“Die Grosseltern unserer Heiligen werden nun Selige”

Die erste Asienreise von Papst Franziskus verbindet Jugendpastoral mit Geschichtsbewusstsein

Papst Briefmarke KoreaPapst reist nach Fernost
Heiligtum der koreanischen Märtyrer
Papst in Südkorea
Pariser Mission
Martyrologium
1984: Papst Johannes Paul II. in Korea

– Ein Gespräch mit Diakon Kyung-Soo Petrus Shin

Von Regina Einig

Die Tagespost, 08. August 2014

Aus den Internationalen Weltjugendtagen gingen die Asiatischen Jugendtage hervor.
Koreas Katholiken erwarten Papst Franziskus. Am Mittwoch beginnt der 6. Asiatische Weltjugendtag, dessen Abschlussmesse der Heilige Vater am 17. August feiert.

Das Treffen steht unter dem Leitwort “Jugend Asiens! Wach auf! Die Glorie der Märtyrer leuchtet über Euch” und will die Wurzeln der Christianisierung Koreas beleuchten. Eröffnet wird es im Wallfahrtsort Solmoe südlich von Seoul. Aus Solmoe stammte der heilige Kim Dae-Gun Andreas (1821–46), der erste koreanische Priester. Wie seine Vorfahren erlitt auch er das Martyrium. Die Verehrung der Märtyrer spielt in Asien eine grosse Rolle. Eine Verbindung gibt es auch mit Deutschland: Deutsche Benediktiner starben im 20. Jahrhundert in der Koreamission für ihren Glauben.

Regina Einig sprach darüber mit Diakon Kyung-Soo Petrus Shin, der im Erzbistum Köln tätig ist.

Der christliche Glaube kam im 18. Jahrhundert durch Laien nach Korea. Prägt das?

Der christliche Glaube ist in Korea von koreanischen Wissenschaftlern als Katholizismus, einer westlichen Lehre, eingeführt worden. In den 1770ern studierten koreanische Gelehrte, alles Konfuzianer, katholische Schriften aus China, welche die Jesuiten im 17. Jahrhundert dorthin mitgebracht hatten. Im Jahre 1783 wurde Lee Seung-Hun, der als diplomatischer Gesandter in China tätig war und Kontakt zu Christen in Peking aufgenommen hatte, dort als der erste Koreaner von einem französischen Jesuiten, Pfarrer Grammant, auf den Namen “Petrus” getauft. Er kehrte 1784 nach Korea zurück und legte damit den Grundstein für die Kirche in Korea. Korea ist somit das einzige Land, das den christlichen Glaube ohne Hilfe von einem ausländischen Missionar ins Land geholt hat. Der christliche Glaube verbreitete sich zunächst durch Laien ohne Unterstützung von Presbytern. Erst 1794, also elf Jahre nachdem die ersten Koreaner getauft worden waren und sich der Glaube verbreitet hatte, kam der erste Priester, ein chinesischer Pater namens Jakob Chou Moon-Mo, nach Korea. Es wurde jedoch 1801 bei der grossen Verfolgungswelle getötet. Die koreanischen Gläubigen mussten dann 35 Jahre auf einen nächsten Priester warten. 1834 gelang es einem weiteren chinesischen Priester, ins Land zu kommen. Auf diesen Hintergrund ist die Kirche in Korea sehr stolz.

Papst Franziskus wird im August 124 koreanische Märtyrer seligsprechen. Wie lebendig ist die Verehrung der Märtyrer in Ihrem Land?

Kurz nachdem 1783 die ersten Koreaner in China getauft wurden und 1784 nach Korea zurückkehrten, begann eine jahrhundertelange blutige Verfolgung. Nach der Verhaftung und Hinrichtung von Kim Bum-Su im Jahr 1786, was ihn zum ersten Märtyrer Koreas machte, vollzog sich die Verfolgung der Kirche in vier Wellen:

1. 1801 kurz nach dem Verbot (Shinyoo-Massaker)
2. 1839–1841, wonach die Kirche komplett neu organisiert werden musste, weil insbesondere Priester, unter anderem der erste Bischof, ermordet wurden und schliesslich das Kihae-Massaker stattfand.
3. 1846–1850 das Byungo-Massaker.
4. und besonders heftig in den Jahren 1866–1876 das Byungin-Massaker. Während dieser Verfolgungszeit sind schätzungsweise 10 000 koreanische Katholiken der Verfolgung zum Opfer gefallen. Die Verfolgungen in Korea zeichneten sich dadurch aus, dass sie massakerhaft verliefen.

Erst mit der Staats- und Gesellschaftsreform im Jahr 1895 endete die Christenverfolgung in Korea. Das heisst, dass fast die Hälfte der katholischen Kirchengeschichte in Korea eine Leidensgeschichte ist, gekennzeichnet von Unterdrückung und Verfolgung. Auf diesem Fundament ist die koreanische Kirche aufgewachsen und aufgebaut. Der Monat September wird als Monat der Märtyrer mit diversen Veranstaltungen und vielen pastoralen Angeboten und Anregungen gefeiert. Viele Hinrichtungsorte sind heute beliebte Wallfahrtsorte, die geschmückt und gepflegt werden.

