Ansprache von Johannes Paul II.

An die katholischen Theologieprofessoren von Chur, Luzern und Freiburg

Universität Freiburg, Mittwoch, 13. Juni 2011

Messieurs les Professeurs,

4. Die Ausübung seiner Sendung verbindet den Theologen eng mit dem Gesamtgeschehen der Kirche. Für das Volk Gottes legt er die Heilige Schrift aus und erläutert er die Tradition in Einheit mit dem Lehramt. Seine Arbeit ist auf das Lehramt bezogen, ohne jedoch mit diesem zu verschmelzen. Hören wir hierzu vor allem das II. Vatikanische Konzil, das in der Konstitution über die göttliche Offenbarung sagt: “Es zeigt sich . . ., dass die Heilige Überlieferung, die Heilige Schrift und das Lehramt der Kirche gemäss dem weisen Ratschluss Gottes so miteinander verknüpft und einander zugesellt sind, dass keines ohne die anderen besteht und dass alle zusammen, jedes auf seine Art, durch das Tun des einen Heiligen Geistes wirksam dem Heil der Seelen dienen” (Dei Verbum, 10). Das Konzil spricht hier eine methodische Grundregel der Theologie aus: Diese stützt sich auf alles, was der Kirche anvertraut ist – auf das überlieferte Glaubensgut (depositum fidei) – und auf die Entscheidungen, die das Lehramt der Kirche im Laufe der Geschichte getroffen hat.

Im Gnadenlicht des Heiligen Geistes ergänzen sich diese verschiedenen Funktionen. Der Papst und die Bischöfe in Einheit mit ihm haben als erste die Aufgabe, den Glauben zu verkünden und die Authentizität seiner Ausdrucksformen festzustellen. Kraft ihres bischöflichen Amtes bestärken sie die Sendung der Theologen und haben ihnen gegenüber eine regulierende Funktion. In einem brüderlichen Dialog und durch offene, vertrauensvolle Begegnungen müsste es möglich sein, Fragen und mögliche Besorgnisse der einen wie der anderen Seite besser verstehen zu lernen. In diesem Geist vertrauensvoller Verbundenheit bin ich heute zu Ihnen gekommen.

Eine solche gegenseitige Solidarität ist umso notwendiger, weil die Aufgabe des Theologen schwierig und risikoreich ist. Er muss u.a. auch kontroverse Fragen studieren; das ist seine Pflicht. Weil er aber nicht nach eigenem Gutdünken wirkt noch im Dienst einer einzelnen Gruppe steht, ist er nicht zum Richter berufen, sondern zum loyalen Mitarbeiter derjenigen, die durch ihr Amt die Aufgabe der Einheit für alle haben; er muss es auch hinnehmen können, dass er von seiner Ebene aus nicht alle Probleme lösen kann, die sich ihm stellen.

Eine solch anspruchsvolle Arbeit nach den strengen Regeln der Wissenschaft muss sich mit der demütigen Haltung eines Jüngers des Herrn verbinden; sie muss mit innerer Zustimmung von der Tatsache ausgehen, dass Freiheit der Forschung keine völlige Autonomie bedeutet, sondern sich nach ihrem Objekt richtet und dem Volke Gottes dienen soll. Durch einen Grösseren als wir, durch Christus, ist uns die Verantwortung für die “paedagogia fidei”, die Glaubenserziehung, übertragen; darum müssen wir besonders auf die “Schwachen” und die “Armen” achten. Die meisten Forschungsergebnisse würden dadurch gewinnen, dass sie durch andere Gelehrte jenseits der Grenzen einer theologischen Schule oder eines Landes geprüft werden, bevor man sie der breiten Öffentlichkeit vorstellt. Man muss darauf achten, jene Gläubigen, die in Glaubensfragen weniger unterrichtet sind, nicht zu verwirren, indem man sie offiziell nicht anerkannten und bisweilen noch unausgereiften Thesen ohne genügende Differenzierung aussetzt.

5. Ich weiss um Ihre nicht leichte Aufgabe. Sie verlangt von Ihnen eine umso grössere Uneigennützigkeit, je mehr Sie Ihren Auftrag mit Leidenschaft erfüllen. Bleiben Sie sich deshalb stets bewusst, daß der Gegenstand Ihrer Forschung und Lehre die Offenbarung Gottes für das Heil der Menschen ist. Grundlage auch Ihres Engagements ist es, Ihrer Tätigkeit entsprechend Jünger Christi, unseres Herrn und Erlösers, zu sein: Das entscheidende Licht auf Ihrem Weg empfangen Sie durch das Gebet, in der Betrachtung des Geheimnisses Christi. Dort finden Sie die wahre Weisheit. Wenn man sich im Glauben durch Christus ergreifen lässt, entdeckt man, dass ihm, dem einzigen Meister, zu dienen eine Quelle tiefster Freude sein kann. Wenn man sich vom Geist der Liebe leiten lässt, entdeckt man das Glück echter Freiheit (2 Kor. 3, 17).

