“Christen im Libanon müssen vereinter sein”
Gespräch mit dem maronitisch-katholischen Patriarchen von Beirut
Bechara Boutros Rai, Maronitisch-katholischer Patriarch von Beirut.
Im Libanon haben zuletzt wegen des Bürgerkriegs in Syrien die Spannungen zwischen den Religionsgruppen zugenommen. Oliver Maksan, Nahost-Korrespondent von Kirche in Not, hat mit dem Patriarchen der Maronitisch-katholischen Kirche, Bechara Boutros Rai, über die aktuelle Lage gesprochen.
Eure Seligkeit, glauben Sie, dass der syrische Bürgerkrieg auf den Libanon übergreifen und zu religiösen Kämpfen zwischen Sunniten und Schiiten führen wird? Dieses Jahr gab es ja schon Kämpfe zwischen beiden Religionsgruppen.
Sicher. Der Bürgerkrieg in Syrien zwischen der sunnitischen Mehrheit und der alawitischen Minderheit beginnt sich schon auf die Sunniten und Alawiten im Nordlibanon, in Tripoli und Akkar auszuwirken. Ausserdem sind die Libanesen in Unterstützer des Assad-Regimes und Unterstützer der Opposition gespalten. Zudem wird der anhaltende politische Konflikt zwischen den Sunniten und den Schiiten aufgrund der syrischen Ereignisse schärfer.
Was können die Christen des Libanon tun, um neue Spannungen in ihrer Heimat zu verhindern?
Die Christen des Libanon müssen wieder vereinter sein und wieder ihrer Verantwortung gerecht werden. Denn sie streben aufgrund ihrer Kultur und geistigen Einstellung immer nach Frieden, Fortschritt und den Werten der Moderne. Sie lieben den Frieden und kämpfen für die Gerechtigkeit. Sie sind zum Zusammenleben und zur Zusammenarbeit mit den Muslimen bereit, ohne Vorurteile und Hintergedanken.
Aber erschwert die Verfassung des Libanon nicht dieses Zusammenleben? Der Staat und seine Ämter sind entlang der Grenzen der Religionsgruppen aufgeteilt. Kritiker meinen, dass so die Gräben zwischen den Religionen auf Dauer verfestigt werden.
Muslime und Christen leben im Allgemeinen in gemischten Gebieten. Der Libanon trennt, anders als alle anderen Staaten der Region, Religion und Staat. Er respektiert dabei Gott und alle Religionen und Bekenntnisse. Der Staat mischt sich nicht in Fragen ein, die das göttliche Gesetz angehen.
Er anerkennt die gesetzgeberische und rechtsprechende Autonomie aller Religionen, was die Fragen der Religion und der Ehe mit ihren zivilen Wirkungen anbelangt. Das wird ‘Statut Personnel’ genannt. Es ist ein Aspekt des Konfessionalismus.
Der andere Aspekt ist die gleiche Teilhabe der Christen und der Muslime an der Macht und der öffentlichen Verwaltung. Um diese Übereinkunft, die auch ‘Pacte National’ genannt wird, zu verstehen, muss man sich daran erinnern, dass alle arabischen Staaten und sogar Israel auf einer islamischen oder jüdischen Theokratie gegründet sind.
Der Libanon ist ein rein ziviler Staat. Er hat keine Staatsreligion, und kein religiöses Buch ist Quelle seiner Gesetzgebung. Es handelt sich um ein gemeinschaftliches Leben, das die Christen, die naturgemäss nach Laizität streben, und die Muslime, die nach Theokratie streben, organisiert.
Der Heilige Vater wird den Libanon im nächsten Monat besuchen, um das Apostolische Schreiben im Anschluss an die Nahostsynode von 2010 zu veröffentlichen. Was erwarten Sie sich davon?
Das Apostolische Schreiben wird gewiss einen Pastoralplan für die katholische Kirche im Nahen Osten entwerfen. Ein guter Teil wird sich mit der Gemeinschaft zwischen den Kirchen, dem Islam und den anderen Religionen befassen.
Ein anderer Teil wird eine Handlungsanweisung für ein gutes christliches Zeugnis sein, sowohl auf der Ebene des täglichen Lebens, auf der Ebene der Dienste, die die Kirche zur Verfügung stellt, als auch auf der Ebene des Beitrags der Christen zur Entwicklung in ihren jeweiligen Ländern.
Des weiteren wird dieses Apostolische Schreiben die Hoffnung beleben und die Völker des Nahen Ostens ermutigen, ihre Einheit und ihr Zusammenleben zu intensivieren und ihre Rolle innerhalb der arabischen wie der internationalen Gemeinschaft zu spielen.
Nun wird die Situation für die Christen im Nahen Osten ja nicht besser. 100 000 Kopten sollen Ägypten seit der Revolution verlassen haben. In Syrien bedrohen sunnitische Extremisten die Christen. Wird der Islamismus die Präsenz der Christen im Nahen und Mittleren Osten beenden?
Nie im Leben. Die Christen sind in den Ländern des Nahen Ostens seit 2000 Jahren verwurzelt, seit den Zeiten unseres Herrn Jesus Christus und der Apostel. Sie haben den örtlichen Kulturen die Werte des Evangeliums eingeprägt. Sie unterhalten ihre verschiedenartigen Einrichtungen und in ihren jeweiligen Ländern eine aktive Präsenz.
Unterdessen ermöglicht ihnen das Leben des Friedens und der Ruhe, die Auswanderung zu vermeiden und weiterhin aktiv zu bleiben. Die Muslime selbst erkennen an, wie wichtig die Präsenz der Christen aufgrund ihrer intellektuellen, moralischen und beruflichen Qualitäten ist.
Wie ergeht es den Maroniten in Syrien? Sind sie von den Kämpfen betroffen?
Den Maroniten in Syrien ergeht es wie ihren christlichen und muslimischen Mitbürgern. Der Bürgerkrieg und die Gewalt verschonen niemanden. Wir haben drei Diözesen in Syrien: Damaskus, Aleppo und Lattakia. Es gibt keine direkten Angriffe auf Maroniten. Denn sie sind respektiert und mischen sich nicht in die Politik ein
Schreibe einen Kommentar