Nur das Widerständige bleibt interessant und eine News

Keine Anpassung an Medienwirklichkeit

Die ungeliebte FreiheitMedienwissenschaftler Bolz: Nichts wäre schlimmer, als wenn die katholische Kirche den Weg vieler protestantischer Kirchen einschlagen und sich immer gnadenloser der Medienwirklichkeit anpassen würde.

Berlin, kath.net/KNA, 8. August 2013

Das “Leitmedium Print” wird nach Überzeugung des Berliner Medienwissenschaftlers Norbert Bolz immer stärker durch Online-Medien ersetzt. Springer sei mit seiner Hinwendung zum Internet nur der Vorreiter. Im Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) warnt er zugleich die Kirchen davor, sich zu stark den Medien anzupassen. Denn in der Logik der Medien führten Anpassungen leicht zur Nichtbeachtung und Gleichgültigkeit.

Nur das Widerständige bleibe interessant.

KNA: Professor Bolz, Springer trennt sich von namhaften Zeitschriften und Zeitungen und setzt ganz aufs Internet, die “Washington Post” geht an den weltgrössten Onlinehändler; ist dies ein Wendepunkt?

Norbert Bolz: Das ist eine Zäsur, aber die Entwicklung ist schon lange im Gange. Sie schlägt nun deutlicher auf die Zeitungen durch. Das Leitmedium Print wird durch die digitale Kommunikation ersetzt. Springer ist nur ein Vorreiter. 

KNA: Wie unterscheiden sich beide Medien?

Bolz: Online-Medien sind schneller, fast gleichzeitig. In der Zeitung ist der Abstand zwischen Ereignis und Information grösser. Und die Online-Medien bieten einen rascheren Zugriff auf eine Vielzahl von Informationen durch einen Klick.

KNA: Verkürzt sich damit das Verfallsdatum von Informationen? Wird der Konsum flüchtiger?

Bolz: Die Zeitung hat den Anspruch, dem Leser eine repräsentative Auswahl des Wissenswerten und Wissenswürdigen zu bieten. Auf der Website kann ich mir meine Auswahl selbst zusammenstellen.

KNA: Das wäre kundenorientierter.

Bolz: Ich lasse mich aber immer weniger überraschen, anregen, herausfordern. Im Internet muss ich schon wissen, was ich wissen will, um es zu finden. In der Zeitung suche ich nicht, sondern lasse mich von der Redaktion überraschen.

KNA: Führt das zu einer stärkeren Fragmentierung der Öffentlichkeit?

Bolz: Das glaube ich nicht. Die grossen Weltthemen bleiben bestehen. Schon bei der Einführung der Privatsender dachten viele, dies würde das einigende Band der Information zerreissen. Doch auf allen Kanälen werden dieselben Bilder gezeigt und dieselben Geschichten erzählt. Im Internet ist das nicht viel anders.

KNA: Als Antwort auf das Internet setzen viele Chefredakteure auf den individuellen Zuschnitt, die eigene Story, das Alleinstellungsmerkmal.

Bolz: Auch hier setzt sich ein Trend fort, der stärker auf Autoren setzt: Journalisten werden zu Markenartikeln. Es gibt einen Kampf um Edelfedern.

KNA: Verschärft sich dieser durch die Konkurrenz der Blogger im Netz?

Bolz: Sicherlich setzt das den Journalismus unter Druck. Das Internet ist Demokratie im Sinne einer Emanzipation der Laien. Für den Journalisten wird deshalb neben der Recherche der Stil und die Aufbereitung entscheidend.

KNA: Was bedeutet das für den “normalen” Journalismus?

Bolz: Eine Boulevardisierung. Informationen werden emotional verpackt. Dies hat längst auch ARD und ZDF ergriffen, die sich von der Bildzeitung nur noch graduell unterscheiden.

KNA: Sind damit vertiefte öffentliche Debatten noch möglich?

Bolz: Ich wäre gegen Larmoyanz. Die Personalisierung und Emotionalisierung ist zugleich ein Notwehrreflex gegenüber einer wachsenden Komplexität. Alle grossen Themen – von der Eurokrise bis zu Afghanistan – überfordern den einfachen Bürger und Beobachter.

KNA: Wird die Demokratie stimmungsanfälliger, wenn die Emotionalität in den Vordergrund rückt?

Bolz: Auf jeden Fall. Ich glaube aber nicht im Sinne eines Fanatismus. Die Menschen sind allergisch gegen alle pathetischen Töne.

KNA: Was hält eine Gesellschaft zusammen, wenn der gemeinsame mediale Erfahrungsraum geringer wird?

Bolz: In einer radikal wertepluralistischen Gesellschaft sind es nur noch negative Abgrenzungen. Hier liegt eine wesentliche Funktion der Medien. Wir haben zwar keine Werte, auf die wir uns alle einigen könnten, aber die Medien führen uns jeden Tag vor, was wir nicht wollen. So entsteht ein negativer Wertekonsens.

KNA: Also die Abwehr des “Summum Malum”, des grössten Übels, als ethischer Grundkonsens?

Bolz: Genau das kennzeichnet nach meiner Überzeugung die Moderne.

KNA: Welche gesellschaftliche Rolle spielt dann die Religion, die sich auf ein “Summum Bonum”, auf ein höchstes Gut bezieht?

Bolz: Die Religion besetzt genau diese freie Stelle der positiven Werte.

KNA: Ihre öffentliche Bedeutung scheint aber zu schwinden.

Bolz: Trotz aller plakativer Atheismen ist sie aber weiterhin für die meisten Menschen wichtig. Die Gesellschaft ist weiterhin tief religiös.

KNA: Der kirchlich praktizierte Glaube geht deutlich zurück.

Bolz: Aber nicht das religiöse Bedürfnis. Es sucht sich in unterschiedlichen Ersatzreligionen Befriedigung: von Patchwork-Religiosität bis zu Ideologien. Leider wird dies sogar von einigen protestantischen Kirchen gefördert, nach dem Prinzip: Hauptsache, es wird irgendwas geglaubt.

KNA: Was empfehlen Sie dann den Kirchen?

Bolz: Nichts wäre schlimmer, als wenn die katholische Kirche den Weg vieler protestantischer Kirchen einschlagen und sich immer gnadenloser der Medienwirklichkeit anpassen würde. Sie sollte den Schatz ihrer zweitausendjährigen Lebenserfahrung und Spiritualität wahren und nicht gegen Talkshowtauglichkeit eintauschen.

KNA: Sie sollte also weniger auf Publicity bauen?

Bolz: Ich bin Protestant und kenne nur die Sünden meiner eigenen Kirche. Aber ich hatte noch nie den Eindruck, dass es in der katholischen Kirche einen Zwang zur Anpassung an Erwartungen gibt. Die Medien bieten der Kirche und dem Papst immer wieder an: Wir finden dich gut, wenn du unseren Erwartungen entsprichst. Als sich Benedikt nicht darauf einliess, stempelte man ihn als Reaktionär ab.

KNA: Droht der Kirche damit nicht das mediale Abseits?

Bolz: Ganz im Gegenteil. In der Logik der Medien führt jede Anpassung schliesslich zur Nichtbeachtung und Gleichgültigkeit. Nur das Widerständige bleibt interessant und eine News.

Die Frage ist, ob die Kirche den Mut zur Authentizität aufbringt.

Literatur von Norbert Bolz

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