“Im Innern der Kirche hat er eine Reinigung angestoßen”
Vor 20 Jahren wurde Joseph Ratzinger zum Papst gewählt. – “Im Innern der Kirche hat er eine Reinigung angestoßen” – Der Madrider Kardinalerzbischof Antonio María Rouco Varela war dabei. Ein Gespräch über das Erbe Papst Benedikts
Quelle
Vor 20 Jahren wurde Benedikt XVI. gewählt – Vatican News
Johannes von Avila
19.04.2025
Herr Kardinal, vor 20 Jahren wurde Kardinal Joseph Ratzinger zum Papst gewählt. Hat die Entscheidung des Wahlkollegiums Sie damals überrascht?
Nein, das hat mich nicht überrascht (lächelt). Viel mehr kann ich aber wegen meiner Schweigepflicht über sämtliche Einzelheiten des Konklaves nicht dazu sagen.
Wie beurteilen Sie das Wahlergebnis rückblickend?
In der Situation der Kirche damals war es eine sehr gute Papstwahl. Kardinal Joseph Ratzinger war auf das Amt bestens vorbereitet.
Sie haben vor einiger Zeit geäußert, der heilige Johannes Paul II. habe die Kirche aus der 68er-Krise herausgeführt. Wie würden Sie die Sendung seines Nachfolgers beschreiben?
Dafür muss man sich zunächst die Aufgabe Kardinal Joseph Ratzingers als Präfekt der Glaubenskongregation anschauen. Der heilige Johannes Paul II. hat versucht, die 68er-Krise lehramtlich und pastoral anzupacken. Das Pontifikat Johannes Pauls II. ist nicht zu trennen von der Arbeit des Präfekten der Glaubenskongregation. Papst Benedikt XVI. hat diese Krise, die er als Theologe genau kannte und beschrieben hat, mit theologisch noch fundierteren Antworten zu überwinden versucht. Die Lehre der Kirche wurde noch tiefer und heller ausgeleuchtet. Er hat einen erstrangigen Beitrag für die Kirche zu Beginn des dritten Jahrtausends geleistet. Das ist in der Öffentlichkeit nicht immer deutlich geworden, aber im Innern der Kirche hat er eine Reinigung angestoßen. Und das spiegelt sich heute auch im Alltag der Kirche.
Beobachten Sie, dass das Pontifikat den Katholizismus in Spanien gestärkt hat?
Ja, das merkt man besonders in Madrid. Viele Besucher sind überrascht, wenn sie sehen, wie viele Gläubige werktags in einer Innenstadtkirche die heilige Messe besuchen. Mittags um 12 Uhr sind oft 300–400 Messbesucher da; die Kirchen sind voll. Und das sind keine Ausnahmen. Und an der Kirchlichen Universität San Dámaso in Madrid wird Benedikt XVI. sehr geschätzt. Er sagte mir einmal: San Dámaso ist eine Festung des Glaubens.
Papst Benedikt hat Spanien dreimal besucht. Hatte er eine besondere Affinität zur iberischen Halbinsel?
Oh ja, die hatte er. Wir haben uns oft über das Spanien des 16. Jahrhunderts unterhalten. Er war als Kardinal Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre einige Male in Spanien gewesen, aber nie in Santiago de Compostela. Dorthin wollte er gern pilgern. 2010 konnte er dann ans Grab des Apostels Jakobus reisen und die “Sagrada Familia” in Barcelona weihen. Ein Jahr später kam er zum Weltjugendtag. Wir haben uns während der Fahrten im Papamobil durch Madrid intensiv unterhalten. Er sagte mir, der Weltjugendtag sei für ihn eine “Lichtkaskade” und eine vollkommen verwirklichte Form der Neuevangelisierung. Normalerweise verbringen die Madrider den August außerhalb der Stadt. Dass die Menschen während des Weltjugendtags trotzdem in die Stadt kamen und ihn mit solcher Liebe empfangen haben, hat ihn sehr beeindruckt. Auch wenn man heute nur mit Vorbehalt vom “katholischen Spanien” sprechen kann – das Echo der katholischen Spanier war da. Ich erinnere mich an ein Interview, das der Sekretär des Papstes, Georg Gänswein gab. Er wurde nach den Lieblingsheiligen Benedikts gefragt und antwortete: “Unter den Männern ist es der heilige Josef, unter den Frauen die heilige Teresa von Ávila”.
