Austand der Laien (Los von Rom, weg von Gott!)
Kritik prägte den Katholikentag 1968 in Essen, von Ferdinand Oertel UPDATE
‘Hochmut kommt vor dem Fall’
Deutscher Katholikentag 1968
Bistum Essen
(PID die Krone der sexuellen “Revolution”)
Demonstranten mit Spruchbändern und Flugblättern, auf denen “Demokratie in der Kirche” und “Statt Pille neue Sexualmoral” gefordert wurden; Sprechchöre, die immer wieder Hauptredner auf Grossveranstaltungen übertönten; Protestgruppen, die Podiumsgespräche umfunktionieren und Resolutionen erzwingen wollten: so geschehen auf dem 82. Deutschen Katholikentag 1968 in der Ruhrgebietsmetropole Essen. Wie war es zu diesem “Aufstand” von Laien gekommen, worum ging es, wozu führte es?
Aufbruchstimmung nach dem Konzil
Die deutschen Katholiken befanden sich 1968 in einer fast euphorischen Aufbruchstimmung. Sie wollten an der Erneuerung ihrer Kirche mitwirken, die nach der Unterdrückung und Verfolgung in der NSZeit ab 1945 wieder in ihrer alten Form, in alten Strukturen und “mit Glanz und Glorie” wiedererstanden war. Das hatte das Kölner Domfest 1948 zur hundertjährigen Vollendung des Domes mit seinen prunkvollen Prozessionen erwiesen, das hatte etwa auch noch den Kölner Katholikentag 1956 mit “Machtdemonstrationen katholischer Heerscharen”, wie es in Zeitungsberichten hiess, vor Augen geführt. Doch dann hatte das Zweite Vatikanische Konzil, zu dem die Bischöfe aus der ganzen Welt zwischen 1962 und 1965 zu vier Sitzungsperioden zusammengekommen waren, “die Fenster der Kirche zur Welt hin” geöffnet und bei Bischöfen, Priestern und Laien neue Visionen einer zeitgemässen Kirche geweckt. Erste Diskussionen über eine Umsetzung der Konzilsbeschlüsse hatte es schon ein Jahr nach Konzilsschluss auf dem Bamberger Katholikentag 1966 gegeben.
Vor allem vier Dokumente des Konzils gaben den Laien neue Impulse. Im Dekret über die Kirche wurde ein neues Bild vom Volk Gottes gezeichnet. Während die Kirche sich vorher in einem Pyramidenaufbau sah mit der breiten Laienschicht zuunterst, darüber den Priestern, darüber den Bischöfen und an der Spitze dem Papst, stellte die neue Kirche sich in der Form eines Kreises dar, mit Christus in der Mitte, um den sich das ganze Volk Gottes in gemeinsamer Berufung zum allgemeinen Priestertum schart, je nach charismatischer Begabung und priesterlicher Berufung bis hin zum Bischofs- und Papstdienst. Die Pastoralinstruktion über die Kirche in der Welt gestand erstmals den Dingen und dem Dienst an der Welt volle Eigenständigkeit zu, und das Dekret über die Laien entfächerte neue Wege der Teilhabe am allgemeinen Priestertum und des Weltauftrages der Christen. Schliesslich weckten die Erklärungen über die Religionsfreiheit und die Ökumene neue Hoffnungen für ein Zusammenwirken der Kirchen und aller Religionsgemeinschaften.
In der ersten Zeit nach Konzilsende herrschte eine hohe Erwartung an die baldige Verwirklichung der Beschlüsse vor Ort. Einerseits wurden die Hoffnungen gestärkt, konkret etwa mit den ersten Ansätzen der Gründung von Pfarrgemeinderäten und theologisch zum Beispiel von jungen Professoren wie Karl Lehmann, Walter Kaspar und Joseph Ratzinger, dessen auf Vorlesungen 1967 in Tübingen basierendes, ein Jahr später erschienenes Buch “Einführung in das Christentum” zu einem kleinen Bestseller wurde. Dagegen stand die direkte Konfrontation mit Rom und der verfassten Kirche, die Hans Küng vehement in die Öffentlichkeit trug. Doch Verzögerungen in der Umsetzung des Konzils, sogar direkte Behinderungen und Widerstände derer, die doch am Alten festhalten wollten, riefen bald Enttäuschungen hervor. Neben einer grundlegenden Neugestaltung kirchlicher Strukturen wurden unter anderem bisherige Kirchenregelungen in der (damals so genannten) Mischehe, der Kirchensteuer und des Konkordates infragegestellt.
