Petrus auf den Spuren von Kolumbus

Zusammenkünfte des lateinamerikanischen Bischofsrates seit 1968

Mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgten die Päpste seit 1968 die Zusammenkünfte des lateinamerikanischen Bischofsrats. Von Guido Horst

Rom, Die Tagespost 23.03.2012

Eine besondere Rolle im Verhältnis des Vatikan zur katholischen Kirche in Mittel- und Südamerika spielen die bisher fünf Vollversammlungen des Lateinamerikanischen Bischofsrats CELAM und die entsprechenden Interventionen der Päpste. Im Jahr 1955 von Pius XII. ins Leben gerufen, war der Beginn der zweiten Zusammenkunft des CELAM im August 1968 Anlass für Paul VI., seine einzige Reise auf den lateinamerikanischen Kontinent zu unternehmen und in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá die Vollversammlung zu eröffnen, die dann im weiteren Verlauf in Medellín stattfinden sollte.

Als Benedikt XVI. im Mai 2007 Brasilien besuchte, sprach er dort in Aparecida vor der fünften – und bisher letzten – Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe. Und die erste Auslandsreise Johannes Pauls II., die ihn 1979 neben der Dominikanischen Republik und den Bahamas auch nach Mexiko führte, gab ihm Gelegenheit, eine ausgearbeitete Ansprache vor der dritten Vollversammlung des CELAM in Puebla zu halten. Lateinamerika, das ist der katholischste aller Kontinente, in dem die Kirche aber mit den politischen und sozialen Umbrüchen in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts auch in das Fahrwasser ideologischer Auseinandersetzungen geriet, was gemeinhin mit dem Stichwort der lateinamerikanischen Befreiungstheologie verbunden ist. Alle drei Päpste, die Lateinamerika besucht haben, hatten damit zu tun. Und der jetzige, Benedikt XVI., vor allem insofern, als er 1984 an der Spitze der vatikanischen Glaubenskongregation für die Instruktion über einige Aspekte der Befreiungstheologie verantwortlich zeichnete.

Wenn man die Worte liest, die die Päpste bei diesen Anlässen an die lateinamerikanische Kirche gerichtet haben, so liegen diese im Inhalt und in der Zielrichtung gar nicht so weit auseinander. So etwa, wenn Paul VI. in Bogotá vor dem lateinamerikanischen Bischofsrat von der Versuchung durch den “Historismus, Relativismus, den Subjektivismus und den Neo-Positivismus” sprach, der in Glaubensfragen einen kritischen Geist und die falsche Überzeugung hervorgerufen habe, “man müsse, um sich den Menschen von heute zu nähern und sie zu evangelisieren, dem reichen Schatz der Lehre, den die Kirche in Jahrhunderten angesammelt habe, entsagen” und ein “neues Christentum entwerfen, das als Mass den Menschen und nicht mehr das authentische Wort Gottes hat”. Leider gebe es unter uns, so Paul VI. weiter, neben vielen guten und bewährten Theologen auch solche, “die sich nicht immer auf einem guten Weg befinden”. Einige von ihnen würden auf zweideutige doktrinelle Begriffe zurückgreifen, andere würden sich das Recht anmassen, ihren eigenen Meinungen die Autorität beizumessen, die sie zugleich denen absprechen, die sie aufgrund göttlichen Rechts tatsächlich hätten. “Sie sind sogar damit einverstanden, dass jeder in der Kirche denkt und glaubt, was er will, indem er so in das Privaturteil zurückfällt, das die Einheit der Kirche zerstört hat, und die rechtmässige Freiheit des moralischen Gewissens mit einer falsch verstandenen Freiheit des Denkens verwechselt, die aufgrund der ungenügenden Kenntnis der genuinen religiösen Wahrheiten oft genug irrt.” Als besonderen Irrtum stellte Paul VI. dabei die Haltung heraus, einer alten “institutionellen Kirche” die moderne “charismatische Kirche” gegenüberzustellen, die besser geeignet sei, auf die Bedürfnisse des Menschen von heute zu antworten. Der Papst zeichnete 1968 in Bogotá Konfliktlinien nach, die der intellektuellen Elite der lateinamerikanischen Kirche die ganzen siebziger und achtziger Jahre erhalten bleiben sollten. Erst mit dem Zusammenbruch der ideologischen Vormacht der Sowjetunion erlahmte auch der Schwung der marxistisch orientierten Befreiungstheologie. Aber ein Grundton der Beziehungen zwischen Rom und der lateinamerikanischen Kirche war mit dem Besuch Pauls VI. in Bogotá vorgegeben.

