“Ich sehe bei uns keinen Donald Trump”
Nicht alles ist nur deshalb falsch, weil Donald Trump es sagt, meint der ehemalige BILD-Chefredakteur Kai Diekmann. Trumps Agenda reiche längst ins Lager der Demokraten hinein
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Was bei der US-Wahl auf dem Spiel steht | Die Tagespost
04.11.2024
Sebastian Sasse und Maximilian Lutz
Herr Diekmann, Sie haben in Ihrer Zeit bei Springer, wie alle Journalisten des Verlags, eine Art transatlantisches Credo abgelegt. Kann man sagen, dass die USA für Deutschland tatsächlich so etwas wie eine Glaubensfrage darstellen? Spiegeln die Deutschen da immer auch ihre Identität? Und erklärt sich daraus, warum die mediale Auseinandersetzung mit den USA oft in den Kategorien “Teufel” oder “Heiliger” geführt wird?
Die Westbindung war und ist der Grundstein, auf dem Freiheit, Sicherheit und Wohlstand in Deutschland errichtet wurden. Das transatlantische Verhältnis ist für uns ein zentrales. Deswegen war es auch der richtige Weg von Helmut Kohl, nach dem Fall der Mauer dafür zu sorgen, dass dieses neue Deutschland, von dem gesagt wird, “zu groß für Europa, zu klein für die Welt”, sich eben nicht mäandernd neutral zwischen – seinerzeit – zwei Blöcken bewegt, sondern fest eingebunden wurde in das westliche Wertebündnis.
Brauchen wir die USA also weiter als Partner?
Selbstverständlich. Die USA sind seit mehr als einhundert Jahren ein unverzichtbarer Teil von Europas politischem Koordinatennetz. Dass die Europäer auf einem Kontinent leben, der – zumindest zum größten Teil – demokratisch, wohlhabend, frei, vereint und friedlich ist, verdanken sie maßgeblich den Amerikanern. Wir brauchen die USA als politischen Partner, als Wertepartner, als militärischen Partner und als Handelspartner. Wir sehen ja gerade im Konflikt mit Russland, dass wir ohne die Amerikaner militärisch nicht bestehen würden. Daher rührt auch die große Sorge: Sollten die Amerikaner in dieser Rolle ausfallen, könnten wir das als Europäer nicht substituieren. Klar ist übrigens auch: Alles, was in Amerika passiert, bleibt nicht in Amerika, sondern kommt mit einer gewissen Zeitverzögerung zu uns.
Deswegen schauen wir natürlich genau hin, wie sich jenseits des Atlantiks die politische Auseinandersetzung zurzeit gestaltet, wie sich die Gesellschaft polarisiert, wie es in Teilen nicht mehr um eine rationale politische Auseinandersetzung geht, sondern um Gegnerschaft, um Feindschaft – die ja auch in Exzessen wie dem Sturm auf das Kapitol gegipfelt ist. Insofern haben wir schon Grund, uns Sorgen um die Entwicklung der Demokratie in den USA zu machen.
Welche Rolle spielen wir da als Europäer noch für die USA?
Die USA verändern sich demographisch: Sie werden jeden Tag ein Stück pazifischer und ein Stück weniger atlantisch. Für uns ist das eine große Herausforderung: Europa ist nicht mehr die Region, für die sich die Amerikaner zuallererst interessieren. Sie blicken in andere Weltregionen, interessieren sich immer mehr für Asien, vor allem den Konkurrenten China.
Besteht die Gefahr denn sowohl unter Trump wie auch unter Harris, dass die USA sich weiter zurückziehen werden aus der transatlantischen Partnerschaft?
“Ich glaube nicht, dass sich die USA aus der transatlantischen Partnerschaft verabschieden werden – aber sie werden uns Europäer
ganz anders zur Verantwortung ziehen”
Ich glaube nicht, dass sich die USA aus der transatlantischen Partnerschaft verabschieden werden – aber sie werden uns Europäer ganz anders zur Verantwortung ziehen. Donald Trump hat bereits in seiner ersten Präsidentschaft ganz klar gemacht, dass er die sicherheitspolitische Trittbrettfahrerei vieler Europäer nicht länger akzeptiert. Und da hat er auch einen Punkt. Nicht alles ist nur ja deshalb falsch, weil es von Donald Trump gesagt wird. Das Zwei-Prozent-Ziel der NATO beispielsweise, nach welchem zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung aufgewendet werden sollen, ist etwas, was seit Donald Trump wieder ernster genommen wird. Ich bin kein Fan von Donald Trump, im Gegenteil. Aber wenn Sie heute mit dem langjährigen ehemaligen NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprechen, dann wird er Ihnen sagen, dass die NATO heute stärker ist, als sie es vor dem Amtsantritt von Donald Trump war.