Hubertus Halbfass und Holländischer Katechismus
Die Unzufriedenheit und Unruhe verstärkten sich, als am Fall des Religionslehrers Professor Hubertus Halbfass deutlich zu werden schien, dass die im Konzil so kritischen Bischöfe zu Hause die Zügel wieder anzogen. Halbfass hatte in seiner “Fundamentalkatechetik” die Zeitbedingtheit biblischer Geschichten betont und daraus für den Religionsunterricht Konsequenzen gezogen, die mit der offiziellen kirchlichen Lehrverkündigung im Widerspruch standen. Dies führte zu einem Verfahren gegen ihn, das grosses Aufsehen vor allem auch bei den Studenten hervorrief (1969 wurde Halbfass die Lehrerlaubnis tatsächlich entzogen, wenig später heiratete er).
Stärker ins ungeduldige Kirchenvolk hinein wirkten sich die Vorgänge im holländischen Nachbarland aus. Dort war im März 1966 ein im Auftrag der holländischen Bischöfe vom Höheren Katechetischen Institut in Nijmegen erarbeiteter neuer Erwachsenenkatechismus erschienen.
Den Auftrag dazu hatten die Bischöfe zwar schon 1956 erteilt, aber ein seit 1963 an der Schlussfassung wirkendes Team hatte die Konzilsbeschlüsse bereits eingearbeitet. Das Neue an diesem “Holländischen Katechismus” war, dass er keine dogmatischen Lehrsätze verkündete, sondern unter Berufung auf Papst Johannes XXIII. prinzipiell zwischen der Substanz der Glaubenslehre und ihrer zeitgerechten Darlegung unterschied, wobei viele traditionelle Dogmen infrage gestellt wurden. Um der einsetzenden “Gerüchtebildung” zuvorzukommen und “um den Fachleuten ein Urteil zu ermöglichen”, verbreitete der Herder Verlag 1967 eine als “Studienausgabe” gekennzeichnete, als nummeriertes Manuskript nicht im Handel erhältliche Vorausübersetzung, die jene “heissen” Themen sofort auch bei uns hochspielte, die auch auf der Agenda des 1966 in Holland ausgerufenen Nationalkonzils standen: Aufhebung des Zölibats, Priesterweihe für verheiratete Männer, Interkommunion und so weiter. Schon wurden auch Forderungen nach einem deutschen Nationalkonzil wach.
Offen hören und sprechen
Erste Diskussionen über die Umsetzung der Konzilsbeschlüsse hatte es bereits ein Jahr nach dem Ende der römischen Bischofsversammlung auf dem Katholikentag 1966 in Bamberg gegeben. Schon dort stellte sich heraus, dass es für die “Eindeutschung“”des Konzils weiterer und breiterer Meinungsbildung bedurfte. Sie sollte Raum auf dem – in der Reihenfolge nach einem “kleinen” Katholikentreffen in Bamberg – “grossen” Treffen im Ruhrgebiet erhalten. Das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken (ZdK), Veranstalter der Katholikentage, hatte beschlossen, den zweiten Hauptteil der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute zum Thema von Essen zu machen. Dabei sollte die Vielzahl der Themen, die mit der neuen Veranwortung der Laien in Kirche und Welt zusammenhingen, in sechs Grossforen eingeleitet und anschliessend in 27 Forumsgesprächen diskutiert werden. Die Ergebnisse sollten schliesslich in einem gemeinsamen Grossforum präsentiert werden.
