Hort der drei heiligen Sprachen

In Löwen ist das Gebäudeensemble erhalten, in dem das “Collegium Trilingue” sich ab 1518 einrichtete: das erste Dreisprachenkolleg für Hebräisch, Griechisch und Latein. Erasmus von Rotterdam hatte entscheidenden Anteil an seiner Gründung

Quelle
Collegium Trilingue – Wikipedia
Saint-Étienne de Toul: Flammende Schönheit | Die Tagespost
Erasmus
Hl.Thomas Morus

19.10.2024

Hartmut Sommer

Krank und erschöpft kehrte Erasmus am 21. September 1518 von einem Aufenthalt in Basel nach Löwen zurück, der Universitätsstadt in flämisch Brabant, wo er seit Sommer 1517 im Kolleg van de Lelie wohnte. In Basel hatte er ab Mai bei Johannes Froben an der Drucklegung einer zweiten verbesserten griechisch-lateinischen Ausgabe des Neuen Testaments gearbeitet. Druckerschwärze und Lettern waren sein Element. Mitten im geschäftigen Treiben der Druckerei korrigierte er von früh bis spät die Probeabzüge, während Setzer bereits die nächsten Seiten vorbereiteten.

Die monatelange Anstrengung war nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Auf der Rückreise erkrankte er so schwer, dass er glaubte, sich mit der Pest infiziert zu haben. Nach der Genesung nahm er sich wieder eines seiner Herzensprojekte an, der Gründung eines Universitätskollegs, an dem alle drei für textkritische theologische Studien grundlegenden Sprachen – Hebräisch, Griechisch und Latein – studiert werden konnten.

Die Bedeutung fundierter Sprachkenntnisse für eine textkritische Interpretation biblischer Texte und theologischer Quellen war ihm während eines Englandaufenthaltes von 1499 bis 1500 aufgegangen. Vor allem weckte sein englischer Freundeskreis, zu dem insbesondere der Theologe John Colet sowie der Humanist und Staatsmann Thomas Morus gehörten, bei ihm überhaupt erst das Interesse für die Theologie. Seine erste theologische Schrift war angeregt durch ein Streitgespräch mit Colet über “die Ängste Christi im Garten Getsemani”. Erasmus, der Schöngeist, der sich während seiner Klosterzeit vor allem damit beschäftigt hatte, feinsinnig-verträumte Poesie in geschliffenem Latein zu verfassen, dann als Literat Texte lateinischer Klassiker und Sammlungen ihrer Redewendungen, die “Adagia”, herausgab, sah nun seine Berufung darin, die Theologie zu erneuern.

Der Weg dahin führte für ihn über die Wiederherstellung ihrer durch Übersetzungsfehler verfälschten Grundlagentexte. Zunächst nahm er sich die Herausgabe der Schriften des Hieronymus und die Kommentierung der Paulus-Briefe vor. Latein beherrschte er in einer Virtuosität wie kaum ein anderer und Griechisch brachte er sich in einem außerordentlichen, dreijährigen Kraftakt bei, sodass er bereits 1504 in der Lage war, selbst griechische Texte zu übersetzen, die entscheidende Voraussetzung für sein Vorhaben. Im selben Jahr wurde er in seiner Zielsetzung bestärkt, als er in der Bibliothek der Prämonstratenserabtei van Park bei Löwen ein Manuskript des Humanisten Lorenzo Valla mit einer Liste von Übersetzungsfehlern der Vulgata entdeckte. Angeregt durch Valla erweiterte er sein textkritisches Arbeitsprogramm nun auf das gesamte Neue Testament. Alles, was er sich vorgenommen hatte, sollte er vollenden und noch viel mehr, so auch zahlreiche Ausgaben der Kirchenväter. Die neunbändige Ausgabe der Schriften des Hieronymus erschien 1516, ebenso wie eine Ausgabe des Neuen Testaments, die zweispaltig den Text in Latein und Griechisch nebeneinanderstellte, das “Novum Instrumentum”, dessen zweite verbesserte Ausgabe Froben 1519 herausbrachte.

Wider das geistlose Wiederkäuen

Die Gründung des Dreisprachenkollegs in Löwen sollte eine institutionelle Basis für die philologischen Studien schaffen, die Erasmus vor allem wichtig waren. Ermöglicht wurde das Projekt durch eine Stiftung des am 27. August 1517 verstorbenen Hieronymus van Busleyden. Der in den Burgundischen Niederlanden einflussreiche Jurist verkehrte im Kreise der Humanisten und war mit Erasmus befreundet. Zusammen mit ihm legte Busleyden testamentarisch das Konzept für Organisation und Lehre des Kollegs fest. Der Unterricht sollte sich lebendig auf die jeweiligen sprachlichen Quellen selbst stützen und nicht auf das Wiederkäuen von Interpretationen, denn mit Grausen erinnerte sich Erasmus an die stumpfsinnigen Methoden, mit denen man ihm Latein beigebracht hatte. Für die Leitung war ein Präsident vorgesehen und für die Lehre der drei Sprachen jeweils ein Lehrstuhl. Mittellose Studenten konnten Stipendien erhalten.

