Zahlen, die alarmieren

Zahlen sind unbestechlich

Markus RederVon Markus Reder

Die Tagespost,  20. Juli 2015

Zahlen sind unbestechlich. Das gibt statistischen Erhebungen ihr besonderes Gewicht. Statistiken aber sind interpretierbar. Spätestens da muss man dann aufpassen, dass die Zahlen nicht ihre Wucht verlieren. Die jüngst veröffentlichten Austrittszahlen der Kirche sind vor allem dies: Ein Schock und ein Alarmzeichen. So viele Menschen wie nie zuvor haben die katholische Kirche verlassen. Das ist der nüchterne Befund. Nun kann man lange diskutieren, warum dies so ist und warum gerade im Jahr 2014. Da ist einmal mehr vom “Fall Limburg” die Rede oder vom neuen Verfahren beim Einzug der Kirchensteuer. Doch es wäre eine Form von fürchterlicher Ignoranz und obendrein gefährliche Verdrängung, sollten das schon die Antworten auf diese Rekordaustrittszahlen sein.

Es mag äussere Anlässe geben, die zum letzten Schritt des Austritts führen, aber jedem Kirchenaustritt geht eine Phase abnehmender Kirchenbindung voraus. So es zuvor überhaupt so etwas wie feste Bindung gab und nicht nur ein lockeres, loses Dabeisein oder lediglich eine Karteikartenexistenz. Diese abnehmende Bindung vollzieht sich heute nicht nur irgendwo an den Rändern, sondern bisweilen inmitten von Pfarreien.

Gäbe es eine Statistik, die Aufschluss darüber gibt, wer unter den Gottesdienstbesuchern noch wirklich glaubt, was da in der Eucharistie oder in anderen Sakramenten gefeiert wird, das Ergebnis wäre wohl nicht weniger schockierend als die Austrittszahlen.

Über diesen Zusammenhang von innerem Glaubensverlust und sich dann auch äusserlich lösender Kirchenbindungen wird viel zu wenig gesprochen. Die Antwort darauf müsste eine Evangelisations-Offensive sein – inmitten von Pfarreien bis hinaus an jene Ränder, an die Papst Franziskus ruft. Dialog- und Transparenzoffensiven hat die Kirche mit viel Aufwand gestartet, zu einer Evangelisations-Offensive im grossen Stil hat es bislang nicht gereicht. Wohl auch ein Indiz dafür, wie geistlich ausgezehrt eine strukturell hochgerüstete Kirche sein kann.

Die hohen Austrittszahlen rufen einmal mehr zur Entscheidung. Was tun? Anpassung oder Entweltlichung? Den Weg der Anpassung ist der Protestantismus vorausgeeilt. Ein Erfolgsmodell wird man diesen Weg des Relativismus nicht nennen können. Die Alternative zur Anpassung ist der Weg der Entweltlichung, für den Papst Franziskus wie Benedikt XVI. stehen. Hätten die Kräfte des Beharrens den Begriff Entweltlichung nach Benedikts historischer Freiburger Konzerthausrede nicht gleich derart desavouiert, sondern sich redlich bemüht, deutlich zu machen, was gemeint ist, könnte die Kirche heute schon ein ganzes Stück weiter sein. Nie ging es dabei um Weltflucht, sondern immer um ein klareres, authentischeres und freieres Zeugnis für das Evangelium. Und genau das braucht es.

Nun ist viel vom Franziskus-Effekt die Rede. Der Papst als Heilmittel gegen Rekordaustrittszahlen – ein Selbstläufer ist das nicht. In Italien, so heisst es, liesse sich ein Franziskus-Effekt an der Zunahme von Beichten erkennen. Davon kann hierzulande keine Rede sein. Es kommt wohl sehr darauf an, die Verkündigung des Papstes in ihrer ganzen Breite wahrzunehmen und ihn nicht selektiv zu interpretieren, um ihn vor den Karren der eigenen Reformagenda zu spannen. Franziskus ruft mit Worten und mehr noch mit Zeichen und Gesten die Werke der Barmherzigkeit ins Bewusstsein: Seht her, so lebt man das Evangelium. Es genügt nicht, dies dem Papst zu überlassen. Das gelebte Zeugnis der Christen ist das einzige Evangelium, das in einer säkularisierten Gesellschaft jeder liest. Und es ist der Gradmesser für die Glaubwürdigkeit der Kirche.

Von Markus Reder

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