Die entscheidende Zielrichtung beschrieb der Generalsekretär des ZdK, Friedrich Kronenberg, so: “Der Katholikentag sollte also zunächst ein fragender Katholikentag sein; und sosehr man damit rechnen musste, nicht auf alle Fragen auch Antworten zu finden, so wenig sollte es erlaubt sein, bestimmte Fragen erst gar nicht zu stellen. “Dementsprechend liefen die organisatorischen Vorbereitungen des Essener Lokalkomitees unter der Devise “Offen und vorbehaltlos, hören und sprechen”. Nachdem das ZdK das Leitwort “Mitten in dieser Welt” ausgewählt hatte, erschien im Mai 1968 die Vorbereitungsillustrierte unter dem Titel K ‘68 – Kirche mitten in dieser Welt mit dem grossen Aufmacherthema “Vorübergehende Grossbaustelle”. Weitere Artikelüberschriften lauteten: “Offen sprechen, offen hören”, “Es geht nicht ohne Risiko”, “Keine Angst vor Krisen”. Und zu praktischen Vorbereitungen in Gemeinden und Verbänden listete die Illustrierte auf drei Seiten Fragen zu den 27 Forumsthemen auf. Das Zentralkomitee selbst hatte zur Vorbereitung auf die breit gefächerte Thematik 500 Fachleute und Experten zu einer Arbeitstagung eingeladen. Daraus erwuchs ein noch umfangreicherer Fragenkatalog, der unter dem Titel 1770 Forum-Fragen bewusst ein “breites Flussbett” für die Diskussionen vorbereitete.
Die Fragen thematisierten Angst vor Leibfeindlichkeit ebenso wie Manipulation durch Medien, Missbrauch von Autorität in der Kirche, die Benachteiligung der Frau, das Problem Mischehe, das Kirchensteuer- und Konkordatssystem, Wehrdienstverweigerung ebenso wie die Notstandsgesetzgebung.
Aktionskomitee Kritischer Katholizismus
Während der Vorbereitungszeit dieses “fragenden Katholikentages” gärte es jedoch bereits vor allem in der katholischen Studentenschaft in Münster und Frankfurt, in München und West-Berlin. Beeinflusst und mitgerissen vom allgemeinen Studentenaufstand gegen die “Herrschaftssysteme” in Staat, Politik und Erziehung, bildeten die Studenten Arbeits und Aktionskreise wie “Katholische Gesellschaft für Demokratie und Kirche” oder “Kritischer Katholizismus”, und unter letzterem Titel schlossen sie sich zu einem Aktionskomitee zusammen. Sie nahmen den Katholikentag in Essen zum Anlass, ihre Ziele konkret in die Öffentlichkeit zu tragen. Den Fragenkatalog des Zentralkomitees bezeichneten sie sofort als “Manipulationsversuch” und die breite Auffächerung aller Fragenkomplexe in 27 Foren als “Ablenkungsversuch” von den vordringlichen Aufgaben der Demokratisierung der Kirche.
Kurz vor dem Katholikentag kündigte das Aktionskomitee Kritischer Katholizismus gezielte Aktionen auf dem Katholikentag an. In einer Presseerklärung aus Bochum hiess es: “Angesichts der Verflechtung von politischer und kirchlicher Herrschaft in der Bundesrepublik liegt die Möglichkeit nahe, dass auf dem kommenden Katholikentag das unter der katholischen Bevölkerung vorhandene ,Anti-Sozialismus-Trauma’ für die Stabilisierung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse in Kirche und Gesellschaft eingesetzt wird.” Als ihr gemeinsames Ziel erklärten sie die Verwirklichung einer sozialistischen Gesellschaft und einer demokratischen Gesellschaft von Christen, die diese Entwicklung unterstützt.
Für ihr Auftreten auf dem Katholikentag planten die Kritischen Katholiken Pressekonferenzen, eine tägliche Zeitung Kritischer Katholizismus (parallel zu den erstmaligen Tagesausgaben der offiziellen Zeitung K ‘68), eigene Veranstaltungen sowie Demonstrationen mit Spruchbändern und Sprechgruppen. Sie kündigten Go-ins an, wenn Veranstaltungen nur mit Teilnehmerkarten zu betreten waren, versprachen jedoch, “keine Gewalt gegen Personen und Sachen” ausüben zu wollen.
