Impuls zum 27. Sonntag im Lesejahr C — 9.10.2016
„Die Ohrenbeichte hätte den Menschen nie genommen werden dürfen“
Quelle, 7. Oktober 2016, Peter von Steinitz, Kommentar zu Sonntagslesungen im Jahreskreis
Von zehn Aussätzigen, die Jesus geheilt hat, und die zur Feststellung der Heilung sich den Priestern vorstellen sollen, ist nur einer zurückgekehrt, um sich bei Jesus zu bedanken: ein beschämender Prozentsatz. Aber es kommt noch krasser: der eine ist auch noch ein Fremder, ein von den Juden verachteter Samaritaner.
Dabei sind die Juden das auserwählte Volk. Auch von daher sollte Jesus von ihnen mehr erwarten können. Aber mit dem auserwählten Volk ist es immer so eine Sache.
Wir Christen sind das auserwählte Volk des Neuen Bundes. Und wie verhalten wir uns? Sind wir denn dankbar für das Viele, das Gott uns gegeben hat?
Christus hat zur Verwaltung seines Erlösungswerks die Kirche gestiftet. Gewiss, wenn wir für die Kirche nicht dankbar sind, haben wir immer noch als Entschuldigung, dass die Vertreter der Kirche fehlbare Menschen sind.
Aber da, wo die Erlösung konkret stattfindet, nämlich in den Sakramenten, sollte man mit Objektivität sehen können, dass sie ein grosser Schatz sind, für den man nicht genug danken kann. Jeden Tag wird das heilige Messopfer tausendfach in unserm Land gefeiert, aber die Kirchen werden immer leerer. Eucharistie heisst übersetzt ‚Danksagung’.
Noch auffallender beim Sakrament der Beichte. Sie ist ja als Institution genau das, was die Aussätzigen in der Geschichte des heutigen Evangeliums erleben. So wie Jesus die Leprakranken mit seinem Wort heilt (“Ich will, sei rein!”), so heilt er durch sein Wort jeden vom Aussatz der Sünde. Jeden, der will. Der einzige Unterschied ist dieser: der vom Aussatz befallene Mensch weiss um seine Not, er sieht sie jeden Tag. Dem Menschen, der in Sünde ist, sieht man das im allgemeinen nicht an.
Da aber jeder Mensch vom Schöpfer ein Gewissen mitbekommen hat, müsste er ziemlich genau wissen, dass es auch bei ihm selbst manchmal sündiges Verhalten gibt, nicht nur bei anderen, den Politikern, den Bischöfen, den Finanzgrössen oder den Migranten. Wenn immer mehr Christen bei sich selbst die Sünde und damit die Notwendigkeit der Sündenvergebung nicht erkennen, können wir natürlich nicht erwarten, dass sie für die Beichte dankbar sind.
Was ist da eigentlich mit der Beichte passiert?
Früher hat man regelmässig gebeichtet, heute sind die meisten Pfarrkirchen beichtstuhlfrei. Allenfalls dient ein Beichtstuhl, wenn er dem Rausschmiss entgangen ist, als Besenkammer oder Abstellraum für Kirchengerät.
Und wer ist für die Abschaffung der Beichte verantwortlich? Die Bischöfe, der Papst? Natürlich nicht. Die Gläubigen? Auch nicht. Da ist seit Jahrzehnten bei der Priesterausbildung etwas ganz und gar schief gelaufen. Manche sprechen geradezu von Professoren als Schreibtischtätern.
Ja, könnte man aber einwenden, wenn nun einer doch unbedingt beichten will, kann er es doch ohne weiteres tun. Er muss nur den Pfarrer ansprechen, und der wird auch darauf eingehen. Das geschieht aber nicht, da die Hemmschwelle viel zu hoch ist. Daraus wiederum zu schliessen, dass kein Bedarf für die Beichte besteht, ist gelinde gesagt, leichtsinnig. Ein Priester ist normalerweise ein guter Psychologe und muss wissen, dass man es dem Gläubigen leicht machen muss, sein Herz zu öffnen.
Genau das meint Papst Franziskus, wenn er immer wieder sagt, dass die Kirche auf die Menschen zugehen muss. Dass sie nicht immer über die Sünde reden muss, wohl aber dass sie Hilfestellung leisten soll, damit der Mensch aus der Not der Sünde herauskommt. Er hat ja nicht gesagt, dass bestimmte Dinge jetzt auf einmal nicht mehr Sünde sind, die es früher waren. Vielmehr sieht er in der Kirche ein Feldlazarett, das nach den brutalen weltanschaulichen Schlachten unserer gottosen Kultur den vielen verwundeten Seelen Hilfe leisten soll, das heisst sie heilen soll. Ein Arzt heilt einen Kranken oder einen Verwundeten nicht dadurch, dass er ihm klarmacht, dass er gar keine Verwundung oder Krankheit hat.
Im achtzehnten Jahrhundert sagte ein kluger Mann, nicht einmal aus dem Glauben heraus, sondern weil er die Menschen kannte: “Die Ohrenbeichte hätte den Menschen nie genommen werden dürfen!” – Übrigens hat Luther die Beichte gar nicht abgeschafft, sondern der spätere Protestantismus.
Aber halten wir uns nicht damit auf, über die de-facto-Abschaffung der Beichte in Deutschland zu klagen. Davon kommt sie nicht wieder. Gehen wir zu den Priestern hin, die sich geduldig in einen Beichtstuhl setzen, in Kauf nehmen, dass eine Zeitlang keiner kommt, die aber gerade in den letzten Jahren zunehmend feststellen, dass ausgerechnet junge Leute das Sakrament der Beichte entdecken und regelmässig davon Gebrauch machen. Ja, es ist wirklich so, in einer normalen Stadtkirche kommen in der Regel mehr junge Leute zum Beichten als alte. Die Unheilspirale hat sich umgekehrt. Allerdings nur bei den Gläubigen, die Pfarrer verbannen immer noch weitere Beichtstühle aus den Kirchen, erst kürzlich so geschehen in einer Münsteraner Innenstadtkirche.
Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus sind die drei Päpste der göttlichen Barmherzigkeit. Noch ist die Zeit der Gnade, noch ist das Jahr der Barmherzigkeit. Machen wir Gebrauch davon und seien wir dankbar!
Der kluge Mann im achtzehnten Jahrhundert war übrigens Johann Wolfgang von Goethe. Er war zwar durchaus kein gläubiger Katholik, aber er hat vieles Katholische sozusagen intuitiv begriffen.
Maria, die Mutter der Barmherzigkeit, zieht uns hinan.
Msgr. Dr. Peter von Steinitz war bis 1980 als Architekt tätig; 1984 Priesterweihe durch den hl. Johannes Paul II.; 1987-2007 Pfarrer an St. Pantaleon, Köln; seit 2007 Seelsorger in Münster. Er ist Verfasser der katechetischen Romane: „Pantaleon der Arzt“, „Leo – Allah mahabba“ (auch als Hörbuch erhältlich) und „Katharina von Ägypten“.
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