Zeit zur Wahrheitssuche

Zeit zur Wahrheitssuche: Hintergrund: Zwei weitere Vorschläge von Kardinal Kasper

Die sieben Sakramente Sakrament

Die Synode, das theologische Durcheinander in Europa und die Aufgabe, die Lehre der Kirche über Ehe und Familie wieder zu entdecken.

Von Vincent Twomey SVD

Die Tagespost, 15. Mai 2015

Kein Spaziergang, aber alle Mühe Wert: Der Spassgesellschaft den tieferen Sinn der sakramentalen Ehe zu verkünden ist ureigener Auftrag der Kirche.

Die Bischofssynode über Familienfragen war von Papst Franziskus von Anfang an als anhaltender Prozess gedacht. Die intensive Debatte über kontroverse Vorschläge hat einige ausgezeichnete theologische Ausführungen hervorgebracht. Der andauernde Prozess der Synode hat der Theologie in der Tat neuen Auftrieb verliehen. Neben der Ehe werden in zahlreichen Bereichen neue und kreative Wege erforscht: die Sakramente der Beichte und der Eucharistie, das Kirchenrecht oder die Geschichte der kirchlichen Praxis. Die Theologie diskutiert mit neuer Intensität grundlegende Themen wie die Beziehung zwischen Lehre und pastoraler Praxis oder das Wesen der Autorität in der Kirche, einschliesslich der Bedeutung der kirchlichen Tradition, der Kontextualisierung und der Vorstellung von einer Entwicklung der Lehre. Äusserungen einiger deutschsprachiger Bischöfe lassen darauf schliessen, dass ihnen eigene pastorale Wege wünschenswert erscheinen.

Doch das berührt eines der grundlegenden Elemente der Ekklesiologie, nämlich die Frage über das Wesen der Kollegialität und der Beziehung der Ortskirchen zur Weltkirche. John Henry Newmans Biograph Ian Ker hat in seiner jüngsten Veröffentlichung “Newman on Vatican II“ bemerkt, dass Newman “sicher über die Art und Weise bestürzt gewesen wäre, mit der sich einige Bischofskonferenzen unmittelbar nach dem Zweiten Vatikanum gleichsam in die Richtung einer Schaffung von Landeskirchen bewegt hätten, in Gemeinschaft, aber in beeinträchtigter Einheit mit dem Papsttum”.

Die Beziehung der Ortskirchen zur Weltkirche war seinerzeit Gegenstand einer der drei öffentlichen theologischen Diskussionen zwischen den Kardinälen Kasper und Ratzinger. In Kürze: Ratzinger erklärt, dass die universale Dimension der Kirche, für die die Einheit mit dem Nachfolger Petri wesentlich ist, ontologisch und zeitlich vor den Ortskirchen – nämlich den Diözesen – steht, während Kasper behauptet, dass die Orts- oder Teilkirche vollständig Kirche ist. Es sollte nebenbei bemerkt werden, dass im gewöhnlichen Sprachgebrauch selbst unter Theologen der Begriff Teilkirche – der sich, theologisch gesprochen, auf Kirchen bezieht, die ihren eigenen Ritus (wie die orientalischen Kirchen) oder ihren eigenen alten Patriarchalsitz haben – jetzt oft als Kirche eines bestimmten Landes oder einer kulturellen Einheit verstanden wird, was unter anderem auf den wachsenden Einfluss der Bischofskonferenzen zurückzuführen ist. Diese gefährliche Dynamik tendiert in die Richtung der Vorstellung von einer “Landeskirche”, die – um es geradeheraus zu sagen – nicht katholisch ist.

