Die Zertrümmerung des Rechts

Eine Stellungnahme der Bioethikkommission

….soll Österreichs Fortpflanzungsmedizingesetz reformieren und den Umbau der Gesellschaft ermöglichen Von Stefan Rehder

Die Tagespost, 21. September 2012

“Bella gerant alii, tu felix Austria nube. Nam quae Mars aliis, dat tibi diva Venus.” – “Kriege führen mögen andere, du glückliches Österreich heirate. Denn was Mars (den) anderen (verschafft), gibt dir die göttliche Venus.” Mit diesen Worten soll einst der ungarische König Matthias Corvinus (1443–1490) seiner Bewunderung für die kluge Heiratspolitik der Habsburger Monarchen Ausdruck verliehen haben. Ob er tatsächlich der Autor dieses Distichon ist, ist unter Historikern umstritten.

Fest steht dagegen: Heute – da die wenigen verbliebenen Monarchen überwiegend damit beschäftigt sind, den Boulevard zu unterhalten – führt der Königsweg, Herrschaftsbereiche zu erweitern, über das Recht. Wer seine Herrschaft über ein bestimmtes Gebiet ausdehnen will, der braucht nur bislang gültiges positives Recht einzuebnen und an seiner Stelle neue, opportunere Regeln einzuführen.

Nicht weniger als dies plant derzeit das österreichische Bundeskanzleramt. Noch dazu auf einem derart delikaten Feld wie der Fortpflanzungsmedizin. Wer sich etwa in die Stellungnahme vertieft, die gestern von einer Mehrheit der österreichischen Bioethikkommission in Wien vorgestellt wurde, der wird nicht nur Zeuge, wie willig sich Wissenschaftler heute bereitfinden, ihre eigene Reputation aufs Spiel zu setzen, um Auftragsarbeiten zu erledigen, mit denen Politiker ihr Wählerklientel zu beglücken gedenken.

Nein, er dürfte angesichts der Skrupellosigkeit, mit der hier bisheriges Recht zertrümmert wird, auch fragen, ob Recht überhaupt etwas ist, das der offenkundigen Willkür der aktuell Herrschenden entzogen ist. Denn auf 47 Seiten plädieren hier 15 Wissenschaftler – darunter zehn Universitätsprofessoren und -professorinnen – für nahezu alles, was im Widerspruch zur menschlichen Natur steht.

Nach Ansicht der überwiegenden Mehrheit der Mitglieder der Bioethikkommission – das ablehnende Minderheitenvotum wurde lediglich von sechs Kommissionsmitgliedern gezeichnet – solle die Politik die Adoption von Kindern auch homosexuellen und lesbischen Paaren ermöglichen. Das bislang geltende Verbot der Eizellspende soll aufgehoben werden, um die Chancen von Frauen auf eine Schwangerschaft zu erhöhen, die an “ovarieller Insuffizienz” leiden. Künstliche Befruchtungen sollen nicht länger allein für heterosexuelle Paare mit eingeschränkter Zeugungsfähigkeit zugänglich sein, sondern auch für “alleinstehende und lesbische Frauen” geöffnet werden. Die Präimplantationsdiagnostik (PID), deren Zulassung die Mehrheit der Kommissionsmitglieder für “überfällig” erachtet, soll zukünftig nicht nur Paaren möglich sein, die Träger einer “schwerwiegenden Erbkrankheit” sind, sondern auch solchen, die mittels dieses Verfahrens ein sogenanntes “Rettungskind” auswählen wollen, das als Zellspender für ein lebensgefährlich erkranktes Geschwisterkind fungieren soll.

So heisst es in den Empfehlungen, die sich am Ende der Stellungnahme der Mehrheit der Kommissionsmitglieder findet, wörtlich: “Es sollte grundsätzlich möglich sein, die PID mit dem Ziel durchzuführen, einen nach seiner Geburt als Spender von Zellen, Gewebe oder Organen für ein Geschwisterkind geeigneten Embryo auszuwählen.” Und dies obwohl, wie die Kommissionsmitglieder in dem medizinischen Teil ihrer Stellungnahme ausführen, “in der Regel” für jedes dieser Rettungskinder zunächst mittels künstlicher Befruchtung “über zwanzig Embryonen erzeugt” werden müssten. Wer danach fragt, weshalb sich die Mehrheit der Kommissionsmitglieder berechtigt fühlt, für einen derart exzessiven Embryonenverbrauch zu werben, der muss nicht lange suchen.

Denn auf Seite 19 ihrer Stellungnahme behaupten die Unterzeichner des Mehrheitsvotums allen Ernstes: “Keine verfassungsrechtliche Schutzpflicht besteht zugunsten des Embryos, da dieser nach überwiegender Auffassung nicht Träger von Grundrechten ist.” Zwar sei “diese Problematik” bislang nur hinsichtlich des Rechts auf Leben diskutiert worden”, doch könne “für alle anderen Grundrechte nichts Abweichendes gelten.” Der “Embryonenschutz” sei daher “für sich genommen kein verfassungsrechtlich vorgegebenes Schutzziel”.