Prag und Humanae vitae
Die Menschen in Deutschland, insbesondere die rebellierenden Studenten, bewegten in den sechziger Jahren aber nicht nur die Verhältnisse in Deutschland, sondern auch Gewaltvorgänge und Unrechtsverhältnisse in der Welt. Die Verstrickung der USA in den Vietnamkrieg, der 1968 die amerikanische Nation spaltete, gehörte ebenso dazu wie die blutigen Rassenkämpfe während der Civil-Rights- Bewegung in Amerika, die im April 1968 mit der Ermordung Martin Luther Kings einen Höhepunkt erreicht hatte.
Die Ausbeutung der Entwicklungsländer wurde ebenso angeprangert wie das Flüchtlings und Hungerelend der kriegerischen Unabhängigkeitskämpfe in Afrika. Biafra war monatelang in den Schlagzeilen, nachdem die Stämme im Ostteil Nigerias sich getrennt hatten und blutig niedergemacht wurden.
Dann traten kurz vor Beginn des Katholikentages im Sommer 1968 unerwartete Ereignisse ein, die neue Schwerpunkte in der Diskussion der politischen und kirchlichen Thematik setzten.
Die links-sozialistisch orientierten Studenten sahen sich gezwungen, “die militärische Intervention der Warschauer-Pakt-Staaten” zwar zu verurteilen, malten aber zugleich das Gespenst eines verstärkten, von der kapitalistischen Wirtschaft gelenkten Anti-Sozialismus an die Wand. Umso mehr wollten die Kritischen Katholiken nun in Essen ihre sozialistischen Staats- und Wirtschaftsideen zur Sprache bringen.
Ein heftiger innerkirchlicher Streit wie nie zuvor war unter den deutschen Katholiken aufgebrochen, als Papst Paul VI. am 29. Juli 1968 die Enzyklika Humanae vitae veröffentlichte. Das Konzil hatte das Thema Empfängnisregelung und Geburtenkontrolle ausgespart und an eine Studienkommission überwiesen. Als die Enzyklika veröffentlicht wurde, konzentrierte sich die Hauptaufmerksamkeit auf das päpstliche Verbot künstlicher Mittel zur Empfängnisregelung und führte zu erregten Protesten, als bekannt wurde, dass Paul VI. dem Urteil einer kleinen Minderheit in der Studiengruppe gefolgt war und nicht das grosse Mehrheitsvotum für eine verantwortete Elternschaft ohne Mittelverbot zur Kirchenlehre verkündet hatte. Kein Wunder, dass dieses Thema, in den 1770 Fragen so nicht enthalten, auf dem Katholikentag nicht nur im Eheforum zum “heissen Eisen” wurde.
Angst vor Resolutionen
In den wenigen Wochen vor Beginn des Essener Treffens versuchten die Vorbereitungsgremien in langen Sitzungen die sich zuspitzende Entwicklung im Griff zu behalten. Dass dies – um das Ende vorwegzunehmen – auf beeindruckende Weise gelungen ist, war vor allem dem Präsidenten des ZdK, Albrecht Beckel, Akademie-Direktor und Oberbürgermeister von Münster, ZdK-Generalsekretär Friedrich Kronenberg sowie dem Katholikentagspräsidenten Bernhard Vogel, damals Kultusminister in Rheinland- Pfalz, zu verdanken. Hinzu kam die grosse Souveränität, mit der Ruhrbischof Franz Hengsbach die Tage im wahrsten Sinne des Wortes lenkte; Hengsbach, war einerseits in der Bischofskonferenz Anwalt der Laien, andererseits galt er als treuer Anhänger des Papstes.
Zunächst rief es allerdings erste Proteste hervor, als die Veranstalter ankündigten, “keine Resolutionen” zuzulassen. “Resolutionen wollen wir nicht verabschieden”, schrieb Hengsbach in der Einleitung zum Programmheft, und bei der Eröffnungsveranstaltung sagte Präsident Vogel: “Dieser Katholikentag, der keine Heerschau, keine Demonstration sein will, der nicht die Meinungen der vielen in wenige Sätze einer Resolution zwingen möchte, sollte dafür ein Beispiel sein.” Diese Ankündigung wurde ebenso von Buhrufen begleitet, wie es am Tag zuvor bereits auf der Delegiertenversammlung der katholischen Verbände erfolgt war.
