Unser Sonntag: Wem bin ich der Nächste?

Pater Elias macht deutlich: Ich kann mir mein Nächster-Sein nicht aussuchen: es geht ums Tun, um die Barmherzigkeit. Vor lauter Fragen nach dem Nächsten dürfen wir aber vor allem den Anfang des Evangeliums nicht vergessen, die Frage nach dem Hauptgebot

Quelle
Unser Sonntag im Juli mit Pater Elias Pfiffi, OSB – Vatican News
Auslandsseelsorger hält Kloster im Krieg bewusst offen – DOMRADIO.DE
Tabgha – Wikipedia
Du sollst nicht fragen, sondern handeln
Predigt: 15. Sonntag im Jahreskreis C 2025 (Dr. Josef Spindelböck) Die Liebe ist entscheidend

Pater Elias Pfiffi, OSB

Lk 10, 25-37 Lesejahr C

Es ist kein leichter Weg, eher anstrengend: 30km durch die Wüste Juda. Auch wenn es meist bergab geht. Da muß man gut planen, genug dabei haben für Durst und Hunger. Der Höhenunterschied beträgt 1200m, es gibt viele steile Felsschluchten, ein ausgetrocknetes Wadi, bröckeliges Gestein.

Der Weg geht entweder durchs Tal oder oben entlang auf der Höhe. Leicht kann der Fuß umknicken oder der Esel hat wieder seine störrische Phase und bockt. Das ist kein leichter Spaziergang, sondern anstrengend und mit Strapazen. Auch für Geübte. Schnell ist man müde und erschöpft. Und man wünscht sich bald ans Ziel und am Ruheplatz, an den Quellen und den schattigen Bäumen in Jericho.

Auch heute noch Räuber und Diebe

Und unterwegs können auch noch immer wieder Räuber und Diebe lauern, die Einzelpersonen überfallen und ausrauben. Hauptsache, hoffentlich bald am Ziel.
Jeder, der schon mal durchs Wadi Quelt, dem Wadi, das von Jerusalem nach Jericho führt, gegangen ist, wird ähnliche Gedanken gehabt haben.
Bestimmt auch der Mann aus Samarien, der in Jerusalem war und nun wahrscheinlich nach Hause will.
Und da: da liegt jemand am Wegrand, blutend, zusammengeschlagen.
Was wird er wohl gedacht haben?

“Mensch, Du hast mir gerade noch gefehlt!”

Das hat mir gerade noch gefehlt? Mensch, Du hast mir gerade noch gefehlt?
Eigentlich paßt es mir momentan gerade nicht, ich habe aktuell viel zu tun.
Wenn ich Dir helfe, verpasse ich meine Angelegenheiten und Geschäfte, komme ich zu spät nach Hause, zu meiner Familie, die wartet und sich Sorgen macht. Wenn ich Dir helfe, verpasse ich meinen Gottesdienst. Wenn ich Dir jetzt helfe, mache ich mich schmutzig, werde ich auch blutverschmiert, werde ich unrein. Oder vielleicht ist es ja auch eine Falle.

Bequemer direkt vor der Tür

Wie bequem wäre es, wenn man die Verwundeten direkt vor der eigenen Tür fände. Aber da sind sie nicht, meistens.
Ja meistens kommt alles zusammen: man findet den Hilflosen gerade dann, wenn man selbst angeschlagen ist, wenn man es am wenigsten gebrauchen kann, wenn man erschöpft durch das Wadi des Lebens gehen muß, nach unten – am Tiefpunkt ist, alles bockt und murrt.
Mensch, Du hast mir gerade noch gefehlt.

“Ja, diese Not stört, der Nächste stört. Auch nach 2000 Jahren hallt die Frage nach: Wer ist mein Nächster?”

Da hat man Mühe allen Anforderungen des Alltags gerecht zu werden, reißt sich schon alle Beine aus, um Studium, Beruf, Arbeit, Familie gerecht zu werden und dann das: da liegt plötzlich noch ein Hilfloser/lose vor meinen Füßen.
Ja, diese Not stört, der Nächste stört, aber: Störungen haben Vorrang, der Nächste hat den Vorrang.
Auch wenn er nicht zu meiner Familie gehört, nicht zu meinem Stamm, nicht zu meiner Nation oder Rasse. Ja selbst, wenn er mir verhaßt ist. Auch nach 2000 Jahren hallt die Frage des Gesetzeslehrers nach: Wer ist mein Nächster?
Die Frage “Wer ist mein Nächster” müßte eigentlich anders formuliert werden, so wie es Jesus am Schluß der Parabel formuliert: nicht statisch, sondern aktiv, eher beziehungsmäßig, dynamisch – im Dativ!

Wer ist dem Notleidenden zum Nächsten geworden?

Wer ist dem Notleidenden zum Nächsten geworden?
Besser: nicht wer ist? Sondern: Wem bin ich der Nächste?
Denn diese Frage läßt sich nämlich nicht theoretisch beantworten! Weil jede Situation – heute, morgen, übermorgen – mich zum Nächsten machen kann. Ich kann mir mein Nächster-Sein nicht aussuchen. Nur eines bleibt in allen Situationen gleich: es geht ums Tun, um die Barmherzigkeit.
Und vor lauter Nächstem-Sein und “wem bin ich der Nächste”, dürfen wir den Anfang des Evangeliums nicht vergessen, die Frage nach dem Hauptgebot: die andere Seite der Medaille, die andere Hälfte.

Das Hauptgebot nicht übersehen

Was ist das Hauptgebot, was ist uns Menschen vor allem geboten: Du sollst den Herrn, Deinen Gott lieben, mit Deinem ganzen Herzen und Deiner ganzen Seele, mit Deiner ganzen Kraft und mit Deinem ganzen Denken.
Gelingt uns das, haben wir so viel Gottesliebe und Gottvertrauen?
Oder sagen wir vor lauter aktiver Nächstenliebe eher: Gott! Du hast mir gerade noch gefehlt; eigentlich paßt Du mir gerade nicht, denn ich habe zu tun?
Aber beides: die Liebe zu Gott und zum Nächsten sind das Hauptgebot!
Wichtig ist das: Und!

Die Bedeutung von Gottvertrauen

Heiner Wilmer, der Bischof von Hildesheim, benennt das Ineinander der beiden Gebote so: Gottvertrauen bedeutet nicht, sich entspannt zurückzulehnen und abzuwarten und zu meinen, es wird schon alles glattgehen. Gottvertrauen trägt dann, wenn man Risiken eingeht, weil man sich getragen fühlt, aber verantwortlich bleibt. Wer Gott vertraut, gibt seine Verantwortung und Initiative nicht an der Garderobe seines Lebens ab.
Ignatius von Loyola schreibt:

Handle so, als ob alles von Dir abhängt, in dem Wissen aber, daß in Wirklichkeit alles von Gott abhängt.

Radio Vatikan – Redaktion Claudia Kaminski, 12. Juli 2025

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