“Anbetung im Geist und in der Wahrheit“
„Anbetung im Geist und in der Wahrheit“ – Gedanken zur Konstitution “Sacrosanctum Concilium”
Quelle
Pater Cantalamessa: „Keine menschliche Stimme vermag den Menschen so tief zu erreichen, wie das Wort Gottes“
“Nehmt euch das Wort zu Herzen, das in euch eingepflanzt worden ist”
Wenn evangelisiert wird, sprechen Taten lauter als Worte
P. Raniero Cantalamessa OFMCap — Erste Fastenpredigt 2016 (Volltext)
Rom, Zenit.org, 19. Februar 2016, Redaktion
Am heutigen Freitagmorgen hielt Pater Raniero Cantalamessa OFMCap, Prediger des Päpstlichen Hauses, in der Kapelle „Redemptoris Mater“ im Vatikan die erste traditionelle Fastenpredigt für den Papst und die römische Kurie’.
‘Wir dokumentieren die Predigt in einer eigenen Übersetzung’.
***
Anbetung im Geist und in der Wahrheit
Gedanken zur Konstitution Sacrosanctum Concilium
1. Das Zweite Vatikanische Konzil: Ein Zufluss, nicht der Hauptstrom
Mit diesen Meditationen zur Fastenzeit möchte ich die Betrachtungen über die großen Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils fortsetzen, nachdem wir uns in der Adventszeit mit der Konstitution Lumen gentium befasst haben. Ich halte es aber für nützlich, diesen Betrachtungen eine einfache Feststellung voranzustellen: Das Zweite Vatikanische Konzil ist ein Zufluss, nicht der Hauptstrom. In seinem wegweisenden Werk „Über die Entwicklung der christlichen Lehre“ hat der selige Kardinal Newman sehr deutlich gezeigt, dass man die Tradition nicht an einem Punkt ihrer Entwicklung anhalten kann – auch nicht an einem so wichtigen Punkt wie es ein ökumenisches Konzil ist – weil man sonst die „lebendige Tradition“ zu einer toten Tradition macht. Die Tradition ist wie eine Melodie. Was würde aus einer Melodie, wenn man sie an einer bestimmten Note anhalten und diese ins Endlose wiederholen wollte? Das passiert, wenn eine Platte klemmen bleibt, und das Ergebnis kennen wir alle.
Der heilige Johannes XXIII. wollte, dass das Konzil für die Kirche zu einem „neuen Pfingstereignis“ werde sollte. Zumindest in einem Punkt sind seine Gebete erhört worden. Nach dem Konzil haben wir ein Erwachen des Heiligen Geistes erlebt. Dieser ist heute nicht mehr der „große Unbekannte“ innerhalb der Dreifaltigkeit. Die Kirche ist sich heute seiner Gegenwart und seines Wirkens bewusster geworden. In seiner Predigt zur Chrisam-Messe am Gründonnerstag 2012 sagte Benedikt XVI.:
„Wer auf die Geschichte der Nachkonzilszeit hinschaut, der kann die Dynamik der wahren Erneuerung erkennen, die in lebendigen Bewegungen oft unerwartete Gestalten angenommen hat und die unerschöpfliche Lebendigkeit der heiligen Kirche, die Anwesenheit und die Wirksamkeit des Heiligen Geistes geradezu greifbar werden lässt.“
Das heißt nicht, dass wir von den Konzilstexten absehen oder über sie hinausgehen können; es heißt nur, dass wir das Konzil im Licht seiner eigenen Früchte interpretieren müssen. Dass die ökumenischen Konzile Auswirkungen haben können, die von den Teilnehmern selbst nicht unmittelbar verstanden werden, ist eine Wahrheit, die der schon erwähnte Kardinal Newman im Zusammenhang mit dem Ersten Vatikanischen Konzil betonte [1], die sich aber im Laufe der Geschichte immer wieder bemerkbar macht. Durch die Definition Mariens als „Gottgebärerin“ (Theotokos) verfolgte das ökumenische Konzil von Ephesos im Jahr 431 die Absicht, die Einheit der Person Christi zu untermauern und nicht den Marienkult zu stärken; genau Letzteres ist jedoch seine wichtigste Auswirkung gewesen.
