Zeichen eines sanften Wandels?

China: Merkel zu Gast in Peking

Eine neue Generation übernimmt im Herbst die Staatsführung

Die Tagespost, 30.01.2012, von Klaus Wilhelm Platz

Chinesische Gläubige bitten zu Beginn des Jahres des Drachens um Gesundheit, Reichtum und Glück. In der Volksrepublik brodelt es – überall im Land gibt es Streiks.

Bundeskanzlerin Angela Merkel reist in dieser Woche zum fünften Mal nach China. Sie wird mit Regierungschef Wen Jiabao und Staats- und Parteichef Hu Jintao über die Lage der Weltwirtschaft, die europäische Schuldenkrise und – nicht zuletzt – chinesische Investitionen in Europa sprechen.

Weitere Themen sind der Ausbau der bilateralen Beziehungen, Nordkorea und der Iran. Die Kanzlerin wird auch die Proteste von Tibetern in der Provinz Sichuan und ihre blutige Niederschlagung ansprechen. In der Volksrepublik gibt es pro Jahr mehrere tausend politische Unruhen, welche die gelenkte Presse des Landes verschweigt und westliche Medien nur dann melden, wenn es mehrere Tote, vor allem unter Tibetern oder Uiguren gab.

Merkels Besuch gilt einem Land mit Grossmachtstatus. Vor allem ist China in den vergangenen zwanzig Jahren – trotz niedrigem und regional stark unterschiedlichem Pro-Kopf-Einkommen – zu einer wirtschaftlichen Supermacht geworden. Das Land entwickelt sich aber auch zu einer Militärmacht, die nicht allein durch die Masse ihrer Soldaten, sondern auch durch deren hochtechnologische Ausrüstung ihre Nachbarn das Fürchten lehrt. Peking führt eine Aussenpolitik mit weltweitem Radius, die keine Region der Erde ausspart. Aber unter dieser eindrucksvollen Fassade zeigen sich Veränderungen in der chinesischen Bevölkerung ab. Jedenfalls gibt es in dem schwer zu beherrschenden Spannungsverhältnis zwischen Turbokapitalismus und kommunistischer Ideologie Haarrisse, die zu augenfälligen Schäden führen können.

So konnte gerade noch rechtzeitig vor dem chinesischen Neujahrsfest, das am 23. Januar begann, ein mehrtägiger Streik tausender Stahlarbeiter in der Provinz Sichuan durch eine mässige Lohnerhöhung geschlichtet werden. Dies ist berichtenswert, weil der Ausstand in einem grossen Staatsbetrieb stattfand, von dem man annehmen sollte, er sei fest unter der Kontrolle der Partei. Es war einer von vielen Streiks der vergangenen Monate, von denen sich die meisten in Privatbetrieben in der hoch industrialisierten Küstenregion abspielten, in der Chinas wichtigste Exportgüter produziert werden. Die Partei versucht, ihre Leute in die Geschäftsleitung solcher “privatkapitalistischer” Firmen einzuschleusen. Auch das Neujahrsfest mit seinen Feiern – vor einer guten Woche begann innerhalb von zwölf Tierkreiszeichen nach dem alten Mondkalender das Jahr des Drachen – liegen nicht so ganz auf der Linie der Partei. Denn auch in China beginnt das neue Jahr offiziell am 1. Januar. Aber was eigentlich “unwissenschaftlicher Volksaberglaube” sein müsste, wird vom kommunistischen Staat nicht nur geduldet, sondern auch von vielen seiner Funktionäre mitgefeiert, vor allem, wenn es um das Glück verheissende Drachenjahr geht.

China hat die seit 2008 anhaltende weltweite Wirtschaftskrise gut verkraftet. Das Wirtschaftswachstum lag in den letzten drei Monaten des Jahres 2011 mit 8,9 Prozent über dem entsprechenden Zeitraum des Vorjahres. Aber die Inlandsnachfrage ist schwach, was am niedrigen Lohnniveau liegt. Es gibt grössere Zahlen von Arbeitslosen vor allem unter den schlecht bezahlten Wanderarbeitern aus dem Landesinnern, und die für die Gesamtwirtschaft zentrale Stahlproduktion ist rückläufig. Ähnliches gilt für den Bausektor.

Im Herbst – vermutlich im Oktober oder November – stehen Veränderungen in der Partei- und Staatsführung an, die einen Generationenwechsel mit sich bringen werden. “Wahlen” beim alle fünf Jahre stattfindenden Parteikongress, dem achtzehnten nach der Gründung der Partei 1920, werden die Altersklasse der Söhne von Mao Zedongs Weggefährten an die Macht bringen. Manche davon sind leibliche Söhne alter Parteikader, beispielsweise Xi Jinping, der Staatschef Hu ablösen soll und dessen Vater in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts am Langen Marsch teilgenommen hat. Der Vater des künftigen Regierungschefs Li Keqiang nahm eine hohe Stellung unter Deng Xiaoping ein. Die neue Führungsriege hat die Entbehrungen des Bürgerkriegs und der Kulturrevolution nicht mehr bewusst miterlebt und sind meist in “behüteten Verhältnissen” aufgewachsen. Sie werden “taizidang” (Prinzchen) genannt. Zu ihnen gehören auch die 25 künftigen Mitglieder des Politbüros und dessen neunköpfigem Ständigen Ausschuss. Viele Lebensverhältnisse der Kandidaten für die Spitzenämter passen nicht mehr ganz ins übliche “revolutionäre” Schema. So ist Xi Jinping mit einer bekannten Schlagersängerin verheiratet und Bo Xilai, ein aufstrebender Mann aus Chongqing, soll einen Jaguar fahren.

Chinas Wirtschaftsaufstieg wird nicht ewig dauern. Für diesen Fall braucht das Land eine starke und besonnene Führung. Der letzte Machtwechsel 2002 ging sanft und nahtlos vonstatten. Frühere Wechsel aber verliefen oft chaotisch.

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