Kein Patent auf Leben

Das ist ein wichtiger Beitrag zur politischen Hygiene

Die Tagespost, 19.10.2011, von Stefan Rehder

Wer sich durch die Druckerzeugnisse der deutschen Presselandschaft kämpfte, staunte gestern nicht schlecht. Von einem “absurden Verbot” war dort ebenso zu lesen, wie von einem “Meilenstein der europäischen Rechtsgeschichte”. Tatsächlich ist das im Rechtsstreit über ein Patent des Bonner Stammzellforschers Oliver Brüstle ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) weder das eine noch das andere. Bedeutsam ist die höchstrichtliche Entscheidung, welche die Erteilung von Patenten auf Verfahren und Produkte, die die Tötung menschlicher Embryonen voraussetzen, für unvereinbar mit dem geltenden Gemeinschaftsrecht erklärt, dennoch. Und das aus mehreren Gründen. So ist das Urteil der Luxemburger Richter dazu angetan, auch den Begriffsstutzigsten klar zu machen, dass Europa mehr ist, als eine blosse Wirtschaftsgemeinschaft, in der die Aussicht auf Profit jedes noch so barbarische Mittel heiligt. Der Ethik gebührt in Europa – so lautet das Signal, dass der EuGH mit diesem Urteil an die Mitglieder der Europäischen Union ebenso wie an die übrige Welt ausgesandt hat – auch im 21. Jahrhundert noch Vorrang vor der Monetik.

Das ist ein wichtiger Beitrag zur politischen Hygiene. Dies umso mehr, als der EuGH bei seiner Entscheidung – im Gegensatz zu vielen anderen Gerichten, die heute in Europa Recht sprechen – innerhalb der ihm vom Prinzip der Gewaltenteilung gesetzten Grenzen verblieb. Anders als etwa der Bundesgerichtshof, der sich mit seinem skandalösen Urteil zur Präimplantationsdiagnostik in Deutschland zum Nebengesetzgeber aufschwang, und den Geist, der das deutsche Embryonenschutzgesetz schuf, listenreich ignorierte, stellten die Luxemburger Richter ganz auf die unmissverständliche Absicht des europäischen Gesetzgebers ab, mit der dieser die Biopatentrichtlinie nach jahrelangem Ringen erarbeitet und in Kraft gesetzt hatte. Eigentlich müsste sich ein solcher Respekt vor dem demokratisch gewählten Gesetzgeber, der letztlich nichts anderes als der Respekt vor dem Souverän selbst ist, von selbst verstehen. Da davon aber keine Rede mehr sein kann, kommt das Urteil insofern einem Regen gleich, der über der Wüste niedergeht.

Dass der EuGH die ihm gesetzten Grenzen in vorbildlicher Weise beachtet hat, bringt es auch mit sich, dass das Urteil nicht auch noch das Ende der verbrauchenden Embryonenforschung in Europa einläutet. Das ist und bleibt Aufgabe des Gesetzgebers. Aber indem es den Forschern den Patentschutz auf Verfahren und Produkte verweigert, die aus dieser Forschung erwachsen können, trifft das Urteil die “New Science”, das Bündnis aus Wirtschaft und Wissenschaft, das den Menschen zum Forschungsobjekt degradiert hat, dort, wo es am meisten schmerzt: Mitten ins Portemonnaie. Denn ohne Patentschutz wird das Interesse privater Geldgeber, weiter in die unethische Forschung zu investieren, beträchtlich sinken; erhält ethisch akzeptable Forschung, wie die mit adulten Stammzellen, neuen Aufwind. Erwartet werden darf ferner, dass auch die öffentliche Hand die Verteilung ihrer Forschungsgelder überdenkt. Der 18. Oktober war also ein guter Tag für den Embryonenschutz und ein noch besserer für Europa.

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