Wenn es einen Bereich gibt, in dem sich Theologie und Leben der katholischen Kirche in den 50 Jahren seit dem Konzil besonders bereichert haben, dann ist es der des Heiligen Geistes. In allen großen christlichen Konfessionen hat sich in den letzten Jahren das durchgesetzt, was Karl Barth als „Theologie des Dritten Artikels“ bezeichnete. Darunter versteht man jene Theologie, die nicht beim Heiligen Geist endet, sondern mit ihm beginnt; die in ihre Betrachtungen die Reihenfolge mit einbezieht, in der sich der christliche Glaube und sein Bekenntnis gebildet haben, und nicht nur auf das Endprodukt schaut. Im Licht des Heiligen Geistes entdeckten die Apostel, wer Jesus wirklich war, und verstanden seine Offenbarung über den Vater. Das Glaubensbekenntnis der Kirche, wie wir es kennen, ist perfekt und niemand denkt daran, es abzuändern; aber es ist ein Endprodukt, das letzte Stadium des Glaubens, nicht der Weg, durch den man zum Glauben gelangt. In Hinblick auf die Neuevangelisierung ist es jedoch wichtig für uns, auch diesen Weg zum Glauben zu kennen und nicht nur seine endgültige Kodifizierung, die wir im Glaubensbekenntnis auswendig aufsagen.
In diesem Licht erkennen wir deutlich die Implikationen mancher Aussagen des Konzils; aber auch manche Kluft und mancher Leerraum wird sichtbar, den es noch auszufüllen gilt; gerade auch im Zusammenhang mit der Rolle des Heiligen Geistes. Dieser Notwendigkeit war sich auch der heilige Johannes Paul II. bewusst, als er 1981, anlässlich der 1600-Jahrfeier des Konzils von Konstantinopel, in einem Apostolischen Schreiben erklärte:
„Das ganze Erneuerungswerk der Kirche, das das II. Vatikanische Konzil so providentiell vorgelegt und eingeleitet hat […] kann nur im Heiligen Geist verwirklicht werden, das heißt mit dem Beistand seines Lichtes und seiner Kraft.“ [2]
2. Der Platz des Heiligen Geistes in der Liturgie
Diese allgemeine Grundbetrachtung erweist sich als besonders nützlich, wenn es um die Liturgie geht, wie es in Sacrosanctum Concilium der Fall ist. Diese Konstitution entstand aus dem Bedürfnis nach einer Erneuerung der Formen und Riten der katholischen Liturgie. Sie hat viele Früchte getragen, die in ihrer Summe der Kirche sehr gut getan haben. Weniger stark war damals das Bedürfnis nach dem, was Romano Guardini als „den Geist der Liturgie“ [3] bezeichnete und was ich in einem gewissen Sinn, den ich gleich erklären werde, als „die Liturgie des Geistes“ (des Heiligen Geistes!) bezeichnen würde.
Um der erklärten Absicht dieser Meditationen treu zu bleiben, die darin besteht, einige besonders spirituelle Aspekte des Konzils zu vertiefen, will ich genau bei diesem Punkt verweilen. Die Konstitution Sacrosanctum Concilium widmet ihm nur wenige einleitende Zeilen, die das Ergebnis der Debatten sind, die der endgültigen Niederschrift des Textes vorausgingen [4]:
„In der Tat gesellt sich Christus in diesem großen Werk, in dem Gott vollkommen verherrlicht und die Menschheit geheiligt werden, immer wieder die Kirche zu, seine geliebte Braut. Sie ruft ihren Herrn an, und durch ihn huldigt sie dem ewigen Vater. Mit Recht gilt also die Liturgie als Vollzug des Priesteramtes Jesu Christi; durch sinnenfällige Zeichen wird in ihr die Heiligung des Menschen bezeichnet und in je eigener Weise bewirkt und vom mystischen Leib Jesu Christi, d.h. dem Haupt und den Gliedern, der gesamte öffentliche Kult vollzogen. Infolgedessen ist jede liturgische Feier als Werk Christi, des Priesters, und seines Leibes, der die Kirche ist, in vorzüglichem Sinn heilige Handlung, deren Wirksamkeit kein anderes Tun der Kirche an Rang und Maß erreicht.“ [5]
Heute sind wir in der Lage, die Lücke zu entdecken, die in dieser Definition der liturgischen Handlung enthalten ist. Sie betrifft die handelnden Subjekte: Christus und die Kirche werden als Hauptakteure der Liturgie erwähnt. Es fehlt jeder Hinweis auf den Platz, der dem Heiligen Geist zukommt. Auch im Rest der Konstitution ist der Heilige Geist nie Gegenstand einer eigenen Überlegung, sondern wird immer nur „am Rande“ berührt.