Spannungsreich bleibt das Verhältnis Ortskirche–Rom

Die drei deutschsprachigen Kardinäle Paul Cordes (ehemaliger Präsident von Cor Unum), Gerhard Müller (Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre) und Kurt Koch (Präsident des Rats für die Förderung der Einheit der Christen) haben jüngst in energischen Interventionen in den Medien eindeutig die These zurückgewiesen, dass die Kirche in Deutschland eigene Wege gehen könnte im Hinblick auf eine Sache von so fundamentaler, ja universaler Bedeutung, da sie den Kern zweier Sakramente berührt: die Eucharistie und die Ehe. Es ist interessant festzustellen, dass Frage 36 in dem neuen Fragebogen an die Bischöfe lautet: “Was kann getan werden, um auf der Ebene der Ortskirche gemeinsame pastorale Richtlinien zu fördern? Wie kann der diesbezügliche Dialog unter den verschiedenen Teilkirchen ‘cum Petro e sub Petro‘ gefördert werden?“. Das wird bei der Ordentlichen Synode im Oktober heiss diskutiert werden.

Was wird bei dieser Synode herauskommen?

Im letzten November hat der Papst Kardinal Wilfred Fox Napier, den Erzbischof von Durban (Südafrika), in das Organisationskomitee für die bevorstehende ordentliche Synode berufen, einen der heftigsten Kritiker des umstrittenen Zwischenberichts der ausserordentlichen Synode. Das ist ein positives Zeichen. Ein weiteres ist die im letzten Monat erfolgte Ernennung von Professor José Granados, dem Vizepräsidenten des “Päpstlichen Instituts Johannes Paul II. für Studien zu Ehe und Familie“, als einen der Berater des Generalsekretariats der Synode. Vertreter dieses internationalen Instituts mit Sitz in Rom waren bei der ausserordentlichen Synode unerklärlicherweise nicht vertreten. Der allgemeine Tenor des neuen Fragebogens, der in den Lineamenta dem Schlussbericht angefügt ist, ruft jedoch eine gewisse Unruhe im Verfasser dieser Zeilen hervor. In der Einführung zu dem Fragebogen, der den Bischöfen auf der ganzen Welt helfen soll, sich auf die Synode vorzubereiten, erhalten die Bischöfe ziemlich ausdrücklich die Anweisung, was die erwünschte Methodik betrifft, die sie bei der Beantwortung der Fragen befolgen sollten: “Die im Folgenden, mit ausdrücklicher Bezugnahme auf die im ersten Teil der ‘Relatio Synodi‘ angesprochenen Themen, vorgelegten Fragen beabsichtigen, den notwendigen Realismus bei den Überlegungen der einzelnen Bischofskonferenzen zu erleichtern, um zu vermeiden, dass ihre Antworten ausgehend von solchen Schemata und Perspektiven gegeben werden, die einer Pastoral eigen sind, welche lediglich die Lehre anwendet und auf diese Weise die Schlussfolgerungen der ausserordentlichen Synodenversammlung nicht berücksichtigen und damit die eigenen Überlegungen von dem schon vorgezeichneten Weg wegführen würde.”

Das entscheidende Element ist hier die Anweisung, “zu vermeiden, dass ihre Antworten ausgehend von solchen Schemata und Perspektiven gegeben werden, die einer Pastoral eigen sind, welche lediglich die Lehre anwendet”, was bedeuten würde, dass sie von dem auf der ausserordentlichen Synode “schon vorgezeichneten Weg“ abweichen würden. Wie das zu interpretieren ist, darüber lässt sich streiten. Auf den ersten Blick sieht es wie ein Versuch aus, die Debatte der bevorstehenden Synode in eine Richtung zu drängen, die viele Kommentatoren zu Recht befürchten. Es könnte nämlich zu einer Absage an den Primat des Logos über das Ethos führen, der Wahrheit über die Praxis. Diese Absage an den Primat der Wahrheit hätte äusserst tiefreichende Folgen für die Theologie sowie auch für die Praxis, wie sowohl Romano Guardini als auch Joseph Ratzinger herausgestellt haben. Diese Interpretation ist hoffentlich unbegründet.

Vielleicht bedeutet die methodologische Anweisung nicht mehr als das, was in den Lineamenta ganz einfach heisst: “sich von der pastoralen Wende leiten zu lassen, welche die ausserordentliche Synode, vor dem Hintergrund des II. Vatikanums und des Lehramtes von Papst Franziskus, zu umschreiben begonnen hat”.