Gleichzeitig hat Donald Trump seinerzeit den Europäern unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass aus US-Sicht der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland – damals ging es um die Besetzung der Krim durch die Russen – ein europäischer ist, mit dem die Amerikaner nichts zu tun hätten. Ich halte das für eine falsche Einschätzung – natürlich geht es in dieser Auseinandersetzung auch um amerikanische Interessen. Aber: Auch eine Kamala Harris wird im Falle ihres Wahlsieges von den Europäern mehr Anstrengung, mehr Übernahme von Verantwortung verlangen. Denn die Crux ist eigentlich: Die politische Agenda, die Donald Trump adressiert, von den außenpolitischen Prioritäten und Herausforderungen über Fragen der Migrationspolitik bis zu Fragen der Wirtschaftspolitik, ist längst eine Agenda, die weit über das Lager der Republikaner in das demokratische hineinreicht.
Worin wird dann der Unterschied zwischen Trump und Harris bestehen?
Zunächst einmal steckt in unserer Berichterstattung über die USA und über die anstehenden Wahlen, die Entscheidung zwischen Trump und Harris, ganz viel Wunschdenken. Ein etwas nüchterner Blick auf die Verhältnisse täte uns sehr gut. Es ist ein großes Missverständnis, anzunehmen, die Europäer könnten sich entspannt zurücklehnen und alles würde gut, falls Kamala Harris gewählt würde. Das ist falsch. Im Zweifelsfall wird der Unterschied lediglich in der Frage der Umsetzung der politischen Agenda liegen. Kamala Harris wird die gleichen Themen im Zweifelsfall höflicher und geordneter angehen als Donald Trump. Aber wir sollten nicht glauben, dass wir uns bei all den Herausforderungen, vor denen wir im deutsch-amerikanischen Verhältnis stehen, unter Harris entspannt zurücklehnen und glauben könnten: Jetzt wird alles gut. Nehmen Sie nur die Frage nach dem Verhältnis zu China: Da sehe ich keinen Unterschied zwischen Harris und Trump.
“Es ist ein großes Missverständnis, anzunehmen, die Europäer könnten sich entspannt zurücklehnen und alles würde gut, falls Kamala Harris gewählt würde”
Könnte man sogar sagen, Trump wäre in gewissem Sinne heilsamer, weil er uns mehr zwingen würde, der Realität ins Auge zu sehen?
Das ist nicht von der Hand zu weisen. Eine weniger disruptive US-Präsidentin Kamala Harris könnte uns Europäer dazu verleiten, unsere Hausaufgaben wieder mal zu verschieben. Damit geraten wir immer weiter aufs Abstellgleis und verpassen den Zeitpunkt, uns neu aufzustellen und den USA einen Grund zu geben, sich weiterhin für uns zu interessieren. Das tun sie im Moment immer weniger – und wir tun auch alles dafür, dass sie immer weniger Grund haben. Was kriegen wir in Europa denn noch hin? Wir kriegen das deutsch-französische Verhältnis nicht gebacken, wir kriegen das Verhältnis zu unseren polnischen Partnern nicht gebacken. Wir reden zwar von “Zeitenwende”, aber ziehen wir wirklich Konsequenzen? Die Frage der Zeitenwende stellt sich ja nicht nur im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit Russland, sie betrifft vor allem auch unsere Wirtschaftspolitik, unsere Zukunftsfähigkeit. Deutschland ist das einzige Land in Europa, dessen Wirtschaft im zweiten Jahr in Folge schrumpft. Bei uns müssten eigentlich sämtliche Alarmglocken schrillen.
Zum medialen Umgang mit Donald Trump: Würden Sie sagen, er wird in der deutschen Berichterstattung unfair behandelt?
Ich habe es eben schon einmal gesagt: Mir ist da zu viel Wunschdenken in der Berichterstattung in vielen deutschen Medien. Und: Es wird ununterbrochen mit zweierlei Maß gemessen. Der amerikanische Milliardär Jeff Bezos ist dafür gegeißelt worden, dass er seiner Zeitung, der “Washington Post”, untersagt hat, eine Wahlempfehlung für Kamala Harris auszusprechen. Hätte umgekehrt Rupert Murdoch der “New York Post” beispielsweise untersagt, eine Empfehlung für Trump auszusprechen, dann wäre er im Zweifelsfall dafür gefeiert worden. Das haben Sie doch in der “Tagespost” sehr schön auf den Punkt gebracht.
