Ägypten spaltet Freund und Feind

Warum Saudi-Arabien, Israel und die USA auf der Seite der Putschisten am Nil stehen, die Türkei und Europa dagegen nicht

OlivenzweigDie Tagespost, 21. August 2013, von Oliver Maksan und Stephan Baier

Auf dem Kriegsschauplatz Syrien sind sie sich einig: Die Türkei und Saudi-Arabien, Amerikaner und Europäer arbeiten gemeinsam am Sturz der säkularen Diktatur von Baschar al-Assad und nehmen eine islamistische Wende in Damaskus dafür in Kauf. In Ägypten stehen sie auf unterschiedlichen Seiten: Während die Türkei den Sturz des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi scharf kritisiert, unterstützt die wahhabitische Theokratie Saudi-Arabien die ägyptische Armee. Während die Europäer das Vorgehen des Militärs verurteilen und eine Einbindung der Muslimbruderschaft anmahnen, setzen die Amerikaner ihre Zusammenarbeit mit Ägyptens Generälen optimistisch fort. Israel, spürbar erleichtert über die Absetzung der Muslimbrüder, der älteren Vettern der Hamas, unternimmt derzeit diplomatische Offensiven, um Washington und Europa davon zu überzeugen, die ägyptischen Generäle nicht fallen zu lassen. Bewahrt Ägypten vor dem Scheitern, dann kümmert euch um Demokratie: So könnte man die Haltung Jerusalems zusammenfassen.

Israel selbst kann direkt und öffentlich wenig tun, um den wankenden Nachbarn zu stützen, mit dem es eine Vielzahl von Interessen teilt. In Jerusalem weiss man, dass jede öffentliche Parteinahme für die Generäle in der ganzen arabischen Welt den gegenteiligen Effekt hätte. “Unser Kuss ist der Kuss des Todes”, so ein israelischer Kommentator. Trotz des seit 1979 bestehenden Friedensvertrags ist Israel in Ägypten lagerübergreifend verhasst. Wechselseitig erklären Islamisten und ihre Gegner, dass die “Zionisten” hinter den Unruhen stehen und Ägypten schwächen wollen. Die Zusammenarbeit mit dem ägyptischen Militär hat trotz dieser Ressentiments nie gelitten. Auch unter Mursi ging die Sicherheitskooperation weiter. Jetzt, da der Sinai von Dschihadisten heimgesucht wird, die kürzlich das israelische, am Roten Meer gelegene Eilat angegriffen haben, erscheint sie den Israelis wichtiger denn je. Unterschiedliche Interessen in der islamischen Welt Begeisterung hat die Vertreibung der ägyptischen Islamisten in Saudi-Arabien ausgelöst. König Abdullah erklärte am Freitag, dass sein Land Ägypten im Kampf gegen den Terrorismus unterstütze. Gemeint war die Unterstützung für die Schwächung, wenn nicht Eliminierung der Muslimbruderschaft. Mit fünf Milliarden US-Dollar hat das Königshaus dem auf den Staatsbankrott zusteuernden Ägypten geholfen und der neuen Führung so nach Mursis Absetzung ermöglicht, westlichem Druck gegenüber unabhängiger zu sein.

Die Feindschaft zwischen den Saudis und den Muslimbrüdern bestand nicht von Anfang an. In den sechziger Jahren, als die Muslimbrüder unter dem ägyptischen Präsidenten Nasser verfolgt wurden, nahm Riad viele von ihnen auf. Der politische Islam steckte damals in den Kinderschuhen. Die ideologische Herausforderung der konservativen arabischen Monarchien war damals der “progressive” Arabische Nationalismus und Sozialismus, den der charismatische Nasser weit über Ägypten hinaus verkörperte. Das hat sich geändert. Saudi-Arabien, obschon selbst Exporteur seiner wahhabitischen Staatsideologie, fürchtet nun die Infragestellung der bestehenden monarchischen Verhältnisse durch die Muslimbrüder. Diese bilden trotz ideologischer Schnittmengen im Sunnitentum gewissermassen die republikanische Alternative zur Königsdiktatur des Hauses Saud und sind scharfe Kritiker seiner pro-westlichen Politik.

