Fehler nicht nochmals wiederholen

Den Fehler der naiven Aufbruchsstimmung nicht nochmals wiederholen

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Die “Vergünstigungen”, Vereinfachungen und Erleichterungen nach dem Zweiten Vatikanum haben nicht zu einer Vertiefung und grösseren Frömmigkeit geführt, sondern die Kirche nur noch weiter und schneller geleert.

Ein Gastkommentar von Michael Gurtner

Salzburg, kath.net, 3. März 2014

Im Abstand eines halben Jahrhunderts zum letzten Konzil sind wir in der Lage, mit einer gewissen Nüchternheit auf selbiges zurückzublicken und mit einer gewissen Objektivität auch die Fehler und Fehlentwicklungen zu analysieren, welche in dessen Umfeld unterlaufen sind.

Dies ist in einem gewissen zeitlichen Abstand gewiss etwas leichter möglich, weil sich die Gemüter beruhigt haben, da es nicht mehr “Protagonisten” es Konzils sind, welche über dieses diskutieren, sondern Leute, für die das Ereignis selbst nur mehr geschichtlichen Charakter hat und kein persönlicher Bezug mehr zu diesem vorhanden ist. Solange es die “Konzilsprotagonisten” sind, welche diskutieren, besteht leicht die Gefahr, dass eine Kritik an manchen Fakten und Entwicklungen als ein persönlicher Angriff missverstanden wird. Denn es klingt allzu leicht die Anklage mit: “ihr habt da etwas falsch gemacht”.

Mittlerweile ist die Situation jedoch eine völlig andere, denn die Theologen, welche noch einen persönlichen Bezug zum Konzil haben, werden immer weniger. Somit kann man auch mit einer grösseren Freiheit und objektiver über jene Dinge sprechen, die schiefgelaufen sind, denn keiner muss sich Fehler eingestehen oder die eigene Arbeit verteidigen.

Liest man die Texte vieler Konzilstheologen über das Konzil, so merkt man, dass oft die objektive Theologie mit subjektiven Anstrengungen, Erfahrungen und Bemühungen eng verflochten war. Heute trennt man da sicher etwas sauberer und damit erhält auch ein mitunter kritisches Wort eine harmlosere und zugleich objektivere Note. Denn oft war es so, dass eine objektive Kritik an einem Zustand vor dem Konzil, einer Konzilsaussage selbst, oder einer Entwicklung nach dem Konzil von vorneherein zu heftigen Verteidigungsreaktionen führte, weil sich viele persönlich angegriffen fühlten. Doch nun, wo diese Komponente mehr und mehr wegfällt, kann es zu einer neuen Objektivität und Sachlichkeit kommen, weil die betroffenen Bereiche präziser differenziert werden können.

Konzilskritik ist an sich durchaus möglich und in einem bestimmten Sinne auch nötig, solange sie sich den allgemeinen theologischen Kriterien unterwirft. Die “Formel“ ist dabei ganz einfach: für das Zweite Vatikanum gelten hinsichtlich der Kritikmöglichkeit genau dieselben Kriterien wie für alle zwanzig vorangegangenen Konzilien auch. Dazu kommt lediglich, dass man den speziellen pastoralen Charakter des Konzils noch zusätzlich mitberücksichtigen muss, welcher dieses von den übrigen Konzilien unterscheidet, was durchaus von Bedeutung ist.

Spricht man von “dem Konzil”, so muss man dreierlei unterscheiden

Spricht man von “dem Konzil“, so fällt auf, dass sich in der Praxis dieser Terminus auf drei unterschiedliche Dinge bezieht, welche eigentlich genauer unterschieden werden müssten, de facto aber alle drei mit “das Konzil“ bezeichnet werden, worin bereits eine erste Ungenauigkeit gelegen ist.

Das erste was man manchmal damit meint ist jenes, was das Konzil eigentlich wollte, was seine Intention und Absicht war. Quellen dafür sind beispielsweise die Aussagen und die Ansprachen Papst Johannes XXIII oder die vorbereiteten Schemata. Davon unterschiedlich ist die zweite Bedeutung, welche sich auf die promulgierten Konzilstexte bezieht, d.h. auf die offiziellen Konzilsdokumente. Allein diese Texte sind im engen Sinne als “das Konzil“ zu bezeichnen, sie sind das eigentliche “Konzil“. Die vorangegangenen Debatten und die verschiedenen Etappen der Textentwürfe stehen ein wenig zwischen dem zweiten und dem ersten Sinn und sind weder diesem noch jenen zuzuordnen. Sie beschreiben viel eher eine Entwicklung und verbinden die Intention mit dem Ausgang, welche teils recht unterschiedlich sind. Eine dritte Bedeutung, welche oft gemeint ist, wenn man “das Konzil“ sagt, sind die teils reichlich eigenständigen Entwicklungen, welche nach dem Konzil und von diesem angestossen einsetzten, sich aber nicht immer auf das Konzil selbst berufen können und von diesem oft nicht gestützt sind. Unter diese Kategorie ist etwa der berühmte “Geist des Konzils“ zu rechnen, welcher eben nicht “das Konzil“ wiedergibt, sondern das Wunschdenken einiger, welche ihre eigenen Wünsche mit der Autorität des Konzils abstützen und durchsetzen wollen.

