Die Einheit der Christen liegt im Gebet
Kardinal Kurt Koch, Präsident des Päpstlichen Rats zur Förderung der Einheit der Christen
Interview mit Kardinal Kurt Koch von Giovanni Cubeddu
Rom, März 2011, 30Giorni
Beim Konsistorium vom 20. November 2010 wurde Kurt Koch von Benedikt XVI. zum Kardinal kreiert. Seit 1995 war er Bischof von Basel, von 2007 bis 2010 Präsident der Schweizer Bischofskonferenz. Am 1. Juli 2010 ernannte ihn der Papst zum Präsidenten des Päpstlichen Rats zur Förderung der Einheit der Christen. In dieser Eigenschaft hat Kardinal Koch bereits dem Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios I., und dem Patriarchen von Moskau und ganz Russland, Kyrill, seinen Besuch abgestattet. Was aber – wie er uns sagt – sein Interesse an den von der Reformation hervorgebrachten Kirchen nicht schmälern kann.
Kurt Koch: Es gibt viele Aufgabenbereiche. Man muss gut unterscheiden zwischen der östlichen und der westlichen Sektion unseres Päpstlichen Rats.
Lassen Sie mich bei ersterer beginnen und an die Begegnung mit den orthodoxen Kirchen erinnern, die im Rahmen der Internationalen Gemischten Kommission für den theologischen Dialog zwischen der katholischen Kirche und der orthodoxen Kirche im September 2010 in Wien zusammentraf. Bei dieser Gelegenheit konnten wir einen wichtigen Schritt machen: wir kamen überein, dass es für die Kirche nicht nur notwendig ist, einen protos zu haben – also einen Gipfel auf lokaler, regionaler und universaler Ebene –, sondern dass auch die historischen Studien hinsichtlich der Frage vertieft werden müssen, in welcher Form der Primat des Bischofs von Rom im ersten Jahrtausend der ungeteilten Kirche existiert hat. Diese Themen wurden schon 2009 bei unserer Begegnung in Zypern behandelt. Die Orthodoxen beschlossen dann aber, diese historischen Studien doch nicht weiterzuverfolgen, da sie der Meinung waren, sie wären zu komplex und entsprächen nicht den Aufgaben der Kommission. Dafür wurden dann aber systematische theologische Studien eingeleitet, die die Beziehung zwischen Primat und Kollegialität analysieren sollen. Dieses Thema wird bei unserer Begegnung nächstes Jahr diskutiert werden.
Im Januar, während der Gebetswoche für die Einheit der Christen, haben Sie eine Studientagung mit den Orthodoxen des Ostens abgehalten.
Wir haben uns in erster Linie auf die christologischen Fragen konzentriert. Einige orientalische orthodoxe Kirchen haben ja das Konzil von Chalzedon des Jahres 451 nicht anerkannt, und von hier musste wieder ausgegangen werden. Das Ergebnis dieser Begegnung war die Erkenntnis, dass unsere Unterschiede nicht im Glauben selbst liegen, sondern gewisse Ausdrucksformen des Glaubens betreffen. 1984 hatten der Papst und der syrisch-orthodoxe Patriarch von Antiochia ein gemeinsames Glaubensbekenntnis unterzeichnet bezüglich der Menschwerdung unseres Herrn Jesus Christus und der gegenseitigen Gastfreundschaft in den Sakramenten der Versöhnung, der Eucharistie und der Krankensalbung in dringenden Notfällen. Heute dagegen wollen wir die ekklesiologischen Fragen und den Petrusprimat klären.
Und was können Sie uns über die westliche Sektion sagen?
Wir können beobachten, dass in den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen eine grosse Fragmentierung im Gang ist.