Wer nun erwartet, die Autoren derart steiler Behauptungen würden im Folgenden aufzeigen, wie und wodurch aus einem grundrechtelosen Embryo im Laufe seines weiteren Lebens ein Grundrechtsträger wird, der etwa vom österreichischen Bundeskanzleramt in eine Bioethikkommission berufen und mit dem Auftrag versehen werden kann, das geltende Fortpflanzungsmedizingesetz so lange zu schleifen, bis nichts mehr von ihm übrig ist, wird freilich bitter enttäuscht. Denn anstatt Belege für die Richtigkeit oder wenigstens Plausibilität ihrer Behauptungen nachzureichen, stellen die Unterzeichner des Mehrheitsvotums einfach weitere unbelegbare Thesen auf. So behaupten die Autoren dieser Stellungnahme etwa, auch das Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union enthalte “keine Regelungen, die als Grundlage eines spezifischen Embryonenschutzes im Zusammenhang der Reproduktionsmedizin gedeutet werden könnten”. Daran “habe sich auch durch das Urteil des EuGH in der Rechtssache Brüstle nichts geändert”. Schliesslich sei es in diesem Verfahren “ausschliesslich um die Frage der Reichweite des Patentierungsverbotes für menschliche Embryonen” und die Auslegung der EU-Richtlinie 98/44 “über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen” gegangen.

Zwar hatte der Europäische Gerichtshof, als er im Oktober des vergangenen Jahres eine Rechtssache zu entscheiden hatte, in der die Umweltorganisation “Greenpeace” erfolgreich ein Patent angefochten hatte, das dem deutschen Stammzellforscher Oliver Brüstle die wirtschaftliche Verwertung der “Verwendung von menschlichen Embryonen” erlaubt hätte, tatsächlich nicht zu entscheiden, ob der Embryo Träger von Grundrechten ist oder nicht. Doch stellten die Richter den Embryo in ihrem Urteil keineswegs als derart rechtlos hin, wie dies die Mehrheit der Mitglieder der österreichischen Bioethikkommission in ihrer Stellungnahme nun suggerieren. Vielmehr hob der EuGH damals hervor, “Zusammenhang und Ziel” der Richtlinie liessen erkennen, dass der Unionsgesetzgeber jede Möglichkeit einer Patentierung ausschliessen wollte, “die die der Menschenwürde geschuldete Achtung” zu beeinträchtigen vermag. Daraus folge, dass der Begriff des Embryos “weit auszulegen” sei. Und weil die Befruchtung “den Prozess der Entwicklung eines Menschen” in Gang setze, sei “jede menschliche Eizelle vom Stadium ihrer Befruchtung an als ,menschlicher Embryo‘ anzusehen”. Mehr noch: Wortwörtlich hielten die Obersten Richter der Europäischen Union damals fest: “Der Ausschluss von der Patentierung nach Art. 6 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 98/44, der die Verwendung menschlicher Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken betrifft, bezieht sich auch auf die Verwendung zu Zwecken der wissenschaftlichen Forschung.” Gegenstand eines Patents könne daher “nur” eine “Verwendung zu therapeutischen oder diagnostischen Zwecken” sein, “die auf den menschlichen Embryo zu dessen Nutzen anwendbar ist”. Wer aber, ausser zu seinem eigenem Wohl, nicht von Dritten instrumentalisiert werden darf, kann gar nicht derart rechtlos sein, wie die Mehrheit der österreichischen Bioethikkommission nun die Menschen glauben machen will.

So verweisen denn auch die Autoren des Minderheitenvotums in ihrer Stellungnahme völlig zu Recht darauf, dass das in der Grundrechtecharta der Europäischen Union “manifestierte Gebot der Achtung der Menschenwürde” seit dem Urteil des EuGH “nunmehr auch eindeutig dem extrakorporalen Embryo” zustehe und der EuGH “in der Begründung des Urteils von einer umfassenden Schutzpflicht gegenüber dem Embryo” ausgehe. Obgleich “diese Entscheidung zum Patentrecht ergangen” sei, sei “darauf hinzuweisen, dass der EuGH unter dem Gesichtspunkt der Homogenität seiner Judikatur in anderen Lebenssachverhalten von dieser grundlegenden Wertung nicht abweichen wird können und der somit festgelegte weite Embryonenbegriff zukünftig auch auf andere ethisch sensible Rechtsfelder in Europa ausstrahlen dürfte.”