Was zu einer pastoralen Wende gehören würde

Diese eher unbestimmte Aussage könnte einfach den dringenden Aufruf bezeichnen, konkrete pastorale Wege zu suchen, um verschiedene Bedrohungen für Ehe und Familie zu überwinden, sich um die verlorenen Schafe zu bemühen und sie dazu zu führen, im Sakrament der Beichte göttliches Erbarmen und Vergebung zu erfahren. Zu einer solchen pastoralen Wende würde etwa die Erstellung von Richtlinien über die Vorbereitung zum Sakrament der Ehe gehören, die mit der kirchlichen Lehre klarer übereinstimmen, als das heute der Fall scheint. Oder das Vorschlagen von Wegen und Mitteln, um dem Verlust des Empfindens für die Sünde entgegenzuwirken und in diesem Kontext praktische Vorschläge zum Überwinden des weitverbreiteten Fehlverhaltens beim Empfang der heiligen Kommunion von allen zu machen, trotz der Vorschrift des heiligen Paulus, sich selbst (das heisst sein Gewissen) zu prüfen, bevor man die Kommunion empfängt (1 Kor 11, 28 f.). Wenn man die weit verbreitete Praxis der abortiven “In-Vitro-Fertilisation” und der damit verbundenen sogenannten “künstlichen Befruchtungsmethoden“ betrachtet, ist es erstaunlich, dass im letzten Fragebogen nur einmal, auf eher indirekte Weise, auf dieses Thema verwiesen wird. Und selbst das ist nur eine Fortsetzung des eher vagen Hinweises auf “die Schönheit… des Mutter- und Vaterwerdens“ (unverheiratet oder verheiratet, wird nicht erwähnt), der einen noch vageren Hinweis auf “Humanae vitae” enthält. Hoffentlich wird diese spezielle Frage (Nummer 41) die kommende Synode veranlassen, die weitreichenden pastoralen Implikationen dieses wichtigen Themas zu untersuchen, die Hunderttausende von Eltern und Kindern betreffen.

Zu befürchten ist, dass der Ausschluss jeder expliziten Bezugnahme auf “künstliche Befruchtungsmethoden” (In-Vitro-Fertilisation) im Fragebogen das Symptom einer tiefergehenden und weiterreichenden “Trahison des clercs“ ist, nämlich einer allgemein abweichenden Meinung von der kirchlichen Lehre zu Sexualmoral und Bioethik, sowie des daraus resultierenden weit verbreiteten Niedergangs von Ehe, Familie und Sexualmoral. Die Logik, die Bedeutung der Zeugung im ehelichen Akt von seiner Vereinigung stiftenden Bedeutung zu trennen, führt ganz einfach unaufhaltsam zu einer Trivialisierung des Geschlechtsakts. Das wiederum führt zum ausserehelichen Zusammenleben, zur Billigung gleichgeschlechtlicher Beziehungen und rechtfertigt schliesslich Versuche, Kinder im Labor zu erzeugen – der radikalsten Trennung der Zeugung vom ehelichen Akt.

Die Konsequenzen einer alternativen Moraltheologie

Wenn man all dies betrachtet, ist es einigermassen beunruhigend, dass das eigentliche Problem gar nicht erwähnt wird. Ich beziehe mich auf die weithin abweichende Meinung von der massgeblichen Lehre des seligen Paul VI. Die philosophischen und theologischen Implikationen dieser Lehre wurden vor allem vom heiligen Johannes Paul II. mit tiefer Einsicht entwickelt. Viele Bischöfe, Priester und Theologen haben diese Lehre nicht nur ignoriert, sondern sie haben sich einer alternativen Moraltheologie – Proportionalismus – zugewendet. Diese alternative Moraltheologie basiert darauf, zu leugnen, dass eine Handlung an sich unmoralisch oder – objektiv – sündhaft sein kann; an den Seminaren und theologischen Fakultäten ist sie immer noch vorherrschend. Es handelt sich um eine Form von moralischem Relativismus, der seinerseits unter anderem dazu beigetragen hat, das traditionelle Verständnis von Ehe, Familie und Sexualverhalten in der Gesellschaft zu unterwandern.

