Die Kirche braucht unbedingt die eucharistische Anbetung
….bei der sie ganz beim Herrn ist
Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst: ‚Es ist notwendig, den Blick mehr auf das zu richten, was aufbricht, wo etwas zu wachsen beginnt. Denn dies hat mit Morgenröte, mit Zukunft zu tun’. Die Bedeutung der Auskunftsfähigkeit. Von Armin Schwibach
Rom, kath.net/as, 29. Oktober 2012
Der Bischof von Limburg, Franz-Peter Tebartz-van Elst, gehörte zur Gruppe der vier Vertreter des deutschen Episkopats, die an der Bischofssynode zum Thema “Die Neue Evangelisierung für die Weitergabe des Glaubens” (7. – 28. Oktober 2012) teilgenommen haben.
In einem Gespräch mit kath.net betonte der Bischof die Bedeutung der “mystagogischen Predigt” und unterbreitete seine Einschätzung der Bedeutung des II. Vatikanischen Konzils für den Weg des “pilgernden Gottesvolkes”. Dieses Bild lasse immer auch “die vertikale Dimension des Glaubens im Blick behalten. Diesen Reichtum gilt es in allem wach zu halten.”
“Die Kirche in unserer Zeit braucht unbedingt die eucharistische Anbetung, bei der sie ganz beim Herrn ist. Je mehr sie dort ist, desto näher ist sie auch bei den Menschen: Das ist die Hinwendung in Nächstenliebe an den Menschen aus dem Geist des Evangeliums. Beides lässt sich nicht voneinander trennen. Es bedarf dieses Bewusstseins, damit es nicht zu gefährlichen Entwicklungen kommt, bei denen das eine gegen das andere ausgespielt wird. Es ist katholisch, dies gemeinsam zu sehen. Dass die Liebe zu Gott sich in der Liebe unter den Menschen widerspiegelt, macht das Zeugnis der katholischen Kirche an vielen Orten der Welt so kraftvoll.”
Kath.net dankt Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst für seine umfangreichen Erläuterungen.
Am 11. Oktober 2012 eröffnete Papst Benedikt XVI. feierlich das “Jahr des Glaubens”. Der Papst stellte dieses besondere Jahr der Vertiefung des Glaubens bewusst in die Nachfolge des Jahres des Glaubens, das Paul VI. 1967 ausgerufen und 1968 mit dem feierlichen “Credo des Gottesvolkes” abgeschlossen hatte. Die grossen Umwälzungen jener Jahre hatten es für den Papst notwendig gemacht, dass 1900 Jahre nach dem Martyrium der Apostel Petrus und Paulus die ganze Kirche eine “genaue Kenntnis ihres Glaubens” wiedergewinne, “um ihn neu zu beleben, ihn zu läutern, zu festigen und zu bekennen”.
Exzellenz, worin sehen Sie die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen diesen beiden Jahren des Glaubens?
Wir alle wissen, was in jenen Jahren an gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen und Veränderungen aufkam. In dieser Situation erkannte Papst Paul VI. die Notwendigkeit, aus dem Geist des Konzils heraus auf die Quellen des Glaubens zu schauen. In einer Zeit, die von den verschiedensten Themen stark besetzt war, musste das Tragende des Glaubens in den Blick genommen werden.
Heute haben wir es eher mit der Besorgnis darüber zu tun, wie der Glaube im inhaltlichen Bewusstsein verdunstet ist. Es ist erkennbar, wie notwendig es für die Glaubensidentität in einer bisweilen nachchristlichen Gesellschaft ist, dass einzelne Christen in der Lage sind zu sagen, wo ihnen das inhaltliche Bekenntnis unseres Glaubens zur persönlichen Erfahrung geworden ist. Vorrangig ist heute, die Auskunftsfähigkeit im Glauben zu erlernen und bezeugen zu können, wo der Glaube einen selbst getragen hat. In diesem Sinne werden dann auch diejenigen, die auskunftsfähig sind, zu Orientierung für Suchende. Hinsichtlich des grossen Themas der vergangenen Synode – Neuevangelisierung – ist deutlich geworden: Neuevangelisierung hat dann eine Chance, wenn diejenigen, die den Glauben weitergeben wollen, selbst evangelisiert worden sind, wenn sie die Erfahrung persönlicher Umkehr und des persönlichen neuen Aufbruchs bezeugen und weitergeben können.
