Die Heiligen sind der Schatz der Kirche
Erste Seligsprechung einer Parlamentarierin
Mit Hildegard Burjan wurde am Sonntag im Wiener Stephansdom erstmals eine Parlamentarierin seliggesprochen
“Ich weiss sicher, dass es nur ein wahres Glück gibt, und das ist die Liebe Gottes! Alles andere kann erfreuen, aber Wert hat es nur, wenn es aus dieser Liebe stammt, in ihr begründet ist.”
Wien, Die Tagespost, 30. Januar 2012, von Stephan Baier
Die Politikerin und Gründerin der Schwesterngemeinschaft “Caritas Socialis”, Hildegard Burjan, wurde am Sonntagnachmittag in Wien zur Ehre der Altäre erhoben.
Zwei Premieren brachte diese Seligsprechung der in Görlitz geborenen und in Wien rastlos tätigen Frau: Zum ersten Mal in der 865-jährigen Geschichte des Wiener Stephansdoms wurde in dieser Kathedrale, die zugleich Wahrzeichen der österreichischen Bundeshauptstadt ist, eine Seligsprechung gefeiert. Zwar hatte Papst Johannes Paul II. bei seinem dritten Österreich-Besuch 1998 in Wien die Ordenspriester Jakob Kern und Anton Maria Schwartz sowie Schwester Restituta Kafka seliggesprochen, doch fand die Feier auf dem Heldenplatz vor der Hofburg statt, nicht in der Domkirche. Mit Hildegard Burjan wurde überdies zum ersten Mal eine gewählte Parlamentarierin zur Ehre der Altäre erhoben. Sie war 1919 bis 1920 die erste christlich-soziale Abgeordnete im österreichischen Parlament.
Langer und wechselvoller Prozessverlauf
Die Präsidentin des österreichischen Nationalrats Barbara Prammer (SPÖ) und Vizepräsident Fritz Neugebauer (ÖVP), ebenso Vizekanzler und ÖVP-Vorsitzender Michael Spindelegger, Finanzministerin Maria Fekter (ÖVP) und die vormaligen ÖVP-Spitzenpolitiker Alois Mock und Andreas Khol sassen bei der Seligsprechung in der ersten Reihe des Stephansdoms. Hildegard Burjan war als durchaus erfolgreiche Parlamentarierin eine enge Vertraute des einzigen Kanzlers der Republik Österreich, der zugleich katholischer Priester war – des 1922 bis 1924 und nochmals 1926 bis 1929 regierenden Prälat Ignaz Seipel. Sie verzichtete 1920 auf eine neuerliche Kandidatur, weil sie als 1909 katholisch getaufte Jüdin unter dem wachsenden Antisemitismus – auch innerhalb ihrer Partei – litt, aber Seipel als Parteivorsitzenden nicht in Bedrängnis bringen wollte.
Der Präfekt der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungen, Kardinal Angelo Amato, stand als Hauptzelebrant der Feier vor, bei der 200 Bischöfe und Priester, darunter die fast vollzählige österreichische Bischofskonferenz, der Apostolische Nuntius Peter Stephan Zurbriggen, der Bischof von Görlitz, Wolfgang Ipolt, und sein Vorgänger Rudolf Müller anwesend waren. “Lange, aber mit grosser Freude haben wir auf diesen Tag gewartet”, meinte der Wiener Erzbischof, Kardinal Christoph Schönborn, einleitend. Dann referierte der bischöfliche Beauftragte für die Seligsprechung, der Rektor des römischen Kollegs Santa Maria dell’ Anima, Franz Xaver Brandmayr, die Stationen des 1963 durch Kardinal Franz König eingeleiteten Seligsprechungsverfahrens. Ein “langer und wechselreicher Prozessverlauf” sei es gewesen, bis 2011 das Heilungswunder bestätigt wurde, meinte Brandmayr. Im Verlauf sei aber zum Ausdruck gekommen, dass das Leben Hildegard Burjans für viele Menschen in Kirche und Welt bis heute ermutigend und richtungsweisend ist.
Vizepostulatorin Ingeborg Schödl sagte, das Fundament für das ausgeprägte Verantwortungsgefühl der neuen Seligen sei vom Elternhaus gelegt worden, auch wenn dieses nicht religiös praktizierend war. “Sie fand zu Gott über ein ihr Leben veränderndes Ereignis”, über eine schwere Erkrankung und die am Ostersonntag 1909 eingetretene, natürlich nicht mehr erklärbare Heilung. “Hildegard will ihr neu geschenktes Leben ganz Gott und den Menschen widmen”, so Schödl, die auch erwähnte, dass die Ärzte Burjan während ihrer Schwangerschaft dringend zu einer Abtreibung rieten, sie dies jedoch strikt ablehnte: “Gottes Wille geschehe!” Bei “ihrem Einsatz für die Unterprivilegierten” habe Hildegard Burjan erkannt, dass ungerechte Strukturen durch die Politik zu verändern seien. Schliesslich wurde sie “als verheiratete Frau und Mutter” Gründerin und Vorstand der Schwesterngemeinschaft “Caritas Socialis” (CS).