Diese alternative Moraltheologie liegt auch – so möchte ich behaupten – der Tatsache zugrunde, dass viele europäische und amerikanische Bischöfe Kardinal Kaspers Vorschlag unterstützt haben, wiederverheiratete Geschiedene zu den Sakramenten zuzulassen. Sie könnte auch einige Bischöfe bei der ausserordentlichen Synode beeinflusst haben, gleichgeschlechtliche Beziehungen in einem relativ positiven Licht zu sehen. Mit anderen Worten: Die verbreitete Ablehnung der päpstlichen Lehren des seligen Paul VI. und des heiligen Johannes Paul II. hat in der Tat nicht zu einem formalen, aber zu einem nahezu greifbaren Schisma in der Kirche geführt, das normalerweise mit den nicht theologischen Begriffen von “konservativ – liberal/progressiv” oder einfach “rechts – links” ausgedrückt wird, Begriffen, die von ihrem Wesen her politisch und nicht kirchlich sind. Der Grund, warum der Vorschlag, wiederverheiratete Geschiedene zu den Sakramenten zuzulassen, in der westlichen Gesellschaft im Allgemeinen – sowie innerhalb gewisser einflussreicher Denkströmungen in der Kirche – ein so positives Echo findet, scheint mir darin zu liegen, dass dem ehelichen Akt heute wenig moralische Bedeutung beigemessen wird.

Der hitzige Meinungsaustausch bei der ausserordentlichen Synode war – so scheint es dem Beobachter, der diese Zeilen verfasst – der seltenen Freimütigkeit zu verdanken, die aufkam, als der Papst in seiner Eröffnungsansprache die Synode ermutigte, die Themen offen, aufrichtig und furchtlos zu diskutieren. Die Diskussion liess die tiefen Risse, die es in der Kirche gibt, zutage treten. Ich habe das wie eine Art Aufstechen der Eiterbeule am Leib der Kirche empfunden. Papst Franziskus, der während der gesamten offenen Diskussion in der ersten Woche klugerweise schwieg, war hier ein grosses Risiko eingegangen. Umso machtvoller war seine Abschlussrede, obwohl sie von den öffentlichen Meinungsmachern ignoriert wurde. Seine eigentliche Absicht scheint, der Kirche Heilung und Einheit zu bringen. Das ist schliesslich die Hauptaufgabe seines Amtes als Nachfolger Petri: ut unum sint. Es bedurfte sehr grossen Mutes, ein solches Risiko auf sich zu nehmen.

In der Zwischenzeit werden diejenigen, die der kirchlichen Lehre über Ehe und Sexualmoral treu geblieben sind, hart geprüft. Und doch sind die Warnungen von Papst Franziskus vor der Versuchung von Rigorismus und Selbstgerechtigkeit unter denen, die diese Lehre annehmen, angemessen. Die kirchliche Lehre ist ein Ausdruck der Wahrheit, vom Wesen her persönlich. Ihre Morallehre lässt sich im zweifachen Liebesgebot zusammenfassen. Die Wahrheit kann leicht auf eine Ideologie reduziert werden, die sowohl Herz als auch Verstand verengt. Wahrheit macht uns frei und offen – und bereit, ihretwegen zu leiden, selbst, wenn dies von denen missverstanden wird, deren Aufgabe es ist, diese Wahrheit zu verteidigen. Das ist Teil der Bedeutung, vom Feuer geprüft zu werden. Ruhig und standhaft zu bleiben, ohne eine Spur von Selbstgerechtigkeit, immer bereit, die Wahrheit zu suchen, ist in sich ein Werk der Gnade. Das päpstliche Lehramt – das sich von einer privaten Meinung des Papstes unterscheidet – ist die Garantie, die wir brauchen, um nicht selbst in die Irre geführt zu werden, wenn wir eine schwindende Minderheit in einer Welt – innerhalb und ausserhalb der Kirche – zu sein scheinen, wo das Gegenteil unbedacht als wahr vorausgesetzt wird.