Wir haben bereits 103 Märtyrer, die im Jahr 1984 von Papst Johannes Paul II. heiliggesprochen worden sind. Die 124 Märtyrer, die im August von Papst Franziskus seliggesprochen werden sollen, stammen aus einer noch älteren Generationen als die der 103 Heiligen. Die 103 Heiligen sind Märtyrer, die Mitte des 19. Jahrhunderts gelebt haben. Zu dieser Zeit waren französische Missionar-Orden, “Gesellschaft des Pariser Missionsseminars (MEP)” (= Societe des Missions Etrangeres de Paris) ins Land gekommen, und ihre Umstände und Situationen vor ihrem Märtyrertod sind durch die Missionare relativ gut nach aussen dokumentiert. Die 124 Märtyrer, die im August (erst !) seliggesprochen werden sollen, lebten ganz zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als die Kirche in Korea noch keine Priester oder andere ausländische Helfer hatte. Das bedeutet, dass sie ihren selbst errungenen Glauben zu verteidigen und zu bewahren versucht haben, bevor sie das Martyrium erlitten. Deshalb spricht man zurzeit in Korea davon, dass die Eltern und Grosseltern unserer Heiligen nun nachträglich Selige werden!

Welche europäischen Länder und welche Ordensgemeinschaften haben in Korea missioniert?

Den ersten Kontakt zum christlichen Glaube hatten wir mit Jesuiten, die damals in China tätig waren. Die wichtigen Ordensgemeinschaften, die gerade in der anfänglichen schweren Zeit vieles mit den koreanischen Gläubigen mit- und durchgemacht haben, waren folgende:

1. Die Société des Missions Etrangeres de Paris (MEP) (Gesellschaft des Pariser Missionsseminars)

Sie kamen im September 1831 nach Korea und haben bis Mitte des folgenden Jahrhunderts die Kirche in Korea geführt und pastorale Aufgaben übernommen. 1942 hat die Ordensgemeinschaft ihre Aufgaben an den ersten koreanischen Erzbischof Noh Ki-Nam im Erzbistum Seoul übergeben. Ab 1944 wurden die Gemeinden, die sie bis dahin aufgebaut und geführt hatten, eine nach der anderen an koreanische Seelsorger übertragen. Die MEP hat entscheidend dazu beigetragen, dass die Kirche in Korea sehr früh einheimische Priester hervorgebracht hat. Sie schickte drei junge Koreaner nach Macao, damit sie dort das Priesterseminar besuchen konnten. Einer von ihnen, Kim Dae-Gun Andreas, wurde 1845 als erster Koreaner zum Priester geweiht. Ausserdem hat die MEP im Jahre 1853 in Baeron, in der Provinz Chungcheong, das erste Priesterseminar Koreas eröffnet. Die MEP hat während ihrer Tätigkeit in Korea 24 Missionare verloren, davon wurden zehn im Jahre 1984 heiliggesprochen.

2. Benediktiner aus St. Ottilien, Deutschland: Im Februar 1909 kam Pater Sauer als erster Missionar der Benediktiner nach Korea. Die Benediktiner haben viele Schulen aufgebaut und eröffnet, darunter das Priesterseminar in Dukwon, das heute zur katholischen Universität von Seoul geworden ist. Während des Koreakriegs im Jahre 1945 wurden unter sowjetischer Besatzung sechs Priester und Brüder ermordet. Weitere 18 Mitglieder sind, darunter Bischof Sauer, Priester, Ordensbrüder und Schwestern, in Gefangenenlagern gestorben. Heute führen sie einen Verlag und mehrere Exerzitienzentren und sind mit circa 150 Mitgliedern immer noch sehr aktiv in Korea tätig.

3. Maryknoll Missioners (M.M.) (Maryknoll Fathers and Brothers): Sie kamen 1923 nach Korea und haben viele Gemeinden aufgebaut, pastorale Tätigkeiten ausgeübt und karitative Dienste geleistet. Zurzeit sind sie immer noch in Sonderschulen und Krankenhäusern in Korea tätig.

Eine Hürde für die Evangelisierung in Korea war der Widerstand auf der Grundlage des Konfuzianismus: Können Sie das erläutern?