Wäre es nicht an der Zeit, dass die Bischöfe wieder mutig auftreten, sich vor die ihnen anvertraute Herde stellen, sie in Katechese und Predigt unterweisen und führen? Warum gibt es keine Predigten zur Glaubensgründung mehr? Wieso werden klare und der Lehre unzweideutig entsprechende Worte vermieden? Was kann man tun, im die Katechese erfolgreicher zu gestalten?
Wir haben bei der Synode in einer “propositio” ausdrücklich herausgehoben, wie wichtig Predigten und katechetische Predigten zum Glaubensinhalt, zu den Sakramenten der Kirche und zum sakramentalen Wesen der Kirche sind. Das kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Hier gibt es einen Prozess des Lernens und des Wiederentdeckens dieser Urformen der Katechese – schon die Kirchenväter haben die katechetische Predigt bzw. die mystagogische Predigt gekannt. Auf der Synode war es für mich sehr ermutigend, von den Erfahrungen einiger amerikanischer Bischöfe zu hören: Sie haben bezeugt, dass dieser mystagogische-katechetische Schwerpunkt der Glaubensweitergabe in ihren Diözesen erste Früchte hervorbringt.
Es gibt einen grossen Hunger der Menschen nach inhaltlicher Orientierung. Das kann man überall feststellen. Ich halte es für ganz notwendig, dass wir uns als Bischöfe, als Kirche darum bemühen, die katechetische Predigt auch im Sinne der Auskunftsfähigkeit neu zu bedenken und sie wieder zu praktizieren. Wesentlich dafür ist die Auslegung der Heiligen Schrift, wie sie am Sonntag verkündet wird. Es geht um die Verbindung von Schrift und Glaubensinhalt, der im Schriftbekenntnis des jeweiligen Sonntags zum Ausdruck kommt. Je klarer und intensiver ich in dem Zusammenhang die Heilige Schrift betrachte und den Glauben der Kirche vergewissere, desto klarer werde ich auch in meinen Äusserungen.
Die intensive persönliche Beschäftigung mit dem Wort Gottes ermöglicht es, auch anderen Orientierung zu geben. Deswegen ist für jede katechetische Predigt die Betrachtung eine Grundvoraussetzung. Wo ich selbst immer aus dem Gebet komme, kann ich von Gott her weitergeben, was durch den Dienst – in diesem Fall den bischöflichen Dienst – von Gott auch weitergegeben werden soll.
“Glaube und Vernunft“ ist eines der Hauptthemen dieses Pontifikats. Der Papst wird es nicht müde, eine “weite” und starke Vernunft einzufordern. Angesichts eines der Irrationalität verfallenen Relativismus nimmt es paradoxe Züge an, dass es gerade der Glaube ist, der die Vernunft verteidigt und deren Wahrheitsfähigkeit bekräftigt.
Welche Rolle spielt die “Vernunft” im Prozess der Neuevangelisierung? Kann die Vernunft die Neuevangelisierung davor bewahren, zu einem rhapsodischen Ausdruck guten Willens zu werden, der sich jedoch auf einer Ebene der reinen Emotion verliert, so er nicht klar bestimmt wird? Bedürfte die “fides quae” nicht einer vermehrten und fundierten Katechese?
Wir haben in der Theologie jenes sehr bekannte Wort von der “fides quaerens intellectum”. Es ist wichtig, Glaube und Vernunft zusammenzubringen, wie dies Papst Benedikt XVI. als hervorragender und ganz grosser Theologe und Wissenschaftler auch immer verstanden hat. Glaube und Vernunft sind kein Gegensatz. Dies gilt es in ganz konkreten Fragestellungen auszubuchstabieren. Gerade auch junge Menschen sollen in diesen gedanklichen Prozess mit all ihren Anfragen hineingenommen werden.
Das war auch der Kern der Ansprache, die Papst Benedikt XVI. im vergangenen Jahr vor dem Deutschen Bundestag gehalten hat. Erneut hatte der Papst verstehen lassen, dass das Naturrecht in seiner bleibenden Bedeutung herausgestellt werden muss und dass sich dies nicht gegen die Vernunft richtet oder auf kosten wissenschaftlicher Erkenntnisse erfolgt. Es trägt im Gegenteil dazu bei, dass der Mensch angesichts wachsender Erkenntnisse, die er auch wissenschaftlich gewonnen hat, immer mehr auch am Schöpfungswillen Gottes teilnimmt, wenn er es versteht, damit verantwortlich und verbunden mit einem entsprechenden Ethos umzugehen.
