“Kirche muss ihren Platz in einer säkularen Gesellschaft neu bestimmen”

Im Rahmen ihrer Herbst-Vollversammlung hat die Deutsche Bischofskonferenz am Dienstag, 23. September 2025, einen Studientag unter dem Titel “Die Sendung der Kirche inmitten einer säkularen Gesellschaft” abgehalten. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie die Kirche angesichts tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen ihre Rolle neu definieren kann

Quelle
D: Erzbischof Bentz predigt in Fulda über “Bauregeln für Zukunftsmut” – Vatican News
Nun liegt der Ball im Feld Roms | Die Tagespost
Bentz: “Wenn nicht der Herr das Haus baut, müht sich jeder umsonst” | Die Tagespost
10 Jahre nach “Wir schaffen das”: Kirche zieht Bilanz der Flüchtlingshilfe – Vatican News

Mario Galgano – Vatikanstadt

Grundlage der Beratungen bildeten die Ergebnisse der sechsten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU), die 2023 veröffentlicht wurde und an der sich erstmals auch die katholische Kirche beteiligt hat.

An dem Pressegespräch nahmen Bischof Peter Kohlgraf (Mainz), Vorsitzender der Pastoralkommission der Bischofskonferenz, sowie die Theologen Tomáš Halík (Prag), Jan Loffeld (Utrecht) und Thomas Schärtl-Trendel (München) teil.

Reformen allein reichen nicht aus

Bischof Kohlgraf erinnerte daran, dass die Untersuchung deutlich gemacht habe, “dass Reformen allein nicht ausreichen“. Selbst wenn die Kirche alle Reformforderungen erfülle, würde das “nicht automatisch dazu führen, dass sich die Kirchenbänke füllen, die Taufzahlen steigen und die Kirchenaustritte zurückgehen”. Die Herausforderungen reichten tiefer, betonte der Mainzer Bischof: “Auch die Religiosität im Allgemeinen wie der christliche Glaube im Besonderen sind deutlichen Erosionsprozessen unterworfen.”

Die KMU zeige, dass nur 13 Prozent der Bevölkerung – bei 46 Prozent Kirchenmitgliedern – noch eine klassisch kirchlich geprägte Religiosität aufwiesen. Das sei, so Kohlgraf, “eine deutliche Ansage an die Kirchen”. Deshalb dürfe man nicht in “institutioneller Selbstbeschäftigung” verharren, sondern müsse das Verhältnis einer kleiner werdenden Kirche zur säkularen Gesellschaft neu bestimmen.

Kohlgraf nannte konkrete Beispiele: Die hohe Akzeptanz des kirchlichen Engagements für Geflüchtete oder die anhaltende Faszination für den Jakobsweg seien Chancen, um ins Gespräch zu kommen. Entscheidend sei jedoch, ob in diesen Bereichen der “Spirit” des Glaubens erkennbar bleibe: “Lässt unser Einsatz für den Nächsten etwas Tieferes, Höheres durchscheinen – oder laufen wir Gefahr, irgendwann austauschbar zu werden?”

“Trauen wir uns, unsere Botschaft ins Wort zu bringen?”

Auch die Spannung zwischen Anpassung und Eigenprofil müsse die Kirche aushalten: “Trauen wir uns, unsere Botschaft ins Wort zu bringen – und wenn es sein muss, auch in Gestalt des Widerspruchs? Oder schwimmen wir angepasst im Mainstream mit?”

Die Diskussion sei, so der Bischof, nicht nur für die Kirche, sondern auch für die Gesellschaft von Bedeutung. Angesichts der Entkirchlichung stelle sich die Frage, inwieweit die Kirchen weiterhin ihren Beitrag zur sozialen Infrastruktur und zur Zivilgesellschaft leisten könnten. “Unsere Botschaft kann eine frohe und tragende Botschaft sein. Wir möchten Anwälte für universale Werte der Menschlichkeit sein in einer Zeit, in der gesellschaftliche und nationale Partikularismen den Ton angeben”, erklärte Kohlgraf.

Die Reflexion knüpft auch an historische Vorbilder an: Vor 50 Jahren veröffentlichte die Würzburger Synode ihren Grundlagentext “Unsere Hoffnung”. Eine neue Standortbestimmung sei heute notwendig, um in Krisen- und Umbruchszeiten Orientierung zu bieten.

