Abenteuerliche Theologie

Hat es Theologie nötig, auf solche Methoden zurückzugreifen?

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Von Pater Engelbert Recktenwald, 2. Dezember 2018

In einer polemischen Antwort auf Kardinal Gerhard Ludwig Müller macht sich der katholische Sozialethiker Gerhard Kruip Gedanken darüber, ob die Kirche in moralischen Fragen dazulernen kann. Er bringt zwar auch echte Argumente, etwa den Hinweis auf die Lehrentwicklung beim Thema Religionsfreiheit. Aber aus seiner Kernargumentation möchte ich ein Detail herausgreifen, das entlarvend ist und das einen ratlos fragen lässt: Hat es Theologie nötig, auf solche Methoden zurückzugreifen?

Um zu beweisen, dass jetzt schon die Kirche dazugelernt hat, stellt Kruip “Amoris Laetitia” dem Katechismus der Katholischen Kirche gegenüber. In AL heisst es, dass “die erotische Dimension der Liebe keineswegs als ein geduldetes Übel oder als eine Last” zu verstehen sei, sondern als ein “Geschenk Gottes”. Dem stellt er KKK Nr. 2352 entgegen, wonach der Genuss der geschlechtlichen Lust als “ungeordnet” und damit “unkeusch” angesehen wird, “wenn sie um ihrer selbst willen angestrebt” wird. Schaut man nach, dann entdeckt man, dass Kruip eine zweite Bedingung unterschlägt, die dort angegeben wird: “und [wenn die Geschlechtslust] dabei von ihrer inneren Hinordnung auf Weitergabe des Lebens und auf liebende Vereinigung losgelöst wird.” Es geht in diesem Abschnitt um die Definition der Unkeuschheit. Es geht also nicht, wie Kruip suggeriert, um eine Bewertung der erotischen Dimension der Liebe als solcher, sondern um die moralische Forderung, die Sexualität in eine von Gottes Ordnung vorgesehene Beziehung zu integrieren. Das ist es, was hier der sexuellen Lust um ihrer selbst willen entgegengestellt wird.

Die erotische Liebe als “Geschenk Gottes”: Ist das also etwas, das die Kirche erst unter Papst Franziskus hinzugelernt hat? Im KKK lesen wir ein Zitat von Pius XII., in dem er genau dasselbe behauptet: Wenn die Gatten die sexuelle Lust “anstreben und sie geniessen”, nehmen sie das an, “was der Schöpfer ihnen zugedacht hat” (KKK 2362).

Fazit: Kruip manipuliert die Texte, um dort, wo völlige Übereinstimmung besteht, einen Gegensatz zu konstruieren und so den Anschein zu erwecken, dass die Kirche bereits jetzt auf dem besten Wege sei, ihre Lehre zu ändern, um die Homosexualität neu zu bewerten. Denn tatsächlich geht es ja bei dem, was Kruip ein Dazulernen nennt, um eine grundlegende Zurückweisung alles dessen, was die Kirche seit zwei Jahrtausenden über die Keuschheit und über die Sünden der Unkeuschheit wie praktizierte Homosexualität, Masturbation, künstliche Empfängnisverhütung, vorehelichen Geschlechtsverkehr geglaubt und gelehrt hat.

Zu solcher Manipulation gehört dann z.B. auch dieser Satz: “Nimmt man ausserdem ernst, dass die Sexualität eben nicht nur die Funktion der Fortpflanzung hat, sondern ‘zwischenmenschliche Sprache’, ‘Ausdruck der Liebe’ ist, in der sich Menschen ‘in Ehrfurcht’ begegnen (AL 151), dann muss man doch auch darüber nachdenken, ob das nicht auch unter gleichgeschlechtlichen, sich liebenden Partnern möglich sein sollte.”

Dass die Sexualität nur die Funktion der Fortpflanzung habe, ist wiederum ein Strohmann-Argument, und die Rede von der Sexualität als “zwischenmenschlicher Sprache” und “Ausdruck der Liebe” ist gerade ein Grundzug der Theologie des Leibes des hl. Johannes Pauls II., die die bisherige Lehre nicht umgestürzt, sondern vertieft hat. Vielleicht sollten Theologen erst einmal dieser Theologie des Leibes lernend nach-denken, bevor sie auf fragwürdigen Bahnen manipulierend vor-denken.

An dieser Stelle also wieder dieselbe Taktik: Es wird ein Gegensatz konstruiert, der nicht da ist. Das ist dann die Ausgangsbasis, um zum grossen Schlag auszuholen: Jene, die an der Lehre der Kirche festhalten, sehen sich dem Vorwurf Kruips ausgesetzt “Lernprozesse verhindern [zu] wollen und sich damit gegen den ‘Sensus fidelium’, gegen Papst Franziskus und letztlich gegen den Auftrag Jesu” zu stellen. In dieser Optik verwandelt sich Glaubenstreue in Ungehorsam und Widerstand gegen den Auftrag Jesu. Geht es noch abenteuerlicher?

Ist das also das theologische Niveau, aufgrund dessen das römische Lehramt der deutschen Universitätstheologie nach Meinung einiger Theologen folgen soll? Dann tut es um der wissenschaftlichen Glaubwürdigkeit willen besser daran, es nicht zu tun.

Pater Engelbert Recktenwald ist Priester der Petrusbruderschaft und Schüler von Robert Spaemann. Er betreibt das “Portal zur Katholischen Geisteswelt” und wirkt als Seelsorger in Hannover. 

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