Papst Benedikt XVI. hat in diesem Zusammenhang von der “Ökologie des Menschen” gesprochen: zu sehen, was ihm gut tut an Seele und Leib. In diesem Sinne braucht es eine Vernunft, die um den Menschen weiss, wie er als von Gott Geschaffener ist. Neben der vielfältigen wissenschaftlichen Reflektion über den Menschen braucht es auch die Wachsamkeit und Offenheit für das, was seine Seele ausmacht.
Das gehört von Anfang an zum Wesen missionarischer Verkündigung in der Kirche. Gerade auch in den ersten Jahrhunderten ist es ihr gelungen, Glaube und Vernunft zusammenzuführen, was der Kirche grosse Attraktivität und missionarische Aktivität verliehen hat. Darin haben die Menschen den weiten Horizont des christlichen Glaubens entdeckt.
Neuevangelisierung und Säkularisierung: das Christentum steht für Benedikt XVI. in einer ewigen Morgenröte und ist immer jung. In dieser Hinsicht bedeutet für den Papst die Rede vom “aggiornamento” keinen “Bruch mit der Tradition”. Sie will vielmehr deren “beständige Vitalität” zum Ausdruck bringen. “aggiornamento” bedeutet nicht, den Glauben zurückzuschneiden und ihn auf die Moden der Zeit herunterzudeklinieren, “auf das Mass dessen, was uns gefällt, was der öffentlichen Meinung gefällt”.
Worin sehen Sie die Hauptchancen der aktuellen Synode bei ihrer Aufgabe der Reflexion über die weltweit anstehenden Probleme und vor allem gegenüber dem von Kardinal Wuerl festgestellten “Tsunami” der Säkularisierung der nachkonziliären Zeit? Und die Gretchenfrage: Warum konnte die Kirche, die gerade noch unter dem Eindruck des Weltereignisses “II. Vaticanum” stand, der Wucht der Säkularisierung nicht widerstehen?
Man muss zunächst die Säkularisierung in ihrer ganzen Ambivalenz wahrnehmen. Auf der einen Seite ist in der Tat eine besorgniserregende Relativierung absoluter Werte zu verzeichnen und damit auch die Notwendigkeit des klaren Bekenntnisses, das die Christen zu geben haben. Kardinal Wuerl hat in seiner Eröffnungsansprache etwas gesagt, was mich sehr beeindruckt hat: “Wo Gott aus dem Blick gerät, verändert sich auch das Bild vom Menschen.” Gerade im bioethischen und medizinischen Bereich erleben wir derzeit mit grosser Sorge, was geschieht, wenn Gott nicht mehr als der Herr über Leben und Tod im Bewusstsein ist.
Gleichzeitig muss man jedoch auch sehen, dass die Säkularisierung, so man sie im Kontext der Geistesgeschichte sieht, natürlich auch die Möglichkeit mit sich gebracht hat, dass sich Menschen bewusster für den Glauben entscheiden können, was nicht zu allen Zeiten so möglich war. Wenn wir der Versuchung widerstehen, uns im Relativismus zu verlieren, liegt darin auch eine grosse Chance, die die Kirche missionarisch nutzen kann, wenn sie auskunftsfähig ist.
Das Wort des Heiligen Vaters “Die Kirche steht in der ewigen Morgenröte” bedeutet, diese grosse Chance zu ergreifen. Es ist in allen Veränderungen unserer Zeit notwendig, den Blick mehr auf das richten, was aufbricht, wo etwas – auch wenn es noch kleine Pflänzchen sind – zu wachsen beginnt. Das hat mit Morgenröte, mit Zukunft zu tun. Der frühere Kardinal von Paris, Jean-Marie Lustiger, hat gesagt: “Das Christentum hat seine grosse Zeit noch vor sich.” Der Blick auf die frühe Kirche der ersten Jahrhunderte zeigt deutlich, wie sehr die Entschiedenheit im Glauben die Christen in einer gänzlich anders gearteten Gesellschaft zu Orientierungspunkten und “Leuchttürmen” gemacht hat.