Von diesen drei Dingen, welche de facto oft gemeint sind wenn man von “dem Konzil“ spricht, ist allein die zweite, d.h. die offiziell promulgierten Konzilsdokumente, wirklich “das Konzil“. Der ersten Bedeutung ist dabei jedoch auf jeden Fall der Wert eines authentischen Interpretationsschlüssels beizumessen, in dessen Licht dann die Konzilsdokumente verstanden und gelesen werden müssen. Was die dritte Kategorie anbelangt, so handelt es sich oft entweder um die bereits erwähnten Wunschgedanken, oder aber auch um eine ungerechte Zuweisung von Fehlentwicklungen an das Konzil, welche vielleicht im Zuge eines gewissen Änderungswahns mit eingetreten sind, jedoch in keinster Weise vom Konzil selbst gewollt waren (berühmte Beispiele sind die Handkommunion oder die Volksaltäre, welche oft fälschlich dem Konzil zugeschrieben werden). Erstaunlicher Weise sowohl von Befürwortern als auch von Gegnern: während die einen die Praxis durch eine Berufung auf das Konzil legitimieren, oder gar als “Wunsch der Kirche“ verkaufen wollen, klagen die anderen das Konzil an, diese Dinge eingeführt zu haben. Tatsache ist aber: das Konzil hat diese und zahlreiche andere Dinge gar nicht gewollt, sehr wohl aber wurden diese Dinge im Zuge der Nachkonzilszeit eingeführt und gleichsam dem Konzil wie ein Kuckucksei “untergeschoben“. Es sind also nicht die Konzilsdokumente selbst, welchen dies vorzuwerfen ist, sondern dem Klima, welches durch das Konzil entstand und welches vollkommen unterschätzt worden war.

Vorkonziliare Nachlässigkeiten in der Katechese führten zum Zusammenbruch

Nicht alles, was im Zuge des Konzils entstand, ist auch wirklich ein Fortschritt, oder besser eine Vertiefung, gewesen, obwohl das Konzil eigentlich als solche gedacht gewesen wäre. Es wurde also in einem gewissen Sinne das Ziel verfehlt, welches Papst Johannes XXIII. vorgegeben hatte. Der nachfolgende Lauf der Dinge hat uns gezeigt, dass die Glaubensvertiefung eine unerfüllte Hoffnung geblieben ist und die Menschen heute weit von Glaube und Kirche entfernt sind. Doch es wäre zu einfach die Schuld einzig und allein dem Konzil zuzuschieben. Ein beachtlicher Teil ist sicher der allzu naiven und in unverantwortlicher Weise ebenso bewusst als auch künstlich geförderten Aufbruchsstimmung der damaligen Zeit zuzuschreiben, welche sich in Zeitdokumenten und Aufsätzen deutlich wiederspiegelt, die in den Jahren rund um das Zweite Vatikanum entstanden sind. Die Erzählungen zahlreicher Zeitzeugen bestätigen beinahe einhellig diesen Eindruck.

Seit dem Zusammenbruch der (Donau-)Monarchie kam es zu einem gewaltigen Wandel der Gesellschaft, der auch auf die Religiosität der Menschen einwirkte. Glaube und Religiosität blieben in einem ersten Moment noch zu einem grossen Teil erhalten, auch die Überzeugungen und der Wert welcher dem Katholischen beigemessen wurde, aber nach und nach wurden sie oberflächlicher und höhlten sich langsam von innen her aus. Nicht dass deshalb die Glaubenspraktiken obsolet wurden, sehr wohl aber wurden sie dadurch instabil. Man tat, woran man glaubte, aber man wusste immer weniger, weshalb man so und nicht anders glaubte. Die äusseren Umstände – besonders die Wirtschaftskrisen und der Zweite Weltkrieg – verhinderten eine religiöse Vertiefung, die es erlaubt hätte, das eigene religiöse Verhalten auch hinreichend begründen zu können. Man tat oft das richtige, ohne dabei zu wissen weshalb. Das Vertrauen in den Klerus war enorm, und so genügte es den meisten Gläubigen, dass die Kirche in Person des Pfarrers und des Kaplans etwas vorschrieb oder wünschte. Denn das Vertrauen war – damals sicherlich noch berechtigt – vorhanden, dass das, was der Pfarrer sagt, auch richtig ist und er es sagt, weil sein Reden letztlich in der theologischen Reflexion gründet. Sein Predigen war letztlich gleichsam das “Ergebnis“ dieser Reflexion, und dieses Ergebnis zu kennen genügte den Menschen. Sie kannten den Katechismus, weil sie ihn gut gelernt hatten im Unterricht, sie kannten wohl die einzelnen Glaubenssätze, aber es fehlte an der notwendigen Systematik dahinter. Das galt als Aufgabe der Theologen und des Klerus. Auch der Arzt präsentiert schliesslich dem Patienten die Medizin und nicht die physiologischen Zusammenhänge dahinter.