Trotzdem hatte diese Versammlung wahrscheinlich schon die entscheidende Richtung vorgegeben.
Die Delegiertenversammlung griff nämlich das aktuelle politische Thema der Gesellschaft auf: “Die Bedeutung der ausserparlamentarischen Opposition für das gesellschaftliche Wirken der katholischen Verbände. “Dabei liessen die Veranstalter die “kirchliche APO”, die sich witzigerweise AHO nannte (Ausserhierarchische Opposition) gleich zweimal ins Leere laufen. Zugang zu der Versammlung hatten eigentlich nur die Delegierten, sodass die AHO ein erstes Go-in veranstalten wollte. Zu ihrer Überraschung liessen die Saalordner sie auch ohne Eintrittskarten hinein. Und dann verkündete der Verhandlungsleiter, Rechtsanwalt Bernhard Servatius, dass zwar grundsätzlich nur Delegierte zu Wort kommen könnten, “Zwischenrufe aber zur guten parlamentarischen Tradition” gehörten. Zwischenrufe gab es dann zwar auch, aber viele der Kritikpunkte an undemokratischen Strukturen im Staat und in der Kirche, gerade auch in den katholischen Verbänden, wurden von den Delegierten selbst aufgegriffen. Und schliesslich waren es die Delegierten des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), die gegen den Mehrheitsbeschluss heftig protestierten, keine Resolutionen zu verabschieden. Doch wie später bei den Diskussionsforen auch, wurden Beschlussentwürfe vorgetragen und zum Teil weitergeleitet, von den Verbandsdelegierten etwa an den Ältestenrat. Konkret ging es im zweiten Teil um den Ordnungsentwurf zur Gründung einer Arbeitsgemeinschaft der katholischen Verbände. Der Entwurf des Ältestenrates wurde durch Mehrheitsbeschluss in dem entscheidenden Punkt abgeändert, dass die Vertreter der Verbände für die Delegiertenversammlung frei gewählt und nicht durch vorherige Mandatsfestlegung bestimmt werden. Und anstelle von Losentscheidungen wurden demokratische Stichwahlen vorgeschrieben.
Die Linken und Frommen herzlich willkommen
Legendär geworden ist die spontane Antwort, die Bischof Hengsbach auf der Eröffnungsfeier den Zwischenrufern der kritischen Katholiken gab. Auf ihren Sprechchor “Hengsbach, wir kommen, wir sind die linken Frommen” replizierte der Bischof: “Wenn Sie nicht nur links sind, sondern wirklich fromm, dann sind Sie herzlich willkommen!” Zuvor hatten jedoch auf der mit nervöser Spannung erwarteten Eröffnungsveranstaltung des 82. Deutschen Katholikentages am 4. September 1968 in der Essener Gruga-Halle ZdK-Präsident Beckel, Katholikentagspräsident Vogel und der Geistliche Direktor des ZdK, der spätere Aachener Bischof Klaus Hemmerle, die Türen für einen breiten, offenen Meinungsaustausch aufgestossen.
Beckel rückte “zwei Ereignisse der Stunde” in den Mittelpunkt: die Enzyklika Humanae vitae und den Einmarsch in die Tschechoslowakei. Er dankte den Bischöfen für ihre “Königsteiner Erklärung”, in der sie die Freiheit zur Gewissensentscheidung jedes Katholiken in Fragen der Empfängnisregelung postuliert hatten. Und die Vorgänge in Prag lehrten uns, “in der Freiheit für die Freiheit zu demonstrieren, in der Freiheit über die Form der politischen Ordnung zu diskutieren”.