Abwanderung ist ungebrochen

Einen grundlegenden pastoraltheologischen Akzent setzte Professor Jan Loffeld von der Universität Tilburg. Er erinnerte an die Pastoralkonstitution Gaudium et spes des Zweiten Vatikanischen Konzils, die in diesem Jahr 60 Jahre alt wird, sowie an das Apostolische Schreiben Evangelii nuntiandi von Paul VI. und das Synodendokument Unsere Hoffnung von 1975. Schon damals sei vom “Bruch zwischen Evangelium und Kultur” die Rede gewesen, so Loffeld. Heute zeigten die Daten der KMU, “dass beinahe alle Methoden, Initiativen und Kampagnen der vergangenen Jahrzehnte den Gesamttrend wenig beeinflusst haben”. Zwar hätten Reformen und pastorale Aufbrüche das Abgleiten in sektiererische Formen verhindert, doch die Abwanderung aus der Kirche sei ungebrochen.

Loffeld konstatierte nüchtern: “Kirchenreformen – gerade im Hinblick auf die Betroffenen sexualisierter Gewalt – sind absolut notwendig, aber allein nicht hinreichend.” Eine besondere Herausforderung sei, dass eine theologische Grundannahme nicht mehr selbstverständlich gelte: dass in jedem Menschen die Frage nach Gott schlummere und es lediglich geeigneter Methoden bedürfe, sie zu wecken. “Von dieser Annahme kann heute mit Blick auf die empirischen Daten nicht mehr ausgegangen werden”, betonte Loffeld. Vielleicht sei zwar jeder Mensch religiös disponiert, doch für das individuelle Lebensglück müsse dieses Potenzial nicht aktiviert werden.

Daraus folge für die Kirche eine zentrale Konsequenz: “Als Sakrament hat die Kirche zwei Dimensionen: die vertikale, das Leben der Gemeinschaft mit Gott, und die horizontale, die Einheit mit der Menschenfamilie. Wenn eine Dimension ausfällt, helfen keine Marketingstrategien.” Vielmehr müsse es darum gehen, beide Dimensionen neu in den Mittelpunkt zu stellen: die Frage nach Gott intellektuell redlich und lebensnah zu artikulieren und zugleich konkrete Hilfe zum Leben und zum Frieden zu leisten – gerade für jene, die in einer neoliberalen Leistungsgesellschaft unter Druck geraten. “Eine Kirche, die Sakrament ist, indem sie beide Dimensionen auf synodale Weise lebt, wird ihren Platz inmitten der säkularen Gesellschaft zum Wohl aller behalten und sich künftig als Minderheit inmitten pluraler Lebensdeutungen verorten können”, sagte Loffeld.

Relevanz der Religion

Thomas Schärtl-Trendel, Fundamentaltheologe an der Ludwig-Maximilians-Universität München, knüpfte daran an und verwies auf die jüngst erschienene Studie des US-Religionssoziologen Christian Smith (Why Religion Went Obsolete, Oxford 2025). Diese belege, dass die schwindende Relevanz von Religion in westlichen Ländern Teil einer viel größeren Entwicklung sei. Kirchen würden aus ihren “ökologischen Nischen” verdrängt, da säkulare oder posthumanistische Weltanschauungen vergleichbare Sinnangebote oft “kostengünstiger” bereitstellten. Schärtl sprach von einem “Referenzproblem” der Theologie: “Kann ich Menschen ein implizites Ausgerichtetsein auf Gott überhaupt noch unterstellen?” Klassische transzendentaltheologische Ansätze stießen hier an ihre Grenzen. Mit einem Bild aus der Phänomenologie erläuterte er: “Vielleicht hat Gott immer schon angerufen – und es liegt an uns, die Manifestationen dieses Angerufenhabens zu erkennen.”

Hintergrund

Der Studientag wurde von der Bischofskonferenz als Teil einer vertieften Auseinandersetzung mit der KMU organisiert. Neben Kohlgraf brachten auch die internationalen Experten Halík, Loffeld und Schärtl-Trendel ihre Perspektiven ein. Ziel sei es, die pastorale Sendung der Kirche in einer Gesellschaft neu zu bedenken, die mehrheitlich säkular geprägt sei, aber dennoch von christlichen Traditionen durchzogen bleibe.

dbk, 23. September 2025

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