Der einzige Mann, der von Benedikt XVI. zum Kirchenlehrer erhoben wurde, war der heilige Johannes von Ávila (1499–1569). Was sagt uns dieser Heilige?
Die katholische Erneuerung vor, während und nach dem Tridentinum ist ohne den heiligen Johannes von Ávila nicht zu verstehen. Auch wenn Gestalten wie Ignatius von Loyola, Teresa von Ávila und Johannes vom Kreuz bekannter sind, verdient dieser Mann Beachtung. Er ist ein sehr guter Theologe gewesen, der in das alltägliche Leben der Kirche hineingewirkt und in den Gemeinden und unter den einfachen Gläubigen einen unglaublichen Einfluss ausgeübt hat. Er verweist auf einen Dreh- und Angelpunkt der Sakramentalität der Kirche: Wie kann man die heilbringende Gegenwart Christi in der Kirche erfahren? Im Beichtsakrament und in der Eucharistie, die Quelle und Höhepunkt des christlichen Lebens ist. Johannes von Ávila war ein Meister der priesterlichen Spiritualität und ein Volksprediger, der zugleich bahnbrechend in der Priesterausbildung tätig gewesen ist und das alles mit einer heiligmäßigen Lebensführung verbunden hat.
Hat Papst Benedikt Sie im Laufe seines Pontifikats – theologisch gesehen – auch einmal überrascht?
Nein, von Überraschungen kann ich nicht sprechen. Im Gegenteil: Es kamen wie erwartet positive Initiativen von ihm. Sehr gut fand ich das Priesterjahr, das Papst Benedikt am Herz-Jesu-Fest 2009 ausrief. Das war eine ausgezeichnete Idee. Die Missbrauchskrise hat viele unbescholtene Priester sehr belastet. Das Priesterjahr war eine Gelegenheit für Geistliche, sich am Beispiel der Gestalt des heiligen Pfarrers von Ars die Schönheit ihrer Berufung und ihre Sendung in der Kirche wieder bewusst zu machen. Damit hat Benedikt luzide den Nerv der Zeit getroffen. Auch mit dem Paulusjahr 2008/09 hat der Papst einen wertvollen pastoralen Akzent gesetzt.
Was wird vom Erbe Joseph Ratzingers/Benedikts XVI. bleiben?
Natürlich kann man die Publikationen des akademischen Theologen Joseph Ratzinger schon rein quantitativ nicht mit denen von Papst Benedikt XVI. vergleichen. Aber schon die drei Enzykliken – “Deus caritas est” (2005), “Spe salvi” (2007) und “Caritas in veritate” (2009) – sind Meilensteine der Kirchengeschichte. In diesen Texten wird verständlich, was Christsein und der Weg des Glaubens in einer zerrissenen Welt bedeutet. Sie rücken die übernatürlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe in den Fokus und sind sozusagen das Gegenstück zu Hans Küngs “Christ sein”. Wenn Sie die Enzykliken Johannes Pauls II. lesen, finden Sie eine sehr gute Darlegung der zentralen Glaubensthemen. Doch es gibt etwas, das dem Lehramt von Johannes Paul II. fehlte: eine persönliche Antwort, und die finden Sie in den Schreiben Papst Benedikts. Beide Pontifikate ergänzen sich hervorragend und ergeben zusammen ein rundes Kapitel der Kirchengeschichte.
Manche sehen in Benedikt XVI. einen Kirchenlehrer unserer Zeit. Befürworten Sie seine Seligsprechung?
Ja, wobei das natürlich eine Prüfung des gesamten Lebens voraussetzt. In Madrid gibt es eine Gruppe um Weihbischof Martínez Camino, die sich dafür einsetzt, dass Benedikt XVI. zum Kirchenlehrer erhoben wird. Es ist interessant, dass unter den 1 300 Priestern im Erzbistum Madrid – das Durchschnittsalter liegt bei etwa 50 Jahren – das Gesamtwerk Joseph Ratzingers große Bedeutung hat. Ich weiß nicht, wie viele Predigten sonntags in Madrid gehalten werden, für die der Geistliche vorher seinen Ratzinger gelesen hat!
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