Ökumenischer Streichelzoo
Woche für das Leben
Woche für das Leben
Die Tagespost, 12. April 2013, von Stefan Rehder
Heute starten die katholische und die evangelische Kirche in Deutschland “Die Woche für das Leben”. Nach “Engagiert für das Leben: Einsatz mit Gewinn” (2011) und “Engagiert für das Leben: Mit allen Generationen” (2012) stehen die kommenden sieben Tage diesmal unter der Überschrift: “Engagiert für das Leben: Zusammenhalt gestalten”.
“Was erlauben Kirchen?”, mag da mancher denken und sich in Contenance üben, um nicht – wie weiland Giovanni Trapattoni nach einem verlorenen wichtigen Fussballspiel – dieselbe zu verlieren. Da ist der Mutterleib der gefährlichste Ort der Republik – hier sterben jedes Jahr rund 40 Mal so viele unschuldige Menschen wie auf unseren Strassen. Da preisen Wissenschaftler aus künstlich erzeugten und dann getöteten menschlichen Embryonen gewonnenen embryonalen Stammzellen als kostengünstige Alternative zu Tierversuchen. Da fördert der Staat mit den Steuergeldern seiner Bürger die Entwicklung eines Gentests, der Kinder mit Trisomie 21 schneller und sicherer ausfindig macht als je zuvor. Da wird immer lauter darüber nachgedacht, wie Hochbetagten ein “sozialverträgliches Ableben” schmackhaft gemacht werden könne – und den Kirchen fällt in der “Woche für das Leben” nichts Anderes ein, als sich gemeinsam drei Jahre lang mit Facetten der Stärkung des ehrenamtlichen Engagements zu befassen? Eines Themas, das längst von jeder politischen Stiftung und nahezu jedem Ortsverein der im Bundestag vertretenen Parteien mindestens einmal vor- und rückwärts durchbuchstabiert wurde.
Wenn das der grösste gemeinsame Nenner sein soll, auf den sich das gesellschaftspolitische Engagement beider Kirche für das Leben bringen lässt, dann steht es um die Ökumene nicht nur schlechter als gedacht, dann lohnt es sich, ernsthaft darüber nachzudenken, ob sie künftig nicht wieder besser getrennte Wege gingen. Denn einen weiteren ökumenischen Streichelzoo, in dem sich protestantische Kirchenrätinnen und katholische Geistliche ihrer gegenseitigen Wertschätzung versichern – für Christen gleich welcher Konfession eigentlich eine Selbstverständlichkeit – braucht niemand.
Was heute nottut, ist das überzeugend gelebte christliche Bekenntnis in mitten einer zunehmend atheistisch geprägten Welt. Eines, das die tatkräftige Sorge um die Wohlfahrt der Schwachen einschliesst. Aber eben auch eines, das das Recht der Unschuldigen und Wehrlosen auf Leben nicht ausschliesst oder aus dem Blick geraten lässt. Die Ehrfurcht der Christen vor dem Leben war einmal ihr Erkennungszeichen. So heisst es in einem Brief aus dem 2. Jahrhundert: “Die Christen sind weder durch Heimat, noch durch Sprache, noch durch Sitte von den anderen Menschen geschieden (…). Sie beteiligen sich an allem wie Bürger und ertragen alles wie Fremde (…). Sie heiraten wie alle anderen. Sie zeugen Kinder. Aber sie setzen die Kinder nicht aus (…).” So gesehen ist es eine Tragödie, was aus der “Woche für das Leben”, die 1991 von der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken ins Leben gerufen wurde, geworden ist. Ziel war es, “für den Schutz des ungeborenen Lebens” zu werben. Davon kann heute – seit 1994 richtet die DBK die “Woche für das Leben” gemeinsam mit der EKD aus – leider keine Rede mehr sein.
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