Es ist also zunächst einmal notwendig, mit den Reformierten über das Wesen der Kirche zu sprechen. Die Erklärung der Kongregation für die Glaubenslehre Dominus Iesus hat nämlich bekräftigt, dass es in der protestantischen Welt keine Kirchen im eigentlichen Sinne gibt, sondern kirchliche Gemeinschaften. Und in seinem Interview-Band Licht der Welt sagt Papst Benedikt, dass wir es hier mit einem anderen Typ Kirche zu tun haben. Und das stimmt ja auch. Es ist nicht unsere Aufgabe, das kirchliche Konzept der Kirchen der Reformation zu definieren. Das müssen sie selbst tun. Das ist der Grund, warum wir uns über die Natur der Kirche austauschen müssen: jede Denomination hat nämlich ihre eigene Vorstellung davon, was die Einheit in ihrem Innern ist. Eines der Ziele der Ökumenischen Bewegung ist die Wiederentdeckung dieser Vielfalt, da es zum Thema der Einheit verschiedene konfessionelle Ideen gibt, die miteinander im Wettstreit liegen. Ein zweiter Aspekt ist die grosse Veränderung, die im Denken der reformierten Gemeinschaften Wurzeln zu fassen beginnt: sie sehen die sichtbare Einheit im Glauben, in den Sakramenten und im Dienst nicht länger als das Ziel der ökumenischen Bewegung, sondern fordern den Fortbestand einer Pluralität von Kirchen, die sich gegenseitig anerkennen, und deren Gesamtheit letztendlich die Kirche Christi hervorbringen würde – vergleichbar vielleicht mit Haushalten, die die Nachbarn dann und wann zu einem Fest einladen. Die Katholiken und die Orthodoxen können sich mit dieser Position nicht anfreunden. Das ist nicht der einzige und ungeteilte Leib Christi, das entspricht nicht dem Gebet Jesu, dass alle Jünger eins seien, wie es der Vater, der Sohn und der Heilige Geist sind.
Was ist die angemessene Antwort?
Ausserhalb der ökumenischen Spiritualität, also ohne Gebet, kann es keinen gemeinsamen Weg geben.
Die Ökumenische Bewegung entstand mit dem Vorschlag, den Monat Januar zum Gebetsmonat für die Einheit zu erklären. Die Idee hatten ein zum Katholizismus konvertierter Anglikaner, Paul Wattson, und ein amerikanischer Episkopalianer, Spencer Jones. Sie fand immer mehr päpstliche Zustimmung, und vertieft wurde der Gedanke dann von Paul Couturier, einem Protagonisten der ökumenischen Spiritualität. Es erinnert uns daran, dass wir Menschen diese Einheit nicht zustande bringen können, wir können höchstens irgendeine historische Übergangssituation zustande bringen, die der Heilige Geist dann nutzt.
Das ist die Grundlage der Ökumene, und genau das möchte ich während meines Mandats vertiefen.
Sie haben vorhin gesagt, dass sich die Christen oft nicht einig darüber sind, wie die Einheit aussehen könnte. Was schlagen Sie vor?
Die Einheit im selben Glauben, in der Feier der Sakramente und in der Anerkennung der Geheimnisse der Kirche bedeutet keine Vereinheitlichung, weil es die Unterschiede zwischen den Kirchen gibt, und es nicht notwendig ist, sie auszulöschen. Wir müssen nur jene davon beseitigen, die zum Bruch zwischen uns geführt haben und der Heilung bedürfen. Die anderen … können ruhig bleiben. Selbst Papst Benedikt hat den Anglikanern, die darum bitten, in die katholische Kirche aufgenommen zu werden, gesagt: ihr könnt eure Traditionen behalten. Das ist die Einheit in der Verschiedenheit und die Verschiedenheit in der Einheit: andernfalls ist es nur eine gleichmachende Vereinigung, die dem Wesen des Katholizismus fremd ist. Die Gesamtheit der religiösen Orden und der Formen kirchlichen Lebens stellt auch in der Geschichte der Kirche einen Garten mit vielen Blumen dar, und wir wollen ihn nicht durch eine Monokultur ersetzen, das ist die Kirche nicht. Dasselbe gilt im Bereich der Ökumene.
Mit der Apostolischen Konstitution Anglicanorum coetibus konnte der gemeinsame Weg mit den Anglikanern Fortschritte machen.