In diesem Sinne bietet die Säkularisierung auch die Chance, das christliche Zeugnis wieder deutlicher hervortreten zu lassen, damit davon wieder eine Attraktivität für andere ausgehen kann. Viele Menschen erleben in dem Einerlei einer säkularisierten Welt die Not, dass sie angesichts der Trauer, der Brüche und der Krisen im Leben nicht wissen, wohin mit ihren Ängsten, Nöten und ihrer Verzweiflung. Der Mensch, der keinen Glauben hat, dem aber etwas Positives zuteil wird, kann sich unglaublich einsam fühlen, wenn er keinen Adressaten hat, an den er seine Dankbarkeit richten kann.
In diesem Sinne gibt es in einer säkularisierten Welt eine grosse Orientierungssuche. In dieser Situation stehen Christen als Verweis auf den Weg mit Gott. Wo Gott vorkommt, steigt auch die Würde und der Wert des Menschen. Gott im Blick zu behalten ist so ein elementarer Dienst am Leben der Menschen.
Das Zweite Vatikanische Konzil hat in der damaligen Zeit der Aufbruchsstimmung den wertvollen Impuls gegeben, nach den “Zeichen der Zeit” zu forschen. Angesichts der Wucht der Säkularisierung wird aber auch bewusst, dass der zweite Teil des oft zitierten Satzes vielfach zu wenig Beachtung gefunden hat: Diese Zeichen müssen “im Licht des Evangeliums” gedeutet werden. Es gilt in diesem Sinn auch eine kritische Zeitgenossenschaft einzunehmen.
Aus meiner Studienzeit ist mir eine Vorlesungen des Freiburger Alttestamentler Alfons Deissler unvergesslich, der uns Studenten dazu mahnte, für die Notwendigkeit einer “Kritik an der Kritik” wachsam zu werden. Das ist etwas, was wir heute deutlicher sehen als dies in den frühen 1970er Jahren und danach möglich war.
Vom “neuen Frühling” zur “geistlichen Verwüstung” (Benedikt XVI., Predigt zur Eröffnung des Jahres des Glaubens): Es dürfte kein Zweifel daran bestehen, dass die mit dem II. Vatikanischen Konzil verbundenen Hoffnungen sehr schnell verraucht waren und sich im Namen eines nicht näher definierten Konzilsgeistes eine in der Geschichte noch nicht dagewesene Kirchenkrise und Gottesfinsternis immer mehr spürbar machte, die eine Glaubenskrise ist – eine Krise, die besonders in Europa dramatische Züge angenommen hat.
Jenseits einer irrationalen und den teilweise offensichtlichen Tatsachen widersprechenden Konzilsrhetorik: Worin bestehen die wesentlichen “Früchte” und Ergebnisse, denen sich die Kirche bei ihrer aktuellen Wüstenwanderung (Benedikt XVI.) stellen muss?
Das Konzil hat in beispielhafter Weise deutlich gemacht, was der Papst selbst einmal in seiner Theologie formuliert hat: Die Kirche ist das pilgernde Gottesvolk – was auch ein Bild des Konzils ist –, sie ist Volk Gottes als Leib Christi. Diese Einsicht bewahrt davor, in einen Horizontalismus zu verfallen. Denn sie wird auch immer die vertikale Dimension des Glaubens im Blick behalten. Diesen Reichtum gilt es in allem wach zu halten.
Die Kirche in unserer Zeit braucht unbedingt die eucharistische Anbetung, bei der sie ganz beim Herrn ist. Je mehr sie dort ist, desto näher ist sie auch bei den Menschen: Das ist die Hinwendung in Nächstenliebe an den Menschen aus dem Geist des Evangeliums. Beides lässt sich nicht voneinander trennen. Es bedarf dieses Bewusstseins, damit es nicht zu gefährlichen Entwicklungen kommt, bei denen das eine gegen das andere ausgespielt wird. Es ist katholisch, dies gemeinsam zu sehen. Dass die Liebe zu Gott sich in der Liebe unter den Menschen widerspiegelt, macht das Zeugnis der katholischen Kirche an vielen Orten der Welt so kraftvoll.
Hermeneutik des Bruchs – Hermeneutik der Reform in Kontinuität. Kardinal Walter Brandmüller meinte jüngst zur Frage hinsichtlich der noch nicht ausreichenden Rezeption des II. Vatikanischen Konzils: “Wir sollten doch einen etwas längeren Atem haben. Das ist eine typische Frage, die ganz dem neuartigen, hektischen Lebensgefühl unserer Zeit entspricht. Aber was sind denn schon fünfzig Jahre?!”