Die Schrift ermahnt uns jedoch, nicht über die anderen zu richten (Mt 7, 1; Lk 6, 37; Joh 7, 24, Jak 4, 12b). Der häufig zitierte Kommentar des Papstes: “Wer bin ich, jemanden zu verurteilen?“ könnte als Ausdruck der traditionellen katholischen Moraltheologie über subjektive Schuld (die sich von objektivem Fehlverhalten unterscheidet) gesehen werden. Es ist die Grundhaltung, die von allen Hirten gefordert wird, auch wenn sie den Schaden erkennen, den die Sünde (objektives Fehlverhalten) dem Handelnden selbst und anderen Menschen zufügt, und die, wie der Gute Hirte, versuchen, die verlorenen Schafe zu retten, statt sie in der moralischen Wildnis der heutigen Gesellschaft umherirren zu lassen. Das ist die grosse pastorale und dem Evangelium gemässe Herausforderung, vor der die Synode und die Kirche im Allgemeinen stehen.

Schliesslich muss gesagt werden, dass man ein merkwürdiges Déja-vu-Erlebnis hat, wenn man die Kommentare derer liest, die Kaspers Vorschläge sowie die anderen erhofften (aber unrealistischen) Veränderungen in der kirchlichen Morallehre und Disziplin unterstützen. Seine Befürworter scheinen völlig ahnungslos zu sein, sowohl, was die verbindliche Lehre der letzten Päpste – eingeschlossen die Lehre der Kongregation für die Glaubenslehre –, als auch, was die reichhaltige Theologie, die daraus hervorgegangen ist, anbelangt. Man kann nur hoffen, dass die Bischöfe aus den jungen Kirchen in Afrika und Asien – deren Gläubige stärker mit dem natürlichen menschlichen Instinkt für das Gute in Berührung stehen als wir in Europa –, das theologische Durcheinander in den Kirchen in Europa und auf dem amerikanischen Kontinent endlich beenden, das durch eine rationalistische Moraltheologie verursacht wird. In der Zwischenzeit würden wir gut daran tun, John Henry Newmans Rat (im Zusammenhang der seinerzeitigen Übertreibungen in Bezug auf die Rezeption des Ersten Vatikanischen Konzils) zu beherzigen, Geduld zu bewahren. Bei Ian Ker heisst es: “Das Wichtige, so mahnte Newman in seiner privaten Korrespondenz, sei Geduld: ‘Hilfen finden sich in der Kirche wie in der Natur auf ganz selbstverständliche Weise, wenn wir auf sie warten ‘”.

Die Bischofssynode ist nur eine beratende Körperschaft. Der Papst kann sein eigenes Urteil in einem Apostolischen Schreiben artikulieren, das auf den Beschlüssen oder dem Schlussbericht der nächsten Synode beruht, wenn er das beschliessen sollte. Sollte er das tun, ist zu erwarten, dass er damit – wie Evangelii gaudium – die kirchliche Lehre eindeutig bestätigt und praktische Leitlinien aufzeigt, wie die vielen komplexen pastoralen Situationen, die heute die Familie berühren, behandelt werden sollen. Ansonsten wird sich das Dokument aller Wahrscheinlichkeit nach durch einen stark ermahnenden Ton auszeichnen, in der besten jesuitischen Tradition der geistlichen Entscheidungsfindung. Nach der Bischofssynode im Oktober wird die ganze Kirche die Aufgabe haben, die reiche kirchliche Lehre über Ehe, Familie, Sexualmoral und Bioethik erneut zu entdecken. Sie ist – wie die Tugend der Keuschheit – ein Schatz, der darauf wartet, gehoben zu werden. Sie steht zutiefst im Gegensatz zur vorherrschenden Kultur. Doch sie ist auch die einzige realistische und pastorale Alternative zu dem moralischen Relativismus, der heute die grösste Bedrohung der Menschheit darstellt, eine Alternative, die allein hier und im Jenseits zum Glück führen kann: Heiligkeit, Einheit mit Gott.