Die Kirche Englands ist entstanden, weil der Papst die zweite Heirat des Königs nicht akzeptierte, und das hat auf eine gewisse Weise garantiert, dass die Anglikaner im Grunde katholischer geblieben sind als andere. In der Römischen Kurie haben wir eine klare Trennung der Zuständigkeitsbereiche. Die Kongregation für die Glaubenslehre hat die Verantwortung für Anglicanorum coetibus; der Päpstliche Rat zur Förderung der Einheit der Christen treibt den ökumenischen Dialog voran.
Kommen wir wieder auf die verschiedenen Vorstellungen von Einheit zurück.
Es gibt sozusagen zwei Ökumene-Stile. Der eine sucht die sichtbare Einheit; dafür arbeitet und betet er. Der andere lässt die heutige Pluralität bestehen, kodifiziert sie, und verlangt die letzte Anerkennung aller Kirchen als “Teilhaber” der Kirche Christi. Die katholischen Bischöfe, Orthodoxen und Lutheraner, die den ersten Weg unterstützen, sind glücklich darüber, dass der Hl. Stuhl die Einheit und die Pluralität vorschlägt; die anderen sind es weniger. In seiner Predigt bei der Vesper am Fest der Bekehrung des Paulus, zum Abschluss der Gebetswoche für die Einheit der Christen, hat Papst Benedikt gesagt, dass wir nicht auf das Ziel der Ökumene – also der sichtbaren Einheit im Glauben, in den Sakramenten und im Dienst – verzichten können.
Im Text des ökumenischen Direktoriums wird an mehreren Stellen daran erinnert, dass es ausserhalb der sichtbaren Grenzen der katholischen Kirche Heilsmittel gibt.
Die Kirche Jesus Christi ist keine abstrakte Idee, die es noch nicht gibt. Sie ist in der katholischen Kirche, verstanden als historisches Subjekt. Und das bedeutet keinesfalls, dass die Katholiken bessere Christen seien als die anderen, sondern nur, dass es in der katholischen Kirche die Heilsmittel gibt. Das ist ein objektives Faktum. Wenn ich also höre, dass es protestantische Gläubige gibt, die katholisch werden wollen, sage ich ihnen: “Ihr müsst nichts aufgeben, ihr bekommt etwas dazu”: die Heilsmittel, die es in der katholischen Kirche gibt. Und die kein Verdienst der Kirche sind, sondern ein Geschenk des Herrn.
Darin ist bereits impliziert, dass es auch in den anderen kirchlichen Gemeinschaften Heilsmittel gibt.
An welchem Punkt ist der Dialog mit den Kirchen der Reformation angelangt?
Mit ihnen können wir gewiss nicht beim Primat beginnen. Aus der Reformation ist eine andere Kirche entstanden, und das war nicht das, was Luther angestrebt hatte. Er hatte die Erneuerung der katholischen Kirche verlangt. Der protestantische Ökumene-Experte Wolfhart Pannenberg hat einmal gesagt, die Existenz neuer Kirchen sei nicht der Erfolg, sondern die Niederlage der Reformation gewesen. Dieses Urteil ist mir sehr hilfreich, wenn ich an das Jahr 2017 denke, den 500. Jahrestag der Reformation. Ich frage mich nämlich, wie die Protestanten selbst heute die Reformation sehen: als eine Verpflichtung zur Erneuerung oder als einen Bruch? Mich persönlich interessiert es sehr, dass die Reformationisten nicht nur von den 500 Jahren sprechen, die seit dem Bruch vergangen sind, sondern auch und vor allem von den 2000 Jahren des Lebens der Kirche, von denen wir 1500 gemeinsam verbracht haben. Es freut mich sehr, dass sich der neue Vorsitzende der evangelischen Gemeinde der Schweiz, Pastor Gottfried Locher, nicht als Protestanten, sondern als reformierten Katholiken bezeichnet hat. Also als einen Katholiken mit der Erfahrung der Reformation, die sich auch die Grundlage unseres gemeinsamen apostolischen Glaubens seit 1517 bewahrt hat. Ich hege die Hoffnung, dass man die Dinge auf diese Weise sieht.
Glauben Sie, auch für die Einheit der Kirche in China etwas tun zu können?
