Interview: Kardinal Koch würdigt Franziskus

Der frühere Ökumene-Verantwortliche des Vatikans, Kardinal Kurt Koch, würdigt Franziskus “als sehr spontanen, feinfühligen, aufmerksamen Papst”. Der Verstorbene habe sich für die Einheit der Christen engagiert

Quelle
Kardinal Kasper: “Franziskus hinterlässt ein großes Erbe” – Vatican News
Nizäa
Analyse: Ein Papst, der mit Konventionen brach und die Kirche umgestaltete

Das sagte der Schweizer Kurienkardinal am Dienstagabend in einem Interview mit Radio Vatikan. Zum Erbe des argentinischen Pontifikats gehört aus Kochs Sicht vor allem die Wiederentdeckung der Synodalität in der Kirche.

Der Kardinal bedauert, dass es im Mai nun nicht mehr zu einer Reise von Franziskus in die Türkei kommen wird, um dort an den 1.700. Jahrestag des Konzils von Nizäa zu erinnern. Das sei “ein ganz wichtiges Anliegen von Papst Franziskus” gewesen. “Ich hoffe, dass wir bis zu dem angedachten Datum einen neuen Papst haben… und wenn er das machen könnte, wäre das ein sehr schönes Zeichen. Nizäa eint uns alle Christen”, so Koch.

Der frühere Bischof von Basel Kurt Koch stand von 2010 bis zum Tod von Papst Franziskus an der Spitze der Vatikanbehörde für Ökumene (heute: Dikasterium für die Förderung der Einheit der Christen). Er ist 75 Jahre alt; seit 2010 gehört er dem Kardinalskollegium an und wird in den nächsten Wochen zum zweiten Mal seit 2013 an einem Konklave teilnehmen.

Interview

Herr Kardinal, wie haben Sie vom Tod von Papst Franziskus erfahren, und was ging Ihnen da durch den Kopf?

“Ich habe im Campo Santo Teutonico die Heilige Messe gefeiert, die um 10:00 begann; und vor der Kommunion hat mir dann jemand mitgeteilt, dass der Papst gestorben ist. Ich sagte: ‘Gut, vor der Kommunion bleiben wir ruhig‘, aber nach dem Schlussgebet habe ich dann die Verkündung gemacht und die Menschen eingeladen, das Vaterunser, ‘Gegrüßet seist du Maria’ und ‘Ehre sei dem Vater’ zu beten. Dann kam mir sofort in den Sinn, dass das ein schönes Datum ist für den Tod. Natürlich war es völlig überraschend, dass er so schnell stirbt, nachdem wir ihn noch am Sonntag gesehen haben – aber ins Pascha des Herrn einzugehen, ist ja auch ein schönes Geschenk!”

Ein bisschen wie Johannes Paul II., der ja am Vorabend des Weißen Sonntag starb, nicht wahr?

“Ja, das ist mir auch eingefallen. Papst Johannes Paul II., der sehr mit dem Barmherzigkeitsonntag verbunden gewesen ist, starb vor diesem Sonntag, den er selber in den kirchlichen Kalender eingefügt hat. Für Papst Franziskus war ja auch die Barmherzigkeit das Hauptthema, und er ist sozusagen im Zugehen auf den Barmherzigkeitsonntag gestorben.”

Und im Heiligen Jahr – einem Heiligen Jahr, dem Franziskus den Stempel der Hoffnung aufgedrückt hat.

“Ja. Wir haben natürlich Hoffnung zunächst für unser eigenes irdisches Leben. Aber die ganz große Hoffnung geht natürlich über den Tod hinaus auf das ewige Leben, und so zeigt der Tod von Franziskus auch, dass wir unsere Augen im Heiligen Jahr, das unter dem Thema der Hoffnung steht, auf die ganz große Hoffnung ausweiten und sie auf keinen Fall vergessen sollen.”

Wer war Papst Franziskus für Sie? Wie haben Sie ihn erlebt?

“Ich habe ihn als sehr spontanen, feinfühligen, aufmerksamen Papst erlebt. Wenn man Audienz bei ihm hatte, war er ganz Ohr und war offen dafür. Ich habe ihn auch als jemanden erlebt, der einem große Freiheit lässt in der Arbeit; auf alle Projekte, die ich im Dikasterium hatte und die ich ihm vorgelegt habe, gab er meistens nur ein Wort zur Antwort, nämlich ‘Avanti!’ ‘Geht vorwärts!'”

Wie ist sein Pontifikat aus ökumenischer Sicht einzuschätzen? Was ist vorangegangen, und was war seine Linie in ökumenischer Hinsicht?