Ähnliche Gründe motivieren die Vereinigten Arabischen Emirate. Noch schneller als die Saudis haben die Emirate der neuen Führung in Kairo finanziell unter die Arme gegriffen. Drei Milliarden US-Dollar an Unterstützung und zinslosen Darlehen wurden zugesagt. Zusammen mit der Zusage von vier Milliarden Dollar aus Kuwait gab dies der neuen Führung in Kairo Luft zum Atmen. Das arme Königreich Jordanien vermochte keine Schecks zu senden. Freundliche Worte und Glückwünsche nach der Absetzung Mursis fand König Abdullah, an dessen Thron der jordanische Zweig der Muslimbrüder sägt, aber schnell. Das steinreiche Golfemirat Katar dagegen sieht sich als Protektor und Förderer der Brüder. Mit sieben Milliarden US-Dollar unterstützte es Mursi während seiner einjährigen Regierungszeit. Katar verurteilte Mursis Absetzung und das gewaltsame Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Muslimbrüder. Nicht zuletzt mit Hilfe des Senders Al Dschasira setzte sich Katar an die Spitze des “Arabischen Frühlings”. Das Land glaubte, so seine regionalen Ambitionen am besten vorantreiben zu können, zumal es im Inneren von islamistischen Alternativen weitgehend unbedroht ist. Die ägyptischen Ereignisse stellen nun einen massiven Rückschlag für die Aussenpolitik des Golfemirats dar.

Der Iran gehört ebenfalls zu den Kritikern des Sturzes der Muslimbrüder. Der nicht-arabische, schiitische Gottesstaat hatte seinerzeit die Wahl des sunnitischen Islamisten Mursi zum Staatspräsidenten des bevölkerungsreichsten arabischen Landes begrüsst. Nach der Islamischen Revolution waren die Beziehungen zwischen dem pro-westlichen Ägypten unter Sadat und Mubarak und dem anti-amerikanischen Iran von den Mullahs abgebrochen worden. Teheran hoffte jetzt angesichts der internationalen Isolierung mit Mursi auf eine Annäherung. Tatsächlich besuchte dieser kurz nach seinem Amtsantritt den Gipfel der Blockfreien in Teheran. Ein Gegenbesuch von Ex-Präsident Ahmadinedschad in Kairo folgte. Doch der sunnitisch-schiitische Gegensatz erwies sich trotz mancher Schnittmengen als zu stark.

Der Syrienkonflikt liess eine Annäherung nicht zu, unterstützt Teheran doch Präsident Assad, während der syrische Zweig der Muslimbruderschaft zu den Assad-Gegnern gehört. Dennoch stellt sich der Iran unter dem neuen Staatspräsidenten Rohani auf die Seite der Muslimbrüder. Das Kalkül dahinter ist, sich die Sympathien der Muslimbrüder und ihrer Anhängerschaft doch irgendwie zu sichern, um so nicht-staatliche Verbündete sowohl gegen Saudi-Arabien als auch gegen Israel zu gewinnen und die syrische Opposition gegen Assad zu spalten.

Der schärfste regionale Kritiker des Putsches jedoch ist der türkische Ministerpräsident Erdogan. Er selbst sieht sich als islamischer Volkstribun, der durch Wahlsiege die Macht der säkularen Militärs begrenzte. In Mursi sah er einen ägyptischen Epigonen seiner eigenen Politik. Dazu kommt, dass in der Türkei mehrfach Militärputsche gegen gewählte Regierungen den ideologischen Kemalismus schützten – und Erdogan selbst jahrelang mit den mächtigen Generälen zu ringen hatte. Darum rief Erdogan jetzt dazu auf, zur Absetzung Mursis nicht zu schweigen, “sonst haben wir kein Recht, etwas zu sagen, wenn uns in Zukunft die gleiche Falle gestellt wird”.

Verschiedene Sichtweisen in Washington und Brüssel

Uneinig agieren aber nicht nur die regionalen Grössen, sondern auch die globalen. Washington dementierte am Dienstag CNN-Berichte, wonach es seine jährliche Militärhilfe von 1,3 Milliarden Dollar aussetzen wolle. Dabei handelt es sich wohlgemerkt nicht um Entwicklungshilfe, um Investitionen in Infrastruktur oder Bildung, sondern um Gelder, die direkt dem ägyptischen Militär zugutekommen. Nach Angaben des US-Kongresses betrug die Gesamtsumme der amerikanischen Unterstützung für Ägypten von 1948 bis 2011 insgesamt 71,6 Milliarden Dollar. Diese Zahlungen dienten auch in der Mubarak-Ära dazu, das ägyptische Militär direkt und eng an Amerika zu binden und gleichzeitig die Armee als Stabilitätsfaktor des Landes zu stärken. Genau diese Rolle hat das Militär aus amerikanischer Sicht mit seinem Putsch gegen Präsident Mursi nun wahrgenommen. Bereits am Montag hatte US-Verteidigungsminister Chuck Hagel unter Berufung auf “wichtige Interessen” in der Region versichert, Washington werde an der Militärhilfe festhalten.