Erasmus ging nach dem Tod des Stifters zusammen mit den Testamentsvollstreckern der Familie umgehend an die Umsetzung der Pläne – eine bemerkenswerte organisatorisch-praktische Leistung dieses in der Welt der Bücher lebenden Humanisten. Es war kein leichtes Unterfangen, an der Universität ein neues Kolleg gegen die Rivalität der alteingesessenen Institute zu etablieren, aber Erasmus konnte seine Bekanntheit als europäische Geistesgröße und seine weitreichenden Beziehungen in die Waagschale werfen. Fürst Karl V. hatte ihn 1516 zum Ratsherrn ernannt und Adrian von Utrecht (ab 1522 Papst Hadrian VI.), der ihn 1502 als Vizekanzler der Universität Löwen für eine Professur gewinnen wollte, war inzwischen zum Kardinal aufgestiegen. Nachdem der Versuch gescheitert war, das Kolleg an ein bestehendes anzugliedern, wurde die Gründung einer selbständigen Einrichtung in Angriff genommen. Noch bevor Erasmus im Mai 1518 nach Basel abreiste, begann im März der Lehrbetrieb zunächst improvisiert im leerstehenden Haus des Rechtsprofessors Walterus de Beka alias Wouter de Leeuwe mit dem Unterricht in Hebräisch, dann ab September auch in Griechisch und Latein. Alle Lehrstühle konnten dank der Verbindungen von Erasmus mit anerkannten Professoren besetzt werden.

Das Wohnhaus, in dem der Lehrbetrieb begann, nach dem Besitzer “Huis de Leeuw” genannt, war Teil eines größeren, ursprünglich gewerblichen Gebäudekomplexes. Wouter de Leeuwe hatte ihn erworben und die um einen Hinterhof mit Brunnen gruppierten Häuser für seine private Nutzung umgebaut, mit Dienstbotenwohnungen, Hauswirtschafts- und Vorratsräumen. Der Hof war durch einen Verbindungsgang vom Vismarkt aus erreichbar. Am 16. April 1519 kaufte das neue Kolleg dieses gesamte Ensemble an, das mit Erweiterungen und Umbauten bis 1520 an die Bedürfnisse der Bildungseinrichtung angepasst wurde. Rechtwinklig an das “Huis de Leeuw” anschließend, entstand das Hauptgebäude mit Auditorium und Kapelle im Erdgeschoss sowie dem Dormitorium im Obergeschoss. Das ehemalige Wohnhaus nahm nun Küche, Speisesaal, Dienstbotenwohnungen und die Bibliothek auf. Beide Gebäude waren durch einen Treppenturm, den sogenannten “Wendelsteen”, verbunden. Hinzu kam die Präsidentenwohnung in einem Hinterhaus an der Seite zum Vismarkt. 1520, mit Abschluss der Arbeiten, erhielt das Kolleg schließlich gegen vielfältige Widerstände die Anerkennung als Universitätsinstitut. Auch hier waren die Verbindungen von Erasmus hilfreich, insbesondere zu Kardinal Adrian von Utrecht.

Unter dem Namen “Collegium Trilingue” blühte dieses Dreisprachenkolleg rasch auf und zog zahlreiche Studenten an, sodass 1529 ein weiteres Auditorium eingerichtet werden musste. Nach anfänglicher Blütezeit und erneutem Aufschwung im 17. Jahrhundert ging die Bedeutung des Kollegs zurück. Zusammen mit der Universität wurde es unter französischer Besatzung 1797 geschlossen und auch nach deren Wiedereröffnung nicht erneuert. Gewerbebetriebe zogen in die Gebäude ein und veränderten sie für ihre Zwecke, aber sie bestehen noch, sodass man sich mit etwas Imagination in die Blütezeit des Kollegs hineinversetzen kann.

Vom touristischen Zentrum Löwens, dem Grote Markt, wo die Fassade des gotischen Rathauses mit einer verwirrenden Fülle von Statuen die Stadtgeschichte erzählt und die Figuren am Lettner in der Sint-Pieterskerk kunstvoll achtzehn Heilige, Apostel und Evangelisten präsentieren, geht man nur wenige Minuten zum Vismarkt. Ein unscheinbares Tor, das man für eine Garagenzufahrt halten könnte, führt in einen teils überbauten Durchgang, Busleidengang genannt. Wie zu Zeiten von Erasmus verbindet er den Vismarkt mit dem ehemaligen Hof des Kollegs. Die einzelnen Gebäude lassen sich noch ihrer alten Bestimmung zuordnen, die Bemühungen um Restaurierung Ende des letzten Jahrhunderts haben jedoch nur mäßig Früchte getragen. Im Erdgeschoss des vormaligen Hauptgebäudes befindet sich heute ein Restaurant, auf das eine rote Leuchtschrift hinweist. Tagsüber, wenn das Restaurant geschlossen ist, kann man sich in diesem stillen Hinterhof mit der Zeit verbinden, als hier die Studenten ins Auditorium strömten oder die Bibliothek im “Huis de Leeuw” aufsuchten, das zusammen mit angrenzendem Hauptgebäude und Treppenturm noch das alte zeittypische Gepräge der Niederländischen Renaissance aufweist, mit Ziegelmauerwerk und untergliedernden Specklagen aus hellem Sandstein, entsprechenden Zierbändern an den Ecken, Fensterkreuzen (ursprünglich aus Stein) und Öffnungen für Gerüstbalken unter der Traufe. Die schmiedeeiserne Jahreszahl 1615 verweist auf Umbauten noch zu Zeiten des Kollegs.

Als Erasmus am 28. Oktober 1521 Löwen wieder verließ, war die Gründungsarbeit getan. 279 Jahre sollte das Kolleg Bestand haben und bedeutende Wissenschaftler hervorbringen.

Themen & Autoren

Hartmut Sommer
Desiderius Erasmus von Rotterdam
Jesus Christus
Karl V.
Kirchenväter
Neues Testament
Thomas Morus

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Die drei Säulen der röm. kath. Kirche

monstranz maria papst-franziskus

Archiv

Empfehlung

Ausgewählte Artikel