D/Marokko: Caritas versteht Zurückhaltung von Regierung nicht
Nach der Erdbeben-Katastrophe in Marokko nimmt die Regierung bisher nur zögerlich ausländische Hilfe an. Für den Leiter von “Caritas international” ist das unverständlich. Oliver Müller erklärt im Gespräch mit dem Domradio, wie man dennoch Hilfe leisten kann
Domradio.de: Auch deutsche Hilfe hat Marokkos König bisher ausgeschlagen. “Caritas international” kann aber den Erdbebenopfern trotzdem ganz konkret helfen. Wie funktioniert das?
Oliver Müller: (Leiter von “Caritas international: Offizielle Hilfe muss angefordert werden, damit befreundete Regierungen zum Beispiel so etwas wie das Technische Hilfswerk entsenden können. Das hat Marokko in der Tat nicht gemacht. Davon generell aber nicht betroffen sind Hilfsorganisationen wie “Caritas international” oder auch andere nicht-staatliche Organisationen, weil wir ja schon über Partner im Land verfügen.
In unserem Fall heißt das: Es gibt eine Caritas in Marokko und es gibt auch Pfarreien und andere Einheiten, mit denen man zusammenarbeiten kann und über die jetzt auch erste Hilfen angelaufen sind.
“Aus jetziger Sicht wäre es vielleicht besser gewesen, doch mehr ausländische Helfer ins Land zu lassen.”
Domradio.de: Was wissen Sie denn von Ihren Partnern vor Ort? Wie ist die aktuelle Situation?
Müller: Die Situation ist kritisch. Vor allem in abgelegenen Bergregionen. Das ist natürlich nicht untypisch wenige Tage nach so einem schweren Erdbeben. Es drängt sich aber doch der Eindruck auf, dass die marokkanische Regierung die Folgen des Bebens etwas unterschätzt hat.
Aus jetziger Sicht wäre es vielleicht besser gewesen, doch mehr ausländische Helfer ins Land zu lassen, weil uns regelmäßig berichtet wird, dass Hilfe oftmals nur sehr zögerlich oder fast noch gar nicht in entlegenen Dörfern angekommen ist.
“Viele besitzen nur das Wenige, was sie am Leib tragen und vielleicht noch ein paar wenige Dinge, die sie aus dem Schutt ihrer Häuser ausgraben konnten.”
Domradio.de: Was brauchen die Betroffenen denn am dringendsten?
Müller: Viele besitzen nur das Wenige, was sie am Leib tragen und vielleicht noch ein paar wenige Dinge, die sie aus dem Schutt ihrer Häuser ausgraben konnten. Die Menschen sind erst mal auf alles angewiesen.
Das sind zuallererst Lebensmittel, das sind Hygieneartikel. Das sind auch Kleidung, Schlafsäcke oder Zelte. Nachts wird es zum Teil schon sehr kühl. Es muss aber auch so etwas wie die Stromversorgung sichergestellt werden. Denn ohne Strom funktionieren auch keine Handys mehr.
Das ist zum Beispiel ein Ansatz, den wir auch getroffen haben, Notstrom-Aggregatoren zu beschaffen, damit Menschen ihre Handys wieder aufladen können und damit auch kommunizieren können.
Domradio.de: Wie wird es denn perspektivisch weitergehen? Welche Pläne gibt es da?
Müller: In der jetzigen Phase, in der es wirklich darum geht, Menschenleben zu retten und das Überleben zu sichern, lässt sich das noch gar nicht richtig sagen. Natürlich wird irgendwann der Aufbau kommen, aber das wird noch eine ganze Weile dauern.
Viele Menschen werden erst mal an anderen Orten unterkommen müssen. Es wird wahrscheinlich vorübergehend Zeltstädte geben. Dann wird es darum gehen, sehr schnell den Wiederaufbau einzuleiten, damit Menschen nicht von äußerer Hilfe abhängig werden, sodass sie ihre Felder bestellen und ihrer Arbeit nachgehen können – sofern es möglich ist, an dem Ort, an dem sie auch gelebt haben.
Es wird darum gehen, dass sie nicht zu Inlands-Vertriebenen werden, die dann im schlimmsten Fall in die ärmeren Viertel der großen Städte abwandern müssen.
“Die ausbleibende Hilfe in vielen Erdbebengebieten zeigt, dass bislang einfach zu wenig getan werden konnte von staatlicher Seite.”
Domradio.de: Wie interpretieren Sie denn die Reaktionen der Regierung? Sie hat zwar drei Tage Staatstrauer ausgerufen, schlägt aber weitgehend internationale Hilfsangebote aus.
Müller: Ich glaube, dass die Regierung die Situation etwas unterschätzt hat. In dem ersten Augenblick konnte ich die Reaktion, zurückhaltend zu sein, durchaus nachvollziehen, weil auch ausländische Helfer natürlich Ressourcen brauchen – etwa an Übersetzung, an Transport.
Im Fall von Marokko handelt es sich ja nicht um ein Entwicklungsland. Es ist zwar ein Land, in dem viele Menschen unter sehr bescheidenen Verhältnissen leben, aber es gibt doch ein entwickeltes Gemeinwesen. Es gibt staatliche Strukturen, auch der Nothilfe. Diese Kapazitäten hat die Regierung vielleicht optimistischer eingeschätzt, als sie sich jetzt darstellen.
Die ausbleibende Hilfe in vielen Erdbebengebieten zeigt, dass bislang von staatlicher Seite einfach zu wenig getan werden konnte. Es ist immerhin ein Hoffnungszeichen, dass sehr viele Menschen privat Hilfe in die Gebiete bringen und dass es viele Initiativen gibt. Das kann das Ausbleiben der großen strukturierten Hilfe durch den Staat aber natürlich nicht ganz kompensieren.
Das Interview führte Dagmar Peters.
domradio – mg, 15. September 2023
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