Noch klarer war US-Aussenminister John Kerry, der dem Militär nach der Absetzung von Präsident Mursi bescheinigte, die Demokratie in Ägypten wiederhergestellt zu haben. Kerry meinte später zwar in Diplomatensprache, die Eskalation der Gewalt sei “bedauerlich” und beide Seiten mögen sich bemühen, auf eine friedliche Lösung hinzuarbeiten, doch vermied der Secretary of State, die Machtübernahme des Militärs zu kritisieren oder gar als Putsch zu bezeichnen. Washington hatte am Nil immer auf die Generäle gesetzt und der unberechenbaren Muslimbruderschaft misstraut. Amerika ist im bevölkerungsreichsten Land der arabischen Welt mehr an Stabilität als an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit interessiert. Amerika braucht den Zugang zum Suez-Kanal, braucht Verbündete in den Regierungen arabischer Staaten, nachdem es bei den arabischen Massen den letzten Rest seiner Glaubwürdigkeit mit dem Irak-Krieg 2003 verspielt hat. Nicht zuletzt aber geht es der US-Politik um Ägyptens unmittelbare Nachbarschaft zu Israel. Kairo machte 1979 seinen Frieden mit Israel und liefert dem kleinen Nachbarn Erdgas, wobei der Ertrag dieses Geschäfts wieder direkt dem Militär zugutekommt. Dass ein Gutteil der amerikanischen Militärhilfe für Ägypten über Rüstungsaufträge wieder US-Rüstungskonzernen zufliesst, ist nur ein Randaspekt des geostrategischen Deals. Anders als die geografisch fernen Vereinigten Staaten von Amerika vertritt die viel näher liegende Europäische Union in Ägypten weniger wirtschaftliche, geostrategische oder militärische Interessen als vielmehr Grundprinzipien.

Die EU hatte sich lange in Pragmatismus geübt und mit Langzeitdiktator Hosni Mubarak eng kooperiert. Mubarak und Frankreichs damaliger Präsident Nicolas Sarkozy waren gemeinsam Präsidenten der nie richtig in Schwung gekommenen Mittelmeer-Union. In der Euphorie des “arabischen Frühlings” mussten sich Europas Politiker vorhalten lassen, allzu lange mit den Diktatoren der Nachbarschaft – mit Tunesiens Ben Ali, zeitweise mit Libyens Gaddafi und eben mit Mubarak – kooperiert und damit Glaubwürdigkeit verspielt zu haben. Die Entwicklungen des Frühlings von 2011 überzeugten die Aussenpolitiker in London, Paris, Berlin und Rom, dass sich nun Demokratie in der arabischen Welt Bahn brechen würde.

Auch wenn die Wahlsiege der Muslimbruderschaft den Europäern nicht gefielen: Der Militärputsch gegen die formal-demokratisch legitime Regierung und die Inhaftierung des ersten gewählten Präsidenten Ägyptens ist aus europäischer Sicht ein Rückschlag in der Demokratisierung des Landes. Deshalb reagierte etwa Berlin, aber auch die EU-Spitze in Brüssel panisch auf die Vorgänge am Nil. Die Appelle, den Dialog aller Kräfte – einschliesslich der Muslimbruderschaft – wiederzubeleben und alle Gewalt einzustellen, sind die typisch europäische Verbindung von Pragmatismus und Idealismus in der Nachbarschaftspolitik. Anders als Washington geht es Brüssel nicht darum, selbst einen Fuss in irgendeiner Türe Kairos zu haben. Die EU möchte als wichtigster Entwicklungshilfepartner vielmehr ein ehrlicher Makler sein. Hintergrund: Das Oberhaupt der Koptisch-Katholischen Kirche, Patriarch Ibrahim I. Isaac Sidrak, hat sich am Sonntag hinter die ägyptische Staatsführung gestellt: “Wir unterstützen bewusst und freiwillig alle staatlichen Institutionen im Lande. Besonders genannt seien die ägyptische Polizei und Armee, die in grosser Gefahr und Anstrengung unsere Heimat verteidigen. Unser Dank und unsere Hochschätzung gilt allen aufrichtigen Nationen, welche die Ereignisse und die Gefahr in Ägypten richtig zu deuten wissen.” Das Oberhaupt von etwa 200 000 Gläubigen betont, dass die Kirche jeden Versuch ablehne, der darauf abziele, sich in innenpolitische Angelegenheiten Ägyptens einzumischen oder gezielt interne Entscheidungen zu beeinflussen. “Unser Appell richtet sich an alle verantwortlichen Nationen und die freie Welt, nicht zu glauben, dass das, was in Ägypten derzeit geschieht, ein politischer Konflikt zwischen verschiedenen Gruppierungen sei, sondern vielmehr ein Kampf aller Ägypter gegen den fundamentalen Terrorismus.” Ibrahim dankte den “muslimischen Mitbürgern und Freunden, die uns zur Seite stehen und die mit uns gemeinsam unsere Kirchen und Einrichtungen verteidigen und schützen”. Auch kondolierte der Patriarch allen Familien, Angehörigen und Freunden der Toten und Verletzten der vergangenen Tage.

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