Die Offenbarung des Johannes nennt uns die vollständige Reihenfolge der liturgischen Akteure, indem sie den christlichen Kult in einem Satz zusammenfasst: „Der Geist und die Braut sagen [zu Christus dem Herrn]: Komm!“ (Offb 22,17). Doch hatte auch Jesus bereits das Wesen und die Neuartigkeit des Kultes im neuem Bund auf vollkommene Weise umschrieben, als er zur Samariterin sagte: „Aber die Stunde kommt und sie ist schon da, zu der die wahren Beter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit“ (Joh 4,23).
Der Ausdruck „im Geist und in der Wahrheit“ kann in der Sprache des Johannes nur zwei Dinge bedeuten: entweder den „Geist der Wahrheit“, also den Heiligen Geist (vgl. Joh 14,17; 16,13), oder den Geist Christi, der die Wahrheit ist (vgl. Joh 14,6). Eines ist sicher: Er hat nichts mit der den Idealisten und Romantikern liebgewordenen subjektiven Deutung zu tun, wonach „Geist und Wahrheit“ sich auf das verborgene Innenleben des Menschen bezieht, im Gegensatz zu jeder Art von äußerem und sichtbarem Kult. Es geht hier nicht nur um den Übergang vom Äußeren zum Inneren, sondern vor allem um den Sprung vom Menschlichen zum Göttlichen.
Wenn die christliche Liturgie „Werk Christi, des Priesters“ ist, dann besteht der beste Weg, um ihr Wesen zu entdecken darin, zu betrachten, auf welche Weise Christus selbst seine priesterliche Funktion in seinem Leben und Sterben ausübte. Aufgabe des Priesters ist es, Gott „Gaben und Opfer“ darzubringen (vgl. Hebr 5,1; 8,3). Nun wissen wir, dass der Heilige Geist es war, der dem menschgewordenen Wort den Ruf „Abba!“ ins Herz legte, der all seine Gebete umschließt. Lukas sagt dies ausdrücklich, indem er schreibt: „In dieser Stunde rief Jesus, vom Heiligen Geist erfüllt, voll Freude aus: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde…“ (vgl. Lk 10,21). Auch die Opfergabe seines Leibes am Kreuz erfolgte, wie es im Hebräerbrief heißt, „kraft ewigen Geistes“ (Hebr 9,14), d.h. durch einen Impuls des Heiligen Geistes.
Der heilige Basilius hat zu diesem Thema etwas sehr Erleuchtendes geschrieben:
„Der Weg der Erkenntnis Gottes nimmt seinen Anfang beim einzigen Geist und führt über den einzigen Sohn zum einzigen Vater; umgekehrt weitet sich die natürliche Güte, d.h. die naturgemäße Heiligung, vom Vater, mittels des Sohnes, bis zum Heiligen Geist aus.“ [6]
In anderen Worten: Die Reihenfolge der Schöpfung, des Herausgehens der Geschöpfe aus Gott, beginnt beim Vater und führt über den Sohn zum Heiligen Geist; der Weg der Erkenntnis, d.h. unserer Rückkehr zu Gott, dessen höchster Ausdruck die Liturgie ist, verläuft umgekehrt: Er beginnt beim Geist und gelangt über den Sohn zum Vater. Diese aufsteigende und absteigende Vision des Wirkens des Heiligen Geistes ist auch der lateinischen Theologie geläufig. Der selige Isaak von Stella (12. Jahrhundert) drückt sie in Worten aus, die denen des heiligen Basilius sehr nahe stehen:
„So wie die göttlichen Dinge vom Vater mittels des Sohnes und im Heiligen Geist zu uns gelangen, so steigen die menschlichen Dinge mittels des Sohnes und im Heiligen Geist zum Vater auf.“ [7]
Wie man sieht geht es nicht darum, der einen oder der anderen Person der Dreifaltigkeit den Vorzug zu geben, sondern es geht um die trinitarische Dynamik der Liturgie. Den Heiligen Geist zu verschweigen schwächt unvermeidlich den trinitarischen Charakter der Liturgie. Deshalb scheint mir der Aufruf des heiligen Johannes Paul II. in seinem Apostolischen Schreiben Novo millennio ineunte aktueller denn je:
„Vom Heiligen Geist gewirkt, macht [das Gebet] uns durch Christus und in Christus offen, damit wir das Antlitz des Vaters betrachten können. Das Erlernen dieser trinitarischen Logik des christlichen Gebets, indem man es vor allem in der Liturgie, Höhepunkt und Quelle des kirchlichen Lebens, aber auch in der persönlichen Erfahrung lebt, ist das Geheimnis eines wirklich lebendigen Christentums, das keinen Grund hat, sich vor der Zukunft zu fürchten, weil es