Ich sage es noch einmal: Ich bin kein Fan von Donald Trump, ganz im Gegenteil. Deswegen ist trotzdem nicht alles falsch, was Trump in der Vergangenheit gemacht, getan und gesagt hat, und auch heute noch sagt. Nehmen wir die “Abraham Accords”, also den Friedensschluss zwischen Israel und Ländern wie Bahrain, Marokko und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Das ist das Ergebnis von Trumps Außenpolitik. Den Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober vor einem Jahr hat es nur gegeben, weil Israel noch nie so nah an einer Normalisierung der Beziehungen zu seinen arabischen Nachbarn war, wie zu diesem Zeitpunkt. Die Welt ist halt nicht schwarz-weiß.
“Ich bin kein Fan von Donald Trump, ganz im Gegenteil. Deswegen ist trotzdem nicht alles falsch, was Trump in der Vergangenheit
gemacht, getan und gesagt hat”
Aber heißt das nicht auch, die großen Tech-Milliardäre rechnen einfach mit der Wiederwahl Trumps – und wollen nun ihre Schäfchen ins Trockene bringen?
Weiß ich nicht. Was die “Washington Post” und Jeff Bezos angeht, muss man ja auch mal daran erinnern, dass es keine 150 Jahre alte Tradition der “Washington Post” gibt, Wahlempfehlungen auszusprechen. Damit hat die “Post” erst in den 70er Jahren angefangen. Ohne Jeff Bezos gäbe es die “Washington Post” wahrscheinlich nicht mehr, insofern hat er jedes Recht zu sagen: Achtung, hier gibt es ein brisantes Thema, wo wir bitteschön Rücksicht auf unser Publikum nehmen müssen, das ohnehin mit der Glaubwürdigkeit von Medien hadert. Es gibt einen guten Grund, warum es in Deutschland diese Tradition der Wahlempfehlung nicht gibt. Wahrscheinlich würde sie die Glaubwürdigkeit von Medien noch weiter untergraben.
Wie viel wissen die Deutschen denn eigentlich über Amerika? Wir glauben wahrscheinlich alle, große Amerika-Kenner zu sein, weil wir denken, Amerika hat unsere Kultur geprägt. Aber wissen wir wirklich, wie die Amerikaner ticken?
Amerika ist ja in seinen Dimensionen kaum zu erfassen: ein riesiger Kontinent mit elf Zeitzonen und über 300 Millionen Menschen. Ich sage ja immer, Reisen bildet – und korrigiert Vorurteile. Mir geht das zumindest immer so, wenn ich – wie zuletzt – in Ungarn, in China, in Israel oder in Moskau gewesen bin. Auch wir Journalisten sind ja häufig nicht frei davon, nur für Wirklichkeit zu halten, was wir unbedingt glauben wollen. Man kriegt tatsächlich erst dann ein Gefühl für ein Land, wenn man manches mit eigenen Augen gesehen hat. Ich fürchte, dass wir von den USA und der amerikanischen Gesellschaft nur sehr wenig wissen. Unser Bild ist natürlich komplett geprägt von dem, was wir in deutschen Medien vermittelt mitbekommen. Und da ist die Einschätzung ganz sicher richtig, dass unser USA-Bild, insbesondere das, was in von den öffentlich-rechtlichen Medien vermittelt wird, mitunter ein sehr einseitiges ist.
Sie haben Donald Trump 2017 zum Interview im New Yorker “Trump Tower” getroffen. Hat diese Begegnung Ihr Bild von ihm verändert? Es heißt ja immer, im persönlichen Umgang sei er komplett anders, als die Medien ihn darstellen.