Das Ausmass der Schlampigkeit, das die Unterzeichner des Mehrheitsvotums bei der Darlegung der “rechtlichen Aspekte der Reform des Fortpflanzungsmedizingesetzes” an den Tag legen – die Entscheidung des EuGH ist nicht das einzige Urteil, das hier unzutreffend wiedergegeben wird – könnte überraschen, liessen sich die Autoren in ihrer Stellungnahme nicht immer wieder zu Formulierung hinreissen, die geeignet sind, jedem Leser klar zu machen, worum es ihnen eigentlich geht. Statt wissenschaftlich redlich den Ist-Zustand zu beleuchten und – warum auch nicht – kritisch zu hinterfragen, geht es hier erkennbar darum, den von der Politik geplanten Umbau der Gesellschaft den Anschein wissenschaftlicher Legitimität zu verpassen.

Wie rudimentär selbst dieser noch ausfällt und wie sicher sich die Autoren des Mehrheitsvotum dabei fühlen, vermögen Passagen wie die folgende eindrucksvoll zu illustrieren. So heisst es etwa in den “abschliessenden Bemerkungen”, welche die 15 Mitglieder des Mehrheitsvotums ihren “Empfehlungen” an die Politik vorangestellt haben, allen Ernstes: “Insgesamt ist zu betonen, dass einer paternalistischen Bevormundung derjenigen, die fortpflanzungsmedizinische Massnahmen in Anspruch nehmen wollen, durch rigorose Gesetze, welche die reproduktive Autonomie mit Rücksicht auf eine weltanschaulich partikulare Auffassung oder ein bestimmtes Familienbild einschränkt, eine klare Absage zu erteilen ist.”

In Anbetracht “des gesellschaftlichen Wandels von Familien- und Lebensformen, der teilweise in einem Wechselverhältnis mit der Entwicklung der modernen Reproduktionsmedizin steh”, könne “der Staat nicht ein bestimmtes Familienbild vorschreiben und seine Befolgung gesetzlich erzwingen wollen”.

Dies ist nicht bloss frech, sondern auch Unsinn. Denn natürlich zwingt der Staat niemandem ein bestimmtes Familienbild auf. Weder in Österreich noch anderswo wird der Versuch unternommen, lesbische Frauen und homosexuelle Männer “umzuerziehen”, noch wird anderweitig versucht, Lesben und Homosexuelle zu einem anderen Lebensstil als dem von ihnen gewählten zu bewegen.

Im Grunde stellt sich die Frage umgekehrt. Was, so wäre zu fragen, legitimiert eine Minderheit, die einen partikularen Lebensstil pflegt, der die menschliche Natur ignoriert, den Staat zu drängen, ihm Zugang zu Methoden der Fortpflanzung zu verschaffen, welche die naturgemässen Konsequenzen, die dieser Lebensstil mit sich bringt, ausser Kraft setzt? Konkreter: Haben etwa zwei lesbische Frauen überhaupt ein Anrecht darauf, dass ein Staat dafür Sorge trägt, dass die Kinderlosigkeit, die mit diesem Lebensstil naturgemäss verbunden ist, umgangen werden kann? Oder: Muss wirklich die Solidargemeinschaft der Krankenversicherten finanziell dafür geradestehen, wenn heterosexuelle Paare – etwa um sich ganz ihrer beruflichen Karriere widmen zu können – eine Familiengründung soll lange hinausschieben, bis diese nur noch mittels künstlicher Befruchtung und/oder fremder Eizell- und Samenspenden möglich wird? Müsste nicht gerade ein liberaler Staat solchen und anderen Menschen vermitteln wollen, wir respektieren die Freiheit, mit der du dich für diesen Lebensstil entschieden hast; nun respektiere du bitte, dass dies Konsequenzen mit sich bringt, die wir nicht anderen aufbürden können? Noch dazu, wo diese Menschen – etwa als Eizellspenderinnen – ihre Gesundheit oder – im Falle von Embryonen – gar ihr Leben aufs Spiel setzen müssten.

Folgt der Gesetzgeber den vom Bundeskanzleramt in Auftrag gegebenen Empfehlungen der Mehrheit der Mitglieder der österreichischen Bioethikkommission, dann wird sich das Land zwar künftig rühmen können, über eines der schrankenlosesten Fortpflanzungsmedizingesetze der Welt zu verfügen. Dem internationalen Fortpflanzungstourismus – der sich stetig neue Ziele sucht und in der Vergangenheit in Europa von Grossbritannien, nach Spanien und Osteuropa wanderte – mag dies sicher zuträglich sein. Auch werden sich die heimischen Reproduktionsmediziner, deren potenzielle Kunden derzeit vor allem nach Tschechien oder Rumänien reisen, sicher über steigende Umsätze freuen können. Von einem “glücklichen Österreich” aber, wie es noch König Matthias Corvinus von Ungarn bewunderte, wird niemand mehr reden wollen.

DieHabsburger

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