Wider die Geschichtsmythen

Kroatiens Völkermord-Klage gegen Serbien ist politisch und psychologisch wichtig

Von Stephan Baier

Die Tagespost, 03.03.2014

Serbien hatte in den zurückliegenden Jahren einiges unternommen, um zu verhindern, was nun am Montag in Den Haag doch begann. Noch bis Freitag trägt die Republik Kroatien ihre Anklage gegen Serbien wegen Verletzung der Völkermord-Konvention vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) vor. In der Hoffnung, die 1999 eingereichte kroatische Klage abwehren zu können, hatte Belgrad eine Gegenklage initiiert, um anschliessend vorzuschlagen, beide Seiten könnten ihre Klagen gleichzeitig zurückziehen. Stattdessen verhandelt der IGH beide Klagen nun zusammen: Bis 14. März wird die serbische Seite ihre Argumente vortragen können. In der zweiten März-Hälfte darf dann jeder Staat auf die Vorwürfe der anderen Seite reagieren.

Ist es diplomatisch, politisch und psychologisch sinnvoll, die Geschichte des Krieges, der 1991 begann, fast 23 Jahre später juristisch aufzuarbeiten? Wäre es nicht klüger, die trennende Vergangenheit ruhen zu lassen, um sich den ganz anders gelagerten Herausforderungen der Gegenwart zu stellen, die Geschichtsbewältigung also den Historikern oder späteren, unbelasteten Generationen zu überlassen? Diplomatisch spricht einiges dafür, denn der Dissens, der vor dem IGH ausgetragen wird, spiegelt nicht die heutigen Beziehungen zwischen dem EU-Mitglied Kroatien und dem EU-Beitrittskandidaten Serbien. Politisch und psychologisch ist die juristische Klärung der Kriegsverbrechen, die zwischen 1991 und 1995 begangen wurden, aber wichtig, denn die Vorurteile, Mythen und Legendenbildungen, die schon in den Krieg führten, werden auch heute – noch zu Lebzeiten so vieler Verwundeter, Vertriebener und vom Krieg Traumatisierter – weiter gepflegt. Aus der trennenden Geschichte werden Mythen gewoben, die auch künftige Generationen entzweien können.

Ähnlich wie Wladimir Putin heute seinen Einmarsch auf der Krim damit rechtfertigt, Russland müsse die Rechte der Russen jenseits seiner Grenzen verteidigen, nahm der serbische Autokrat Slobodan Miloševiæ die vermeintlich verletzten Rechte der Serben im Kosovo, in der Krajina und in Bosnien zum Vorwand für seine grossserbischen Eroberungskriege. Die Begeisterung, mit der ihm viele seiner Landsleute dabei folgten, hat historische Wurzeln. Bereits das 1844 verfasste geheime Memorandum von Innenminister Ilija Garašanin für Fürst Alexander Karadjordjeviæ definiert: “Wo ein Serbe lebt, dort ist Serbien.“ Diese Ideologie rechtfertigte für Miloševiæ und seine Anhänger den versuchten Völkermord an den Kosovo-Albanern, die Unterstützung der “ethnischen Säuberung“, die in Bosnien-Herzegowina Radovan Karadžiæ und Ratko Mladiæ betrieben, und eben auch die Eroberung weiter Teile Kroatiens. Wie Putin seine Marionetten auf der Krim hat, die Moskau zu Hilfe rufen, instrumentalisierte auch Miloševiæ die Krajina-Serben für seinen Krieg gegen Kroatien, in dessen Verlauf ein Drittel des kroatischen Territoriums von der “Jugoslawischen Bundesarmee“ und serbischen Tschetniks okkupiert wurde. Wie heute Putins Marionetten die ukrainische Regierung als nationalistisch und faschistisch verleumden, so versuchte 1991 die serbische Propaganda die demokratisch legitimierte kroatische Führung in die Tradition des Ustascha-Regimes zu stellen.

Tatsächlich fiel Jugoslawien 1991 auseinander, weil Slowenien und Kroatien sich einem Mehrparteiensystem und demokratischer Rechtsstaatlichkeit zugewandt und so die Kommunistische Partei Jugoslawiens gesprengt hatten. Umso erstaunlicher ist es aus heutiger Sicht, dass die westliche Politik lange zögerte, die vom breiten Volkswillen getragene Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens anzuerkennen. Führende europäische und amerikanische Politiker versuchten nicht nur rhetorisch, sondern sogar mit Finanzhilfen “zur Überwindung der Krise in Jugoslawien“ die Einheit des serbisch dominierten Kunststaates zu retten und ermutigten Belgrad somit, militärisch gegen die “Separatisten“ loszuschlagen.

Wie die grossserbischen Mythen der Miloševiæ-Ära in Serbien weiterleben, so halten sich auch im Westen hartnäckig jene Legenden, mit denen die damalige politische Klasse ihre Unterlassungssünden kaschierte. Bis heute schreiben sogar renommierte Nachrichtenagenturen von einem “Bürgerkrieg“ in Kroatien, obwohl nicht Bürger gegen Bürger kämpften, sondern serbische Freischärler der Kriegsverbrecher Arkan und Šešelj auf kroatischem Staatsgebiet wüteten und die “Bundesarmee“ von serbischen Generälen als Okkupationsarmee verwendet wurde. Bis heute lebt die Legende, eine Reform Jugoslawiens wäre eine Alternative zur Unabhängigkeit seiner Republiken gewesen, obwohl Miloševiæ in Belgrad seine nationalistische Diktatur festigte, als sich Ljubljana und Zagreb zur Demokratie hin öffneten. Und bis heute hält sich in Westeuropa das leicht widerlegbare Vorurteil, alle Kriegsparteien trügen gleichermassen Schuld an der Eskalation des Konfliktes, obwohl kein kroatischer Soldat auch nur einen Meter weit auf serbisches Staatsgebiet vordrang, während serbische Truppen und Tschetniks weite Teile Kroatiens kontrollierten. All das zeigt, dass eine juristische Aufarbeitung des 1991 begonnenen Kriegs um Kroatien ebenso dringlich ist wie eine seriöse zeitgeschichtliche.

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