Dazu gab es bisher noch keine Gelegenheit. Das liegt vor allem im Kompetenzbereich des Staatssekretariats. Es ist uns bekannt, wie delikat diese Angelegenheit ist und wie einfühlsam der Brief war, den Benedikt 2007 an die chinesischen Gläubigen geschrieben hat. Wenn unser Rat in Zukunft etwas leichter machen kann, ist das nur willkommen …
Inwiefern?
Das wird von dem abhängen, was die zuständigen Organismen der Kurie verlangen werden. Was aber China betrifft, habe ich mit meinem persönlichen Gebet bereits alles getan, was ich tun kann.
Im Dialog mit den Juden fehlt es nicht an Anregungen. Begonnen bei dem Hinweis, der aus dem Interviewband des Papstes ergeht, also dem Folgen dessen, was Paulus bezüglich der Beziehung zwischen Christen und Juden gesagt hat.
Ich bin überzeugt von dem Wert dessen, was uns Paulus vermittelt hat, er hilft uns heute noch. Ebenso überzeugt bin ich davon, dass der Papst beim Abfassen der neuen Version des Karfreitagsgebets Paulus gefolgt ist. Papst Benedikt ist sehr sensibel für das Thema der Juden. Das sieht man schon daran, dass er sie nicht mehr “unsere älteren Brüder” nennt, weil er sich der Problematik dieser Definition im Alten Testament nur allzu bewusst ist. Ich würde gerne einen theologischen Dialog vertiefen.
Über welche Themen?
Die Christen glauben an die Heilsunversalität in Jesus Christus, auf der anderen Seite sagt man aber, dass eine Mission den Juden gegenüber absolut unmöglich sei. Wie können diese beiden Behauptungen nicht inkompatibel sein? Deshalb hat auch das neue Karfreitagsgebet so viele Diskussionen ausgelöst.
Ich würde gerne besser verstehen, was der christliche Glaube und die Beziehung zwischen Juden und Christen für einen Juden bedeuten. Der Dialog von Papst Benedikt mit dem Rabbiner Neusner, im ersten Buch Jesus von Nazareth, ist eine Offenbarung für mich, es ist genau der theologische Dialog, den ich mir vorstelle. Bezüglich der systematischen Mission den Juden gegenüber kann ich sagen, dass sie die Kirche nicht sucht. Aber wir Christen bekennen den Glauben an Jesus, wobei wir in unserem Zeugnis stets die Freiheit des anderen respektieren.
Gibt es ein Leitmotiv, das Sie seit dem Beginn Ihrer Arbeit in Rom begleitet?
Manche sagen, Benedikt XVI. sei nicht an der Ökumene mit den aus der Reformation entstandenen Kirchen interessiert, da uns die orthodoxen Kirchen näherstehen, aber diese Behauptung entspricht nicht der Wahrheit. Als mich der Papst bat, dieses Amt anzunehmen, sagte er, es sei notwendig jemanden zu haben, der die aus der Reformation geborenen kirchlichen Gemeinschaften nicht nur aus Studien kennt, sondern aus Erfahrung. Der Papst setzt grosse Hoffnungen auf die ökumenische Bewegung. In der Tat haben wir ja auch diesen Text, das ökumenische Direktorium, das uns daran gemahnt, dass jeder Bischof in seiner Diözese der Hauptverantwortliche für die Ökumene ist. Es wird immer für alle nützlich sein, dieses Dokument zu lesen und zu Rate zu ziehen. In jeder Diözese gibt es besondere ökumenische Realitäten, und der Ortsbischof hat die erste Verantwortung ihnen gegenüber. Unser Päpstlicher Rat will auch im Dienst der Ortskirche stehen, wenn das verlangt und gewünscht wird.
30Giorni: Quelle
Die.Geschichte der Ökumene
Sinn der Ökumene
Dominus.Jesus: Erklärung über die Einzigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche
Schweizerischer.Evangelischer.Kirchenbund
Gottfried.Locher
Brief.Papst.Benedikt.XVI.: China
Erläuternde-Anmerkung: Vatikan China
Volksrepublik.China
Direktorium zur Ausführung der Prinzipien und Normen über den Ökumensimus: Vatikan
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