Ich war von dieser Begegnung total überrascht. Ich hatte einen übellaunigen Donald Trump erwartet, der mit Medien ein Problem hat, zumal er sich auch erst am Vortag unseres Interviews eine heftige Auseinandersetzung mit einem Kollegen von CNN geliefert hat. Das komplette Gegenteil war dann der Fall. Ich habe einen charmanten, unkomplizierten, leidenschaftlichen Donald Trump erlebt, der keiner Frage ausgewichen, der geduldig geblieben ist, als wir das Interview in die Länge gezogen haben. Vor dem Gespräch hatte er keine Bedingungen gestellt und wollte auch nicht wissen, was wir konkret fragen. Nach dem Interview hatte er sich auch nicht mehr dafür interessiert, was wir mit dem Manuskript machen. Üblicherweise müssen Sie bei solchen Interviews mit Regierungschefs oder Staatsoberhäuptern Ihrem Gegenüber mühsam irgendeine Nachricht aus der Nase ziehen. Trump lieferte damals quasi eine Schlagzeile nach der anderen frei Haus. Das war das Interview, in dem er die NATO “obsolet” nannte und das erste Mal davon sprach, dass zu viele deutsche Autos auf amerikanischen Straßen unterwegs seien.
Würden Sie sagen, Donald Trump ist einfach authentischer? Und erklärt das auch die Begeisterung für seine Person?
Donald Trump ist vor allem ein Kommunikationsgenie. Er hat demonstriert, wozu Social Media in der Lage ist, wenn man es richtig einsetzt. Schon bei seiner Bewerbung um die Kandidatur 2015 hat er gezeigt, wie man damit umgeht, wenn einen die größte Zeitung des Landes, die “New York Times”, und der größte Fernsehsender, “CNN”, nicht ernst- und nicht wahrnehmen: Man ist sein eigenes Medium und spricht sein Publikum direkt an – und das hat er über Twitter getan. Am Ende seiner Amtszeit hatte er mit 83 Millionen mehr Follower auf diesem Kanal als “CNN” und die “New York Times” dort gemeinsam. Er hat begriffen, was es bedeutet, nicht mehr abhängig davon zu sein, was über ihn geschrieben, oder ob überhaupt über ihn geschrieben wird. Dann hat er natürlich ein untrügliches Gefühl dafür, was seine Anhängerschaft von ihm erwartet: sein ausgewiesen schlechter Geschmack, die Art, wie er seine Krawatten trägt, wie er sein Haar drapiert – das alles sind Charakteristika, die von Millionen Amerikanern als authentisch empfunden werden und im Gegensatz zu einer vermeintlichen Elite stehen, die vorgeblich Washington beherrscht. Dass er ein unglaublicher Verdreher von Fakten und Wahrheit ist, ist auch natürlich auch wahr. Aber selbst das ist offenbar eingepreist, weil das Publikum wahrscheinlich davon ausgeht, “die da oben”, die Politiker, das sind eh alles Lügner – aber Trump, der lügt wenigstens ehrlich.
“Das Publikum geht wahrscheinlich davon aus, ‘die da oben’, die Politiker, das sind eh alles Lügner – aber Trump, der lügt wenigstens ehrlich”
Daran anknüpfend noch eine Frage zu diesem “Typus Trump”: Sie haben vorhin gesagt, alles, was in Amerika geschieht, kommt irgendwann auch nach Deutschland. Früher wollte Willy Brandt der junge John F. Kennedy sein. Aber im Moment hört man noch nicht, dass jemand in Deutschland der junge Donald Trump sein will. Wird der “Typus Trump” hier auch irgendwann Nachahmer finden? Sehen Sie vielleicht sogar schon einen?
Wir sehen in den europäischen Gesellschaften eine ähnliche Spaltung und Polarisierung wie in den USA. Die populistischen Ränder werden stärker, sind längst keine Ränder mehr. Bei Ihnen in Bayern machten bei der letzten Landtagswahl 30 Prozent der Wähler ihr Kreuz rechts von der CSU. Franz-Josef Strauß wird wahrscheinlich im Grab rotieren. Schauen Sie sich die Wahlergebnisse in Thüringen, Sachsen und Brandenburg an, wo ohne die Populisten keine Mehrheiten für stabile Regierungen zu schaffen sind. Populisten haben den Brexit zu verantworten, in Italien stellen sie die Ministerpräsidentin. Die Szenarien, die Antworten, die Politik-Entwürfe dieser Populisten haben wenig mit Fakten zu tun, aber viel mit Fiktion. Und Fiktion ist einfacher, billiger und attraktiver, als Wahrheit, als Fakten es jemals sein können: Die sind oft schmerzhaft und unattraktiv. Da sind wir wieder beim Thema “schwarz und weiß”. Sehe ich hier bei uns einen Donald Trump am Horizont? Nein – zum Glück nicht. Aber sein Populismus und sein Kommunikationsstil – der macht sich auch bei uns breit.
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