Die Geschichte droht sich heute zu wiederholen

Die Diskrepanz von rechtem Verhalten und dem Kennen der Glaubenssätze bei gleichzeitiger Ignoranz der inneren Zusammenhänge machten den Glauben aber letztlich sehr anfällig für Angriffe und Krisen, weil die notwendige persönliche Vorbereitung fehlte.

Was zuerst in einem ersten Moment äusserlich noch hielt, brach auf Grund der inneren Schwächung jedoch plötzlich in sich zusammen. Allerdings begegnete man dieser Entwicklung mit einer völlig verfehlten Strategie. Man meinte nach dem Konzil die Leute wieder mehr für den Glauben und die Kirche begeistern zu können, wenn man das Niveau noch weiter herunterschraubt und einen “Glauben light” anbietet, den man von allem befreit, von dem manche behaupteten, dass es angeblich stören und belasten würde. Im Zuge des Konzils ergriff eine Gruppe von Theologen die Gunst der Stunde und schürte eine künstliche Aufbruchsstimmung welche signalisierte: “nach dem Winter kommt jetzt endlich der Frühling in die Kirche, und dieser macht euch alles neu!”.

Dieser Stimmung, welche von interessierter Seite bewusst gefördert wurde, hätte man bremsend begegnen und die theologischen Realitäten klar und deutlich darlegen müssen. Man hätte den Gläubigen geduldig und Schritt für Schritt erklären müssen, weshalb manche Dinge eben doch nicht so sinnlos, überholt oder leer waren, wie sie oft dargestellt wurden, und dass sie in ihrem Gesamt das Wesentliche stützen. Papst Johannes XXIII. hat den Mangel an Tiefe des Verständnisses in den Gläubigen erkannt und das Konzil einberufen, um diesem Mangel zu begegnen. Das geht aus dessen Konzilseröffnungsrede und anderen Ansprachen deutlich hervor. Seine Vorstellung vom Konzil war etwas vollkommen anderes als das, was man später dann daraus machte als man Bestehendes zu beseitigen begann und denen, die dagegen protestierten, erklärte, dies wäre nötig um zum Kern des Glaubens vordringen zu können, wobei manche auch noch diesen selbst ändern wollten. Sei dieser erst einmal freigelegt, werden auch die Menschen wieder besser zum Glauben finden, so die Versprechung.

Heute ist offensichtlich, dass das Gegenteil eintrat. Die “Vergünstigungen”, Vereinfachungen und Erleichterungen haben nicht zu einer Vertiefung und grösseren Frömmigkeit geführt, sondern die Kirche nur noch weiter und schneller geleert. Jene Orden, Gruppen und Bewegungen, welche blühen und sich Gesundheit erfreuen, sind ausgerechnet jene, welche sich diesen Verlockungen zu widersetzen wussten und nicht den “breiten Weg“ der Erleichterungen mitgingen. Wo man eine eucharistische und marianische Frömmigkeit pflegt, die Tradition der Kirche hochhält und den Glauben unvermindert in all seinen Facetten annimmt, dort sind Zellen entstanden, welche durchaus ihre Früchte tragen.

In der Zeit des Konzils war ein gewisses Glaubensleben noch vorhanden, und jene kleinen Mängel, welche uns im Vergleich zu unseren heutigen Problemen geradezu lächerlich erscheinen, konnten durch die “Vergünstigung“ nicht behoben werden, ganz im Gegenteil. Heute hingegen ist dieses Glaubensleben auch nicht mehr vorhanden, und man möchte seit einiger Zeit eine neue künstliche Aufbruchsstimmung erzeugen, und verspricht erneut durch weitere “Vergünstigungen“ und Änderungen, die Entwicklung zu stoppen. Man ist drauf und dran, denselben fatalen Fehler nochmals zu begehen.

Was man in einem grossen Schub vor fünfzig Jahren nach dem Konzil tat und im Grunde immer weiter vorantrieb, wird in einem zweiten grossen Schub nicht plötzlich gute Früchte tragen. Der Applaus war damals da und ist heute garantiert. Doch auch das Ergebnis würde wieder dasselbe sein. Eine Neuevangelisierung kann nur gelingen, wenn sie an mehreren Punkten gleichzeitig ansetzt: die intellektuell-katechetische Vertiefung, das gute Beispiel, welches im positiven Sinne eine “Normalität“ des Katholischen ausstrahlen muss, sowie das Reden auf Basis der katholischen Lehre.

Würde man dies fördern, so wäre das im wahren Sinne eine revolutionäre Änderung der Kirche.

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Sauerteig der Welt. Zwischenrufe aus dem Herzen der Kirche
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