Konservative Strukturen

Reaktionszeit des deutschen Episkopats in bioethischen Fragen oft zu lang’ 

stefan rehder

Von Stefan Rehder

Die Tagespost, 19. Juni 2015

Niemand wird dem deutschen Episkopat vorwerfen wollen, sich nicht immer wieder klar und vernehmlich zu nahezu sämtlichen Fragen der Bioethik zu äussern. Das gilt auch für die Neuregelung der Beihilfe zum Suizid, die der Bundestag auf die politische Agenda gesetzt hat und über die er Anfang November entscheiden will. In einer so beschleunigten Mediengesellschaft wie der unsrigen ist es damit allerdings noch nicht getan. Wer hier wahr- und ernstgenommen werden will, muss – erst recht, wenn er eine Debatte prägen will – auch die Gunst des Augenblicks nutzen.

In dieser Woche wurde der letzte von vier Gesetzentwürfe vorgestellt, die alle in sehr unterschiedlicher und teils auf überaus gravierende Weise die jetzige Rechtslage Makulatur werden liessen. Die Fragen, die von einigen dieser Gesetzentwürfen aufgeworfen, sind nicht von Pappe. Sie wiegen zentnerschwer und betreffen sowohl Katholiken wie den Zusammenhalt der Gesellschaft.

Liegt es in der Gewissensentscheidung eines Arztes, einem Suizidwilligen einen tödlichen Trank zu reichen oder muss er, erst recht wenn er katholisch ist, zu der Überzeugung gelangen, dafür keine Hände zu besitzen? Können Krankenhäuser und Hospize in katholischer Trägerschaft dulden, dass verzweifelte Schwerkranke sich womöglich künftig in ihnen das Leben nehmen? Müssen sie Ärzte beschäftigen, die solche “Sterbewillige” zuvor ergebnisoffen beraten? Dennoch wartet man auf die Gesetzentwürfe bewertende und einordnende Worte deutscher Bischöfe bislang vergebens.

Man kann dafür bis zu einem gewissen Grad Verständnis haben. Bischöfe sind nicht erster Linie Ethiker und haben auch sonst Einiges zu tun. Gerade jetzt will Papst Franziskus’ neue Enzyklika kommentiert und den Gläubigen sowie Menschen guten Willens nähergebracht werden. Das ändert nichts daran, dass die Reaktionszeit des deutschen Episkopats in bioethischen Fragen oft zu lang ist. Daher muss die Frage erlaubt sein, ob die Bischöfe gut beraten sind, die Klärung und Begleitung solcher Fragen wie bisher in der Unterkommission Bioethik anzusiedeln? Ist es nicht doch ratsam, reaktionsschnellere Strukturen zu schaffen, wie etwa das Amt eines Bioethikbischofs mit einem ihm zuarbeitenden Stab oder gar die Errichtung eines eigenen Instituts, das in der Lage wäre, Gesetzentwürfe noch am Tag ihrer Vorstellung zu kommentieren?

Sicher ist: An Themen wird es auch künftig nicht mangeln. Auf der politischen Agenda stehen längst ethisch nicht minder brisante Themen, wie das der Leihmutterschaft, die Kassenzulassung des Präenatests oder der Keimbahnmanipulation. Es wäre kaum verständlich, wenn sich die deutschen Bischöfe ausgerechnet in strukturellen Fragen als konservativ erwiesen.

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