963, 1965, 1971, 1980 und 1982 zu den gemeinsamen Petitionen und Aktionen zusammenbrachte. Auch dadurch, dass viele Menschen in Polen und in Deutschland, in der Ukraine und in Russland, ja in ganz Europa und in der Welt, sich bei ihren Versöhnungsbemühungen nach der schrecklichen Nazizeit und der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges auf ihn bezogen, offenbarte er sein Versöhner-Profil, seinen Vorbildcharakter.

Seinem Beispiel folgend, haben sie Versöhnungsbemühungen initiiert. Das zeigen nicht zuletzt das Maximilian-Kolbe-Werk und die Maximilian-Kolbe-Stiftung. Das machen auch die Partnerschaften zwischen deutschen und polnischen Gemeinden sowie die Initiativen des Ordens der Franziskanerkonventualen und anderer franziskanischer Ordensgemeinschaften deutlich. Auch die von Maximilian Kolbe gegründete “Militia Immaculatae“ und viele weitere spirituelle Gruppierungen wirken an der Versöhnung in Europa und weltweit in vielen Bereichen mit.

Dabei gilt es zu beachten: 50 Jahre sind im historischen Massstab nur ein kurzer Moment, und dass die deutsch-polnische Versöhnung in solch kurzer Zeit bereits so grosse und gute Fortschritte gemacht hat, dank menschlicher Bemühungen und unter dem Protektorat des hl. Maximilian Kolbe, ist keineswegs selbstverständlich. Für dieses Wunder darf und sollte man dem Heiligen der Versöhnung und allen, die sich aus Kirche, Politik und aus der Zivilgesellschaft daran beteiligt haben und sich von seinem Geist führen liessen, Dank sagen und weiterhin um Hilfe, Inspiration und Sensibilität bitten. Zumal Versöhnung, ebenso wie Einheit und Frieden, kein “Produkt“ ist, sondern immer auch die Frucht eines “Prozesses“, einer Anstrengung. Das gute Miteinander zwischen Polen und Deutschland, die eine zeitweise unsäglich feindliche und leidvolle Geschichte miteinander hatten, verdient 70 Jahre nach Kriegsende und 50 Jahre nach dem Briefwechsel der Bischöfe weiterhin unsere besondere Achtsamkeit, zumal dieses Miteinander eine wichtige Voraussetzung und Garantie für die Einheit Europas ist. Beide Nationen bilden schliesslich zusammen mit Frankreich das Herz der Europäischen Union.

“In einer Welt des Hasses hat dieser Mensch mit der Nr. 16670 den schwierigsten und grössten aller Siege errungen, den Sieg der Liebe, die verzeiht.” Dies sagte der heilige Papst Johannes Paul II., der Maximilian Kolbe 1982 heiligsprach, einmal in einer Ansprache über diesen, einen seiner nächsten Heiligen. Besagt diese “Liebe, die verzeiht” nicht mit anderen Worten das Gleiche wie “Wir vergeben und bitten um Vergebung”? Das Beispiel Maximilian Kolbes und seine Fürbitte sind auch weiterhin nötig. Denn von einem versöhnten Europa und einer friedvollen Welt sind wir im 21. Jahrhundert leider noch immer weit entfernt. Maximilian Kolbe ist zum “Heiligen der Versöhnung“ geworden durch seinen heroischen Akt der Nächstenliebe.

Nur selbstlose Liebe kann Versöhnung erwirken nach gewaltbelasteter Vergangenheit, Hass und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Für diese Liebe steht Maximilian Kolbe. Das Jahr 2015, Gedenkjahr des Beginns der Versöhnung zwischen Polen und Deutschen, muss deshalb ein Aufbruchsjahr sein, Einheit und Frieden für ganz Europa und für die ganze Welt anzustreben. Es könnte auch ein Aufbruchsjahr sein, in dem deutsche und polnische Gläubige zusammen einen ganz neuen Brief des Gebets und des gegenseitigen Vertrauens an den grossen Heiligen und Initiator der Versöhnung richten. Das äussere Programm dafür steht.

Der Autor ist Erzbischof von Bamberg und Vorsitzender der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz.

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