Übersetzung aus dem Englischen

von Claudia Reimüller

Der zweite der beiden Fälle, die Kardinal Kasper in seiner Ansprache vor der Vollversammlung der Kardinäle am 20. Februar 2014 behandelt hat, unterscheidet sich massgeblich vom ersten (wiederverheiratete Geschiedene), der Hauptthema der Diskussion war. Ihm wurde weniger Beachtung geschenkt, doch er könnte grössere Hoffnung bieten. Es geht um die Situation, dass aufgrund des Mangels an Glauben eines der Brautleute oder eines Mangels an Konsens in Bezug auf das rechte Verständnis der Unauflöslichkeit der Ehe, solche Ehen möglicherweise ungültig sein könnten. Das zu beurteilen, so insistiert Kasper zu Recht, kann nicht den beteiligten Parteien überlassen werden. Er fragt, ob nicht vielleicht der übliche “Rechtsweg“ durch “andere, eher pastorale und geistliche Verfahren“ ergänzt werden könnte, wozu er jedoch keine näheren Angaben macht. “Alternativ könnte man sich denken“, so fügt er hinzu, “dass der Bischof einen geistlich und pastoral erfahrenen Priester als Pönitentiar oder Bischofsvikar mit dieser Aufgabe betraut“ (Walter Kasper: “Das Evangelium von der Familie“). Es ist interessant, dass der Rekurs auf das “Forum internum“ von Kardinal Ratzinger 1998 nicht ganz ausgeschlossen wurde, da die Rechtsprozesse nicht zum göttlichen Recht gehören, sondern zum Kirchenrecht (und daher gegebenenfalls Änderungen vorbehalten sind). Hier scheinen Kasper und Ratzinger übereinzustimmen. Ratzinger hat seinerzeit jedoch auch hervorgehoben: “Freilich müssten die Bedingungen für das Geltendmachen einer Ausnahme sehr genau geklärt werden, um Willkür auszuschliessen und den – dem subjektiven Urteil entzogenen – öffentlichen Charakter der Ehe zu schützen” (Joseph Kardinal Ratzinger: Zu einigen Einwänden gegen die kirchliche Lehre über den Kommunionempfang von wiederverheirateten geschiedenen Gläubigen, Nr. 3). Dazu schweigt Kasper.

In seiner Ansprache im Februar letzten Jahres hat Kasper das wichtige Thema des – wie er es nennt – “impliziten Glaubens“ angesprochen: das Minimum, das seiner Meinung nach erforderlich ist, um ein Sakrament zu empfangen. Das Büchlein mit seiner Ansprache an das Kardinalskonsistorium enthält einen hilfreichen Exkurs, in dem er seine Position näher ausführt. Doch er scheint mir nicht die kirchliche Lehre zu untersuchen (vgl. KKK 1601), dass das Ehesakrament durch den Taufcharakter der Eheleute bewirkt wird und nicht durch ihren subjektiven Glauben. Es ist jedoch bemerkenswert, dass Kardinal Ratzinger die Möglichkeit nicht ausgeschlossen hat, dass eine Ehe aus Glaubensmangel ungültig sein könnte: “Es ist zu klären“, so schrieb er 1998, “ob wirklich jede Ehe zwischen zwei Getauften ‘ipso facto’ eine sakramentale Ehe ist“ (J. K. Ratzinger: Zu einigen Einwänden gegen die kirchliche Lehre über den Kommunionempfang von wiederverheirateten geschiedenen Gläubigen, Nr. 4). Er hat aber auch darauf hingewiesen: “Es bleibt die rechtliche Frage zu klären, welche Eindeutigkeit von Unglaube dazu führt, dass ein Sakrament nicht zustande kommt” (ebd.). Und da liegt der Haken. VT

Übersetzung von Claudia Reimüller

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