Für ein Menschenleben jedoch bedeuten 50 Jahre sehr viel. 50 Jahre, in denen ganze Generationen von Nachkommenden nichts mehr vom Glauben wissen. Ist die Rezeption durch Brüche und eine mangelnde Kontinuität in der Vermittlung der Lehre verquert, ja verhindert worden?
Man muss sich einmal vorstellen, wie viel Überzeugungsarbeit es zunächst bedeutet hat, die Beschlüsse des Konzils in den Gemeinden bekannt zu machen. Dementsprechend herausfordernd war auch dessen Vermittlung, da ja noch längst nicht überall auch verstanden worden war, was das Konzil denn als ganzes gewollt hat. Insofern sind eine oder zwei Generationen zu wenig, um wirklich das Konzil in seinem ganzen Reichtum zu erfassen.
Bei den Beratungen der Bischofssynode war es beispielsweise sehr interessant, was der Bischof von Novosibirsk gesagt hat: “Wir sind aufgrund der politischen Entwicklung in der ehemaligen Sowjetunion und im heutigen Russland jetzt erst in der Situation, die Konzilsbeschlüsse überhaupt kennenlernen zu können.” Bereits an dieser “Ungleichzeitigkeit” der Weltkirche kann man sehen, wie lange so etwas braucht.
Angesichts einiger Forderungen nach einem “neuen Konzil” kann betont werden, wie sehr das II. Vatikanum das Fundament für die katholische Kirche in unserer Zeit bildet. Es müsste noch viel mehr Anstrengung geben, den grossen Reichtum des Konzils weiterzugeben. Dazu gehört auch, die Beschlüsse und Konstitutionen in der Gänze zu lesen und dann umzusetzen. Es kommt zu Problemen, wenn man “steinbruchartig” an das Konzil herangeht und herausbricht, was passt und das andere nicht liest. Benedikt XVI. hat nachdrücklich darauf verwiesen, dass das Konzil eine Erneuerung in der Kontinuität wollte. Es wird noch einige Zeit beanspruchen, diese Kontinuität der Erneuerung immer mehr zu rezipieren und zu verstehen, um im Sinne des Konzils weiterzukommen.
Der heilige Apostel Paulus nennt den Glauben ein “rationabile obsequium”, einen “vernünftigen Gehorsam”, der den wahren Gottesdienst darstellt (latreia logike). Der christliche Gottesdienst ist ein Gottesdienst, “in dem der Mensch in seiner Ganzheit als ein vernunftbegabtes Wesen selbst Anbetung, Verherrlichung des lebendigen Gottes wird” (Benedikt XVI.). So wird die Liturgie der Ort, an dem sich Ganzheitlichkeit des Menschen und sein Hinausstehen in den Himmel vereinen.
Als oberster Liturge Ihres Bistums: Was unternehmen Sie konkret zur Überwindung der vielen “liturgischen Wüsten”, die allenortens in der Kirche vorzufinden sind? Welche Rolle spielt für Sie als Priester und Bischof die Liturgie? Wie sehen Sie als oberster Liturge ihres Bistums die vom Papst gewünschte gegenseitige Befruchtung der ausserordentlichen und der ordentlichen Form des einen Römischen Ritus?
Mir ist die Liturgie sehr wichtig. Ich habe selber in der Bischofssynode einen Punkt zur Liturgie in ihrer katechetischen Bedeutung eingebracht. Ich bin sehr dankbar, dass dieser sowohl im ersten Gesamtdokument als auch in unseren Sprachgruppen Aufnahme gefunden hat und in die “propositiones” eingeflossen ist. Die Liturgie hat von Anfang an in der Kirche eine enorme katechetische Kraft. In diesem Sinne bin ich immer dafür eingetreten, ihre mystagogische Kraft stärker zu beleben.
Auch vor diesem Hintergrund haben wir im Bistum Limburg im vergangenen Jahr mit dem Bischof-Blum-Kolleg eine “Schule des Glaubens, des Gebets und der Gemeinschaft” gegründet. Es soll deutlich gemacht werden, welchen Reichtum eine Liturgie in sich trägt, die im Sinne und der Gestalt der Kirche gefeiert wird. Mir ist es als Bischof sehr wichtig, das zu fördern. Wir tun das an verschiedenen Orten. Es beginnt damit, wie der Bischof selber Liturgie feiert, und es setzt sich überall dort fort, wo es in katechetischen Aufbrüchen auch darum geht, die Liturgie ausdrücklich mit einzubeziehen.