Sie sind mit vielen Geistesgaben beschenkt. Nach dem Mass dieser Gaben sind Sie berufen, Zeugen Christi in dieser Welt zu sein, wo viele Menschen nach Licht im Glauben suchen, wo viele Brüder und Schwestern sogar zum entscheidenden Zeugnis, dem Martyrium, gerufen sind.

6. Als Zeugen des kirchlichen Glaubens haben Sie darin eine besonders wichtige Verantwortung, dass Sie von den schweizerischen Bischöfen beauftragt sind, für die theologische Ausbildung der Kandidaten zum Priesteramt in ihren Diözesen Sorge zu tragen. Sie leisten so für die Kirche einen erstrangigen Dienst. Sie wissen, dass dieser auch mir sehr am Herzen liegt; denn ich denke an all jene Gemeinden, in welche diese Seminaristen einmal gesandt werden und die mit ihrem Dienst rechnen.

Sie leiten diese jungen Menschen an, die Heilige Schrift mit Gewinn zu lesen, die Reichtümer der Tradition zu entdecken und ein kritisches Verständnis für die Probleme des Menschen zu entwickeln. Es ist von Vorteil, daß das Hochschulniveau dieser Studien es den jungen Menschen ermöglicht, ihr Urteilsvermögen zu stärken und sich zuverlässige wissenschaftliche Methoden anzueignen, indem man sie mit theologischer Forschung vertraut macht.

In Ihren Fakultäten teilen die Seminaristen ihre theologische Ausbildung mit anderen Studenten, die nicht beabsichtigen, Priester zu werden. Das gibt den einen wie den anderen die Gelegenheit, die besondere Rolle des von Christus eingesetzten Priestertums von den verschiedenen Diensten, die Laien in der Kirche übernehmen können, zu unterscheiden. Es ist darum wichtig, mit den Studenten die Ekklesiologie des Konzils sowie die Theologie der Sakramente und des Priesteramtes besonders zu vertiefen.

Sie wissen allerdings auch, dass man diese beiden Ausbildungswege nicht voll und ganz miteinander vermischen darf. Wegen der besonderen Verpflichtung, auf die sich die Seminaristen vorbereiten, und ihrer bevorstehenden Aufnahme in das Presbyterium ihrer Diözese müssen sie in den Jahren ihrer Vorbereitung auf die Priesterweihe bereits in einem priesterlichen Klima leben. Sie brauchen eine eigenständige geistliche Begleitung in einem Seminar, wo das Gebet, das liturgische Leben und die Betrachtung des Priestertums breiten Raum einnehmen. Eine solche Einrichtung, in der sie vom Beginn ihrer Studien an zusammenleben, begünstigt ihre Verbindung mit dem Bischof und den Priestern der Diözese. Es ist sogar wünschenswert, dass sie solche pastorale Erfahrungen machen, durch die sie ihren künftigen Dienst kennenlernen und ihre Antwort auf die besondere Priesterberufung festigen können. Ihre Ausbilder sollten bezeugen, dass man es sich nicht selbst aussucht, Priester zu sein, sondern dass man dazu berufen wird, ja, dass das Priestertum einer der schönsten Dienste ist, den Gott anvertraut, und dass dieses dem Herrn geweihte Leben zur Freude führen kann! Möge das Zeugnis der theologischen Lehrer dazu beitragen, echte Diener des Evangeliums im Priesteramt der Kirche heranzubilden!

7. Zum Abschluss möchte ich die Worte des hl. Paulus aufgreifen: “Als Diener Christi soll man uns betrachten und als Verwalter von Geheimnisses Gottes. Von Verwaltern aber verlangt man, dass sie sich treu erweisen” (1 Kor. 4, 1-2). Möge Gott Ihnen geben, treu befunden zu werden in der Erfüllung der grundlegenden Aufgaben, die die Kirche Ihnen anvertraut, verbunden mit der Freude, den Menschen im Geist Christi zu dienen! Ich bin froh über diese heutige Begegnung mit ihnen und bitte den Herrn von ganzem Herzen, Sie zu segnen.

© Copyright 1984 –  Libreria Editrice Vaticana

Quelle

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Die drei Säulen der röm. kath. Kirche

monstranz maria papst-franziskus

Archiv

Empfehlung

Ausgewählte Artikel