“Für ihn war es sehr wichtig, die Beziehungen zu den anderen christlichen Kirchen zu pflegen, und zwar auf dreifachem Wege. Er hatte immer gleichsam diese trinitarische Formel gewählt ‘camminare insieme, pregare insieme, collaborare insieme’, also ‘Miteinander gehen, miteinander beten, miteinander arbeiten’. Das war die Grundformel, die er immer verwendet hat, um den Weg zur Einheit hin zu beschreiten.

Das ist das eine. Das zweite, das ihm sehr am Herzen gelegen hat, war die Ökumene der Märtyrer. Hier stand er in einer großen Tradition mit Papst Johannes Paul II., der in seiner Ökumene-Enzyklika ‘Ut unum sint’ 1995 schon am Beginn hervorhob, dass die Märtyrer uns helfen, die Einheit wiederzufinden, weil das Blut, das die Märtyrer für Christus vergießen, uns nicht trennt, sondern vielmehr eint. Und wie die frühen Christen zu sagen pflegten, dass das Blut der Märtyrer der Same neuer Christen ist, so dürfen wir heute der Überzeugung sein, dass das Blut von so vielen Märtyrern heute ein Same für die künftige Einheit des Leibes Christi sein wird, der durch so viele Spaltungen verwundet ist. Papst Franziskus hat das einmal auf die provokante Formel gebracht: ‘Wenn die Feinde der Christen uns im Blut einen, wie kommen wir dann dazu, dass wir uns selber im Alltag noch trennen? Also, er hatte den Eindruck, dass die Feinde der Christen eine bessere Ökumene haben als wir…”

Werden Sie einem kommenden Papst empfehlen, als eine seiner ersten Reisen Nizäa in der Türkei anzusteuern, zum 1.700. Jahrestag des Konzils von Nicäa?

“Das war ein ganz wichtiges Anliegen von Papst Franziskus, nach Nizäa zu gehen und dort gerade auch auf Einladung des Ökumenischen Patriarchen diesen Jahrestag des Konzils von Nizäa zu begehen. Ich hoffe, dass wir bis zu dem angedachten Datum einen neuen Papst haben… und wenn er das machen könnte, wäre das ein sehr schönes Zeichen. Nizäa eint uns alle Christen: Es hat 325 stattgefunden, zu einer Zeit, in der die Kirche noch nicht von so vielen Spaltungen verwundet war, und deshalb ist es eine günstige Gelegenheit, gemeinsam dieses Konzils zu gedenken und den dort verkündeten christlichen Glauben neu zu vertiefen. Denn Arius gehört nicht nur der Vergangenheit an, wir haben arianische Tendenzen auch heute in der Kirche.”

Was nehmen Sie geistlich aus dem Pontifikat von Papst Franziskus mit?

“Ich habe immer sehr stark den Eindruck gehabt, dass er ganz in der Tradition des heiligen Ignatius steht. Was für ihn sehr wichtig war, war die Unterscheidung der Geister, und das in der Tiefe zu suchen. Nicht an der Oberfläche zu kämpfen, sondern genau aufeinander zu hören, was der Heilige Geist uns sagen will. Das war auch der Hintergrund seines Verständnisses von Synodalität. Dass der Heilige Geist der Hauptakteur der Synodalität ist, hat er immer sehr, sehr stark betont, und das war natürlich eine sehr spirituelle Dimension – im Unterschied zum oberflächlich Parlamentarischen, wie das dann leider missverstanden worden ist.”

Wird die Synodalität in der Kirche erhalten bleiben, oder kann das jetzt durch ein neues Pontifikat sozusagen hintenüberkippen?

“Es ist ja nicht von Papst Franziskus eingeführt worden! Synodalität ist ein altes Thema, wenn wir in die alte Kirche schauen: Die Kirche ist hierarchisch und synodal. Johannes Chrysostomos, der große Heilige, hat ja klar gesagt: ‘Synodalität ist ein anderes Wort für Kirche’. Kirche i s t Synodalität im ursprünglichen Wortsinn ‘miteinander gehen, gemeinsam auf dem Weg sein’. Dann war es Papst Paul VI., der die Bischofssynode eingeführt hat, und alle Päpste seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil sind auf diesem Weg weitergegangen, in verschiedener Art und Weise – bei Papst Franziskus sehr explizit, mit der Bischofssynode.”

Was war Ihre letzte Begegnung mit Franziskus?

“Die allerletzte Begegnung war vor 14 Tagen. Ich hatte Gottesdienst bei der Schweizer Garde in der Kapelle und bin nach Hause gegangen, ohne zu wissen, dass der Papst auf den Petersplatz gegangen war. Ich ging hinten bei der Basilika nach Hause, und als ich da durchkam, kam er gleich mit seinem Rollstuhl, und da konnte ich ihn begrüßen und ihm alles Gute wünschen.”

Das Interview mit Kardinal Koch führte Stefan v. Kempis von Radio Vatikan.

vatican news, 23. april 2025

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