Der Katholizismus kam, wie schon erwähnt, im Jahre 1784 nach Korea. Dies geschah zur Zeit der Choson-Dynastie, die den Konfuzianismus zur Staatslehre erhoben hatte und sich durch feudale Strukturen auszeichnete. Ihr Anliegen war die Erhaltung alter traditioneller Werte und die Wahrung des Feudalsystems. Dies setzte sie strikt und hart durch. Darüber hinaus betrieb sie eine strenge Abschottungspolitik gegenüber der Aussenwelt. Daher wurden die Katholiken in den ersten hundert Jahren brutal vom politischen System unterdrückt und blutig verfolgt. Ausserdem verstärkte das strikte Verbot der Teilnahme am konfuzianischen Ahnenkult von katholischer Seite die Situation der Gläubigen. Darüber hinaus führten neue, christliche Vorstellungen über das menschliche Miteinander (etwa die Vorstellung, dass alle als Kinder Gottes gleich seien) zu Konflikten mit den klassischen konfuzianischen Vorstellungen, denn der Konfuzianismus beruft sich auf klare und hierarchische Rollenverteilungen. Der Konfuzianismus schreibt fünf Tugenden vor (nämlich die Innigkeit zwischen Vater und Sohn, die Gerechtigkeit beziehungsweise das rechte Handeln zwischen Fürst und Untertan, die Trennung beziehungsweise gegenseitige Achtung zwischen Mann und Frau, die Reihenfolge zwischen Alt und Jung und die Treue zwischen Freund und Freund) und drei wesentliche Disziplinen (drei Grundpflichten), dass Kinder auf Eltern achten, Untertanen dem Herrn dienen und die Ehefrau dem Ehemann beistehen und ihn unterstützen soll, die grundlegend die Ordnung der Gesellschaft beziehungsweise die menschlichen Beziehungen bestimmen. Damit stellte der Katholizismus für die Konfuzianer eine Bedrohung der gesellschaftlichen Ordnung und Moral dar.

Inkulturation gilt immer wieder als ein Schlüssel zur Evangelisierung: Warum hat sich das Christentum in Korea besser vermitteln lassen als in anderen asiatischen Kulturen?

Ein sehr alter, asiatischer, philosophischer Gedanke ist, dass der Himmel und die Erde und die Menschen (= Chun-Zhi-Ihn) auf ihr, die drei wichtigsten Elemente des Kosmos bilden. Der Konfuzianismus besagt darüber hinaus, dass der Mensch vor dem Himmel Ehrfurcht haben und seine Mitmenschen lieben solle (= Gyung-Chun-Ae-Ihn). Diese Lebensweisheit wurde von Generation zu Generation weitergetragen. Diese Lehre hat grosse Gemeinsamkeit mit dem grössten Gebot der christlichen Lehre, dass man den Herrn, seinen Gott, mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit all seinen Gedanken lieben soll, und auch seinen Nächsten wie sich selbst (Mt 22, 37–39). Dies erleichterte sicherlich die Annahme und Aneignung der christlichen Lehre für die damaligen Koreaner.

Ein weiterer Grund war das Aufkommen der Demokratiebewegung während der Militärdiktatur in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts. Sie entstand innerhalb der katholischen Kirche und obwohl an der Bewegung nur eine Minderheit der Katholiken aktiv beteiligt war, hat das Aufkommen dieser Bewegung der katholischen Kirche ein Image verliehen, dass sie als Anwalt der Armen und als jene gesellschaftliche Kraft gesehen wurde, der die Durchsetzung der Demokratie gegen die Diktatur zu verdanken ist. Denn der entscheidende Anlass für das Aufkommen der Bewegung war die Inhaftierung des regimekritischen Bischofs Chi Hak-Sun Daniel aus der Diözese Wonju. Die Kirchenleitung hatte auf das Ereignis erst sehr spät und zurückhaltend reagiert, da sie zum einen die Kritik am Regime nicht ausnahmslos mittragen konnte und politische Konflikte vermeiden wollte. Dies ermöglichte wiederum einer kleinen Gruppe von sozialpolitisch engagierten Priestern, sich zur Catholic Priests Association for Justice (CPAJ) zu formieren. Die CPAJ wurde bald zum Zentrum der Demokratiebewegung und war der Katalysator für viele andere Oppositionsbewegungen damals. Viele Intellektuelle und Studenten, sowie Arbeiter und Bauern wurden von dieser sozialpolitischen Bewegung innerhalb der katholischen Kirche angezogen und liessen sich taufen.

Johannes Paul II. hat Korea 1984 anlässlich der 200-Jahrfeiern der Christianisierung besucht. In Seoul ermutigte er dazu, die Priesterausbildung und -berufungen zu fördern. Hat das Früchte gebracht?

Zurzeit gibt es in Korea sieben Priesterseminare mit insgesamt 325 Studienplätzen. Korea ist in 15 Territorial- und zwei Kategorialdiözesen aufgeteilt, damit hat fast jede zweite Diözese ein eigenes Priesterseminar. Im Jahr 2013 wurden 111 Diakone zum Priester geweiht. Von diesen sieben Priesterseminaren sind drei nach dem Papstbesuch 1984 geöffnet worden. Ausserdem unterhält jede Diözese eine Art Vorseminar – eine Begleitung – für die Leute, die sich berufen fühlen und interessiert sind am Theologiestudium (diese heissen “Motzari” = Nährboden). All diese Entwicklungen der letzten zwanzig Jahre könnten als Früchte des Aufrufs Papst Johannes Pauls II. bezeichnet werden.

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