Bioethik: Fällt die letzte Grenze?
Grossbritannien will “Drei-Eltern-Babys” zulassen – EU-Parlamentarier Liese warnt vor Eingriff in die Keimbahn
London/Brüssel, Die Tagespost, 04. Februar 2015
Von Stefan Rehder
Scharfe Kritik hat der Europaabgeordnete Peter Liese an einem Beschluss des britischen Unterhauses geäussert, der den Weg für die künstliche Erzeugung sogenannter “Drei-Eltern-Babys” freimachen könnte. Die Anwendung der dazu verwandten Technologie verstiesse gegen Europäisches Recht, sei “ethisch inakzeptabel” und “medizinisch höchst fragwürdig”, erklärte der deutsche CDU-Politiker gestern in Brüssel. “Die Technik sieht einen Eingriff in die menschliche Keimbahn vor. Damit reisst Grossbritannien eine der letzten Grenzen ein, die in der EU und darüber hinaus als unverrückbar angesehen wurden“, so Liese, der selbst Arzt und Humangenetiker ist.
Bei dem zur Rede stehenden Verfahren geht es um eine ethisch noch fragwürdigere Variante des von dem russischen Klon- und Stammzellforscher Shoukhrat Mitalipov entwickelten Spindel-Transfers. Der an der Oregon Health and Science University in Portland arbeitende Forscher hat eine Technik entwickelt, die Frauen, die an Mitochondriopathien leiden, davor bewahren soll, diese auf ihre Kinder zu vererben. Mitochondriopathien treten höchst selten auf, können aber zu unterschiedlich stark ausgeprägten Herzerkrankungen sowie Taubheit, Blindheit, Nervenleiden und Diabetes führen. In den USA, wo jährlich rund 4,8 Millionen Kinder geboren werden, erkranken Schätzungen zufolge zwischen 1 000 und 4 000 von ihnen an einer Mitochondriopathie.
Mitochondrien sind wichtige Organellen, die von Biologen als “Kraftwerke” der Zellen bezeichnet werden und sich im Zytoplasma befinden. Sie beherbergen etwa ein Prozent des menschlichen Erbgutes. Die 37 Gene der mitochondrialen DNA kodieren – nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft – für 13 Proteine und werden nur von Frauen auf ihre Kinder vererbt. Bei der von Mitalipov entwickelten Technik werden zunächst die Eizellen der an einer Mitochondriopathie leidenden Frau entkernt. Anschliessend werden die Zellkerne in die Eizellhüllen ebenfalls entkernter Eizellen einer Frau mit gesunder mitochondrialer DNA eingebracht. Die Eizellen enthalten nun die mitochondriale DNA der Spenderin sowie den Chromosomensatz der an der Mitochondriopathie leidenden Frau. Anschliessend könnten die Eizellen mit dem Sperma des Partners der an einer Mitochondriopathie leidenden Frau befruchtet und dieser eingesetzt werden. Auf diese Weise erzeugte Embryonen würden genetisch von zwei Frauen und einem Mann abstammen.
Bei der in Grossbritannien an der Universität Newcastle erforschten Variante werden keine unbefruchteten Eizellen verwandt, sondern sogenannte Vorkern-Stadien. Das heisst, sowohl die Eizellen der gesunden Spenderin als auch jene der an einer Mitochondriopathie leidenden Frau würden zunächst mit dem Sperma des Mannes befruchtet. Anschliessend würden die Eizellen der Spenderin entkernt. In die zurückgebliebenen Eizellen mit den gesunden Mitochondrien würden nun die Zellkerne der noch nicht verschmolzenen Ei- und Samenzelle aus den Eizellen der an einer Mitochondriopathie leidenden Frau übertragen. Liefe alles nach Plan, würde sich einer aus derart manipulierten befruchteten Eizelle ein Embryo mit gesunder mitochondrialer DNA entwickeln, die auch auf dessen Nachkommen vererbt würde.
Das House of Commons hatte am Dienstag mit deutlicher Mehrheit für eine entsprechende Ergänzung des britischen Fortpflanzungsmedizingesetzes gestimmt. 382 Abgeordnete votierten für die Legalisierung der dabei verwandten Technik. 128 stimmten dagegen. Vergeblich hatte die britische Abgeordnete Fiona Bruce in der Debatte im Unterhaus ihre Kollegen gewarnt: “Sobald diese Genveränderung einmal vollzogen ist, sobald der Geist aus der Flasche ist, sobald dieser Prozess, den wir hier legitimieren sollen, einmal in Gang kommt, gibt es für unsere Gesellschaft – und auch für die Betroffenen – kein Zurück mehr.” Das britische Oberhaus, das “House of Lords“, soll sich am 23. Februar mit der Novelle des “Human Fertilisation and Embryology Act“ befassen. Beobachter halten eine Zustimmung der zweiten Kammer des britischen Parlaments für sicher. Angesichts der klaren Mehrheitsverhältnisse im Unterhaus, sei es unvorstellbar, das sich die Lords über das eindeutige Votum hinwegsetzten, heisst es übereinstimmend.
Die britischen Kirchen kritisierten die Entscheidung. Die katholische Bischofskonferenz von England und Wales betonte, bislang habe kein anderes Land die Methode freigegeben. Es gebe “ernstzunehmende ethische Bedenken“ gegen das Verfahren, das “die Zerstörung eines menschlichen Embryos als Teil des Prozesses” voraussetze. Ein menschlicher Embryo sei ein neues menschliches Leben und dürfe nicht als “frei verfügbares Material“ behandelt werden. Ähnlich äusserten sich auch Schottlands Bischöfe. Um einen krankheitsfreien Embryo zu konstruieren, müssten zwei gesunde Embryonen zerstört werden, erklärte Bischof John Keenan von Paisley. Eine solche Technik sei keine Behandlung: “Sie heilt nichts und niemanden; eher versucht sie, jeden, der von bestimmten Umständen betroffen ist, aus dem Genpool zu entfernen.” Die anglikanische Staatskirche hatte vor der Abstimmung weitere ethische und wissenschaftliche Studien verlangt, um die Folgen des Verfahrens abschätzen zu können. “Ohne ein besseres Verständnis davon, welche Rolle die Mitochondrien bei der Weitergabe von Erbeigenschaften haben”, halte sie eine gesetzliche Regelung “für unverantwortlich”.
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