Papst Benedikt XVI. hat den ausserordentlichen Ritus wieder in die Kirche hineingebracht, um damit die Bandbreite des liturgischen Lebens in der Kirche zu zeigen und möglich zu machen. Wir haben in unserem Bistum Limburg vier Orte, an denen dieser Ritus gefeiert wird. Damit haben die Gläubigen die Möglichkeit, auch in der ausserordentlichen Form mitzufeiern.
Stichwort Kirchenaustritte: Am 24. September 2012 trat das neue Dekret der DBK in Kraft, mit dem die Folgen des Austritts aus der Kirche neu geregelt werden. Dieses Partikularrecht ist auf der Welt einzigartig, da es auf einzigartige Weise einen “finanziellen Aspekt” unmittelbar an einen “geistlichen Tatbestand” (die Zugehörigkeit zur Kirche) bindet. “Sakramente gegen Geld”, wie dies einige pointiert formulierten. Das Wort der Exkommunikation wurde getilgt, die “Strafen” bei einem formellen Kirchenaustritt entsprechen jedoch denen einer Exkommunikation. Das Problem der kanonischen Strafen stellt sich in erster Linie für jene, die sich voll der Kirche zugehörig fühlen, jedoch das Finanzgebaren der Kirche sowie die Unterstützung von antikirchlich handelnden Einrichtungen in Deutschland nicht mehr mittragen wollen.
Wie kann dieser Widerspruch geklärt werden? War es angemessen, gerade zum Beginn des Jahres des Glaubens unter einem pastoralen Gesichtspunkt einen derart kontraproduktiven Akzent zu setzen? Wurde damit die Kirche in Deutschland entgegen einer eingeforderten Entweltlichung nicht noch “weltlicher”?
Es muss grundlegend gesehen werden – und ich bin sehr dankbar, dass wir für die Kirche in Deutschland zu dieser klaren Lösung gekommen sind –, dass hier ein theologischer Zusammenhang wichtig ist: Die sichtbare Kirche ist von der unsichtbaren Kirche nicht zu trennen. Das ist eine fundamentale Glaubensüberzeugung in der katholischen Kirche. Dazu gehört dann auch die Verpflichtung als Teil einer Solidargemeinschaft mit seinem Beitrag daran mitwirkt, dass eine Gemeinschaft das, was ihr aufgegeben ist, auch übernehmen kann. Es gibt schnell die Versuchung, das eine vom anderen abzukoppeln.
Die kirchliche Gemeinschaft ist für katholische Christen eine konkrete Grösse, in der die sichtbare Kirche auf Erden und die Kirche des Himmels zusammenkommen. “Sakramente gegen Geld” bedeutet eine theologische Verkürzung und ist in seiner Aussage falsch. Denn es gibt auch in der katholischen Kirche Christen, die aus verschiedenen gründen am Sakramentenempfang gehindert sind. Der Zusammenhang “Geld–Sakramente” kann so ohne weiteres nicht hergestellt werden. Es ist eher wichtig, daran zu erinnern, dass die Kirche Sakrament ist und was das ganz konkret bedeutet.
Zum kirchlichen Handeln gehört natürlich unbedingt die Einheit mit dem Nachfolger des heiligen Petrus und den Bischöfen: das ist die konkrete sichtbare Kirche. Man kann daher durchaus an einigen Stellen die Frage stellen, ob nicht Mittel in einer Weise ausgegeben werden, die dem Selbstverständnis der Kirche widersprechen. Dies muss im Einzelfall betrachtet werden, um zu erkennen, warum es diese Missstände gibt und wie diese abgestellt werden können.
Dass es aber in der weltweiten Kirche Unterstützung braucht, auch für die vielen Dienste, die die Kirche in Einheit mit dem Nachfolger Petri wahrnimmt, ist offenkundig. Auf der Bischofssynode habe ich dieses Solidaritätsbewusstsein gerade bei den Bischöfen erlebt, die aus den armen Kirchen des Südens kommen. Es ist für sie selbstverständlich, wenngleich mit weniger Mitteln, die communio der ganzen Kirche zu unterstützen.
Exzellenz, vielen Dank für das Gespräch.
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