Puebla 1979. Kaum hatte Johannes Paul II. seine Ansprache vor der dritten Vollversammlung des CELAM begonnen, ging es bereits wieder um Fehlinterpretationen des Evangeliums, um eine ideologische Verfälschung des Glaubens und die Hirtenpflicht der Bischöfe, über die wahre Lehre der Kirche zu wachen und sie zu fördern. Und wie Paul VI. ging auch Papst Wojtyla auf den Versuch ein, einer “offiziellen”, “institutionellen Kirche” die Kirche des Volkes entgegenzusetzen, die sich in der “Kirche der Armen” konkretisiere. In Medellín hatten sich die lateinamerikanischen Bischöfe in Einheit mit Paul VI. eindeutig zur “Option für die Armen” bekannt. Aber die ideologische Kirchenlehre der Befreiungstheologie war dem akademischen Milieu des lateinamerikanischen Katholizismus erhalten geblieben. Der fromme Indio und einfache Gläubige betete andächtig zur Muttergottes von Guadalupe, aber viele Theologen predigten das Evangelium nach Ernesto Cardenal und Leonardo Boff.

Oktober 1992, die Eröffnung der vierten Generalversammlung des CELAM in Santo Domingo – und wieder war Johannes Paul II. dabei. Die Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus lag genau fünfhundert Jahre zurück, mit dem Ende des Kalten Kriegs hatte auch das Zeitalter der Ideologien seine Abenddämmerung erreicht. In den Mittelpunkt seiner Ansprache stellte der polnische Papst, der in Europa den Fall der Mauer nicht nur erlebt, sondern tatkräftig gefördert hatte, einen ganz unideologischen Begriff: den der Neu-Evangelisierung. Nach der Erstverkündigung des Glaubens im Zuge der Christianisierung Lateinamerikas war nun, ein halbes Jahrtausend später, eine neue Anstrengung vonnöten, um das Bekenntnis zu Jesus Christus als Gottes Sohn wach zu halten oder wieder neu einzupflanzen. Johannes Paul II. wies in diesem Zusammenhang auf das “besorgniserregende Phänomen der Sekten” hin, auf die man mit einem pastoralen Handeln reagieren müsse, “das die Person, seine gemeinschaftliche Dimension und seine persönliche Beziehung zu Gott in den Mittelpunkt von allem stellt”.

Am 13. Mai 2007 war es dann Benedikt XVI., der im brasilianischen Heiligtum von Aparecida die fünfte Generalkonferenz des CELAM eröffnete. Der deutsche Papst stellte die Person Jesu Christi in den Mittelpunkt. “Welche Bedeutung hatte die Annahme des christlichen Glaubens für die Länder Lateinamerikas und der Karibik?”, fragte er und stellte gegen jeden Ansatz, der die Christianisierung Lateinamerikas als reinen Akt des europäischen Kolonialismus darstellt, klar: “Es bedeutete für sie, Christus kennenzulernen und anzunehmen, Christus, den unbekannten Gott, den ihre Vorfahren, ohne es zu wissen, in ihren reichen religiösen Traditionen suchten. Christus war der Erlöser, nach dem sie sich im Stillen sehnten. Es bedeutete auch, mit dem Taufwasser das göttliche Leben empfangen zu haben, das sie zu Adoptivkindern Gottes gemacht hat; ausserdem den Heiligen Geist empfangen zu haben, der gekommen ist, ihre Kulturen zu befruchten, indem er sie reinigte und die unzähligen Keime und Samen, die das fleischgewordene Wort in sie eingesenkt hatte, aufgehen liess und sie so auf die Wege des Evangeliums ausrichtete. Tatsächlich hat die Verkündigung Jesu und seines Evangeliums zu keiner Zeit eine Entfremdung der präkolumbischen Kulturen mit sich gebracht und war auch nicht die Auferlegung einer fremden Kultur.“”

Wenn Benedikt XVI. jetzt nach Mexiko und Kuba fährt, so reiht sich dieser Besuch in die lange Reihe der Begegnungen ein, die Johannes Paul II. zu den einzelnen Ortskirchen auf dem lateinamerikanischen Kontinent geführt hatte. Der lateinamerikanische Bischofsrat tritt dieses Mal nicht zusammen, auch wenn Papst Benedikt am Montag in Leon mit Bischöfen aus ganz Lateinamerika zusammenkommen wird. Aber die Wiederentdeckung des Christusereignisses, die seit Santo Domingo 1992 die päpstliche Verkündigung in Lateinamerika wie ein roter Faden durchzieht, wird auch jetzt wieder ein zentrales Thema sein.

LibertatisNuntius: Über einige Aspekte “Der Theologie der Befreiung”

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