KT-Präsident Vogel beklagte die Trennungen in der Welt, zwischen Völkern und Christen, Reichen und Armen, Wissenden und Unwissenden; und er rief dazu auf, diese Grenzen niederzureissen und Schranken abzubauen. Und als Hemmerle in der Deutung des Leitwortes “Mitten in dieser Welt” bekannte: “Ich bin dafür, sogar leidenschaftlich dafür, dass es keine Uniformierung der Meinung in der Kirche gibt” und dass die Welt nicht das Thema der Kirche sei, “damit die Kirche die Welt beherrsche und einheimse, sondern damit sie der Welt diene”, da überwog die Zustimmung bei weitem die sonstigen kritischen Buhrufe.
Von Essen nach Würzburg
Was hat der Katholikentag 1968 bewirkt?
Die niederländische Tageszeitung De Tijd dürfte Recht gehabt haben, als sie schrieb: “Essen war der Beginn einer neuen Periode des deutschen Katholizismus.” Die Kirche wurde jedenfalls dialogoffener als zuvor, Bischöfe und Laien kamen einander näher, suchten gemeinsam nach Wegen der Verwirklichung kirchlicher Erneuerung und des christlichen Weltauftrages.
Denn auch für die Ökumene hatte Essen neue Impulse gegeben. Zum Thema “Unruhe in der Welt” hatte Klaus von Bismarck als Repräsentant der Evangelischen Kirche Deutschlands die “gemeinsame Verantwortung aller Christen” für die Gestaltung der Welt unterstrichen.
Das EKD-Präsidiumsmitglied war entscheidend mitbeteiligt an der auf dem Bamberger Katholikentag begonnenen Annäherung zwischen EKD und ZdK, die unmittelbar nach Essen, im Oktober 1968, zum Beschluss eines gemeinsamen Kirchentages führte. Dieses 1971 in Augsburg durchgeführte “Ökumenische Pfingsttreffen” hat zwar in Essen nicht seinen Auftakt genommen, aber in einem positiven atmosphärischen Zusammengehörigkeitsgefühl der Christen beider Konfessionen verstärkten Antrieb erhalten.
Unmittelbar angestossen vom Essener Katholikentag wurde die Gemeinsame Synode der deutschen Bistümer. Schon im November 1968 fassten Vertreter des ZdK und der Bischofskonferenz den Entschluss, die kirchlichen Strukturen weiterzuentwickeln und eine Studienkommission zu gründen, die die Frage nach diözesanen Konzilen oder einem gemeinsamen Pastoral-Konzil behandeln sollte.
Zwei Monate später schlug die Studienkommission der Deutschen Bischofskonferenz eine “Gemeinsame Synode der Diözesen in der Bundesrepublik” vor, in der die Laien Mitbestimmungsrecht haben sollten (und nicht nur Beratungsrecht wie im holländischen Nationalkonzil). Ohne die Forderungen nach Laienmitwirkung auf dem Essener Katholikentag¨wäre wahrscheinlich zur Vorbereitung dieser Synode nicht jene grosse Umfrage zu Stande gekommen, durch die die Meinungen des ganzen Kirchenvolkes zu den Synodenthemen eingeholt wurden. Die Synode fand von 1971 bis 1975 in Würzburg statt und verabschiedete in sieben Vollversammlungen achtzehn Beschlüsse und sechs Arbeitspapiere zur Umsetzung des Konzils in der deutschen Kirche.
Die Beschlüsse der Synode haben in Bistümern und Gemeinden zu vielen neuen Strukturen und zu Ansätzen für eine neue Pastoral geführt.
Anmerkung der Redaktion: Was ist aus den euphorischen “Visionen” geworden?
Die Form des Kreises existiert noch, nur steht im Mittelpunkt nicht mehr Gott, sondern der Mensch mit seinen anhaltenden Forderungen.
Im Jahre 2011 ist die mit unglaublichem Ressourcenverschleiss einhergehende “sexuelle Revolution” soweit gediehen, dass weltweit bereits Millionen ungeborene Kinder ihr Leben verloren haben und als neue Schande die PID angenommen wurde. Ehe und Familie, unsere Gesellschaft sie stehen vor den grössten Herausforderungen. Weite Teile des christlichen Abendlandes sind zur Neuevangelisierungszone geworden.
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