Gemeinsam mit der heutigen Generalleiterin der CS, Schwester Maria Judith Tappeiner, bat Kardinal Schönborn um die Seligsprechung. Kardinal Amato verlas daraufhin das Dekret in lateinischer Sprache, mit dem Papst Benedikt XVI. die Erlaubnis erteilte, “dass die ehrwürdige Dienerin Gottes, Hildegard Burjan, Ehefrau und Mutter, Gründerin der Schwesterngemeinschaft Caritas Socialis, die im öffentlichen Leben auf christliche Weise eifrig danach strebte, dass das Evangelium als Sauerteig der irdischen Gesellschaft wirke, und dass die Würde der Frau, der Wert der Familie, der menschliche Zusammenhalt sowie das Gemeinwohl gefördert werde, künftig als Selige verehrt wird”. Als Gedenktag setzte der Papst den 12. Juni fest.
Die Reliquien: Ehering, Brosche und ein Knochen
Während das gläubige Volk “Dir sei Preis und Dank und Ehre” sang, wurde vor dem Hochaltar in der Apsis des bis auf den letzten Platz gefüllten Domes ein Porträt der neuen Seligen, eine Aufnahme aus dem Jahr 1928, aufgezogen. In einer Prozession brachten CS-Schwestern und von ihnen betreute Kinder in einem gläsernen Schrein die Reliquien der neuen Seligen zum Altar: ihren Ehering, ihre CS-Brosche und ein Knochenstück. Kardinal Amato überreichte CS-Generalleiterin Tappeiner ein Doppel des Seligsprechungsdekretes.
“Was ist der Stoff, aus dem die Heiligen bestehen?”, fragte der Wiener Erzbischof in seiner Predigt. “Es gibt viele grossartige Menschen, sozial Engagierte, vorbildliche Eheleute und Eltern, beruflich Bewundernswerte, politisch ehrlich und gerade Handelnde. Es gibt gute Christen, glaubwürdige Gläubige”, so Kardinal Schönborn. Das “Mehr” der Heiligkeit beschrieb er so: “Da ist eine innere Quelle, ein Feuer, eine Kraft, da ist eine Dynamik, die aus einer innersten Mitte heraus ein Leben verändert, umgestaltet, im Guten radikalisiert, ein nicht mehr erlahmender Impuls.” Schönborn ging auch auf die Lebenswende Burjans ein, auf die wunderbare Genesung am Ostersonntag 1909, nach sieben Monaten erfolgloser Operationen und Behandlungen, und nachdem die Ärzte sie am Karsamstag bereits aufgegeben hatten. Die Ärzte und sie selbst hätten dies als Wunder angesehen. Kardinal Schönborn bilanzierte: “Sie hatte die Wirkung der Gnade erlebt. Sie weiss, dass Gott ihr an Ostern das Leben neu geschenkt hat. Sie sieht ihr Leben als ein einziges Geschenk. Nichts konnte sie mehr zurückhalten, unermüdlich dort zu sein, wo die Not der Menschen ist.” Hildegard Burjans Vorbild nachzuahmen bedeute, in die “Schule Jesu” zu gehen. Dies sei “genau das Reformprogramm”, das er für die Erzdiözese Wien beabsichtige, sagte Kardinal Schönborn.
Bei der Gabenbereitung wurden symbolträchtig eine Kleinkinderwaage aus einer CS-Einrichtung in Brasilien und ein Hebegurt aus dem CS-Hospiz in Wien als Symbole für den Alltag der Caritas Socialis zum Altar gebracht. Alleine in Österreich beschäftigt die Schwesterngemeinschaft heute 900 hauptamtliche und zahlreiche ehrenamtliche Mitarbeiter, betreibt drei Pflege- und Sozialzentren für alte und chronisch kranke Menschen, Kindergärten und Horte sowie ein Mutter-Kind-Wohnheim und eine Sozialberatungsstelle. Geplant ist derzeit eine Schutzwohnung für Frauen, die Opfer von Menschenhändlern wurden. CS ist darüber hinaus in Brasilien, Ungarn und Deutschland aktiv.
Kardinal Amato erinnerte in seinen Schlussworten daran, dass Papst Benedikt XVI. die Kirche in Österreich innerhalb weniger Monate mit zwei geistlichen Geschenken bereichert habe: mit dem im November in Vorarlberg seliggesprochenen Märtyrerpriester Carl Lampert und nun mit der “weisen Frau”, deren Heiligkeit zur “Quelle ihrer sozialen Dynamik” wurde. “Die Heiligen sind der wahre Schatz der Kirche in Österreich”, sagte der Kurienkardinal.
Kardinal Schönborn verlas im Wiener Stephansdom jene Würdigung Burjans, die der Papst mittags nach dem Angelus auf dem Petersplatz gesprochen hatte. Das Leben der Gründerin der Schwesterngemeinschaft “Caritas Socialis” sei ein “schönes Zeugnis für das Evangelium”, so Benedikt XVI., der die Gläubigen aufrief, dem Vorbild der neuen Seligen nachzueifern: “Nach dem Beispiel von Hildegard Burjan lasst auch uns Boten der helfenden Liebe Gottes sein.” Hildegard Burjan habe Frauen um sich geschart, “die bis heute Quelle dieser Liebe sein wollen, um den notleidenden Menschen Hilfe und Trost zukommen zu lassen”.
HildegardBurjan
Angelus 29.01.2012: Deutscher Gruss des Heiligen Vaters nach Wien
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