Der Kern der Menschenwürde

Wenn es nicht so traurig wäre, wäre es zum Lachen

stefan rehderVon Stefan Rehder

Wenn es nicht so traurig wäre, wäre es zum Lachen. Ausgerechnet das “Argument”, das weithin als das Stärkste für die Legalisierung des ärztlich assistierten Suizids gilt, entpuppt sich als das Untauglichste. Bei der Ersten Lesung der vier Gesetzentwürfe (DT v. 4. Juli), mit denen Politiker die Beihilfe zum Suizid neu regeln wollen, führten die Abgeordneten es 35 Mal im Mund. Von seinem Synonym, der Autonomie, war 14 Mal die Rede. Man könnte meinen, bei einem so inflationären Gebrauch sei jedem klar, was Selbstbestimmung und Autonomie meine, wie weit sie reichten und wo die Grenzen verliefen, jenseits derer ihre Verwendung bestenfalls sinnfrei wird oder gar demagogischen Charakter besitzt. Offenbar ist das aber nicht der Fall. Für Peter Hitze (CDU) etwa ist die “Selbstbestimmung” der Kern der Menschenwürde”. Kai Gehring (Bündnis 90/Die Grünen) setzt Selbstbestimmung gar mit der “Menschenwürde des Einzelnen” gleich. Wie sinnfrei derartige Definitionen sind, leuchtet sofort ein, sobald man den Begriff der Selbstbestimmung aus dem Kontext des Sterbens in einen anderen überführt. Denn entweder zahlen dann zum Beispiel alle, die über ein nennenswertes Einkommen verfügen und sich weigern, Finanzamt und Mitbürger zu betrügen, selbstbestimmt auf nahezu wundersame Weise genau den Prozentsatz, der ihnen vom Gesetzgeber vorschrieben wird, oder aber die Steuergesetzgebung geht so etwas am “Kern der Menschenwürde” oder gar an der “des Einzelnen” vorbei, dass sie umgehend geändert werden müsste.

Erschwerend kommt hinzu, dass alle Menschen zwar einen angeborenen Überlebenstrieb, aber offenbar keinen angeborenen Steuerzahlungstrieb besitzen. Falls doch, wäre Letzterer zumindest derart degeneriert, dass man beinah verstünde, dass der Staat ihm durch den Ankauf von Steuer-CDs auf die Beine zu helfen sucht. Was hingegen überhaupt nicht einleuchtet ist, dass zahlreiche Abgeordnete derzeit die Auffassung vertreten, ausgerechnet dem durch Krankheit, körperliche Leiden und oft – mehr noch – durch Einsamkeit geschwächte Überlebenswille eines Patienten müsse nicht aufgeholfen werden, sondern könne für bare Münze genommen und als Ausdruck von Selbstbestimmung gewertet werden. Abgesehen davon, dass Niemand, der bei Verstand ist, die Magersucht einer an Anorexia nervosa Erkrankten oder den Spirituosenkonsum eines Alkoholkranken als Ausdruck der Selbstbestimmung betrachtet, setzt die Bestimmung des Selbst dieses notwendig voraus. Es ist daher entweder dumm oder aber zynisch, ausgerechnet die Vernichtung dieses Selbst als Möglichkeit verstehen zu wollen, sich selbst zu bestimmen. Das Gegenteil ist der Fall. Wer sich selbst zu töten beabsichtigt, zeigt an, dass er nicht mehr die Kraft aufbringt, sich selbst zu bestimmen und Lebens- statt Sterbehilfe benötigt.

Der Staat kann nicht immer verhindern, dass der Einzelne sich selbst als Mittel betrachtet und im schlimmsten Fall sogar sein derart fälschlich etikettiertes Selbst verwirft, wenn sich ein von ihm angestrebter Zustand wie der der Leidfreiheit nicht mehr erreichen lässt. Aber er hat nicht das Recht, sich die fehlgeleitete Sicht des Suizidenten zu eigen machen. Mehr noch: Er hat die Pflicht ihn auch dann als “Zweck an sich” (Kant) zu betrachten.

Das macht den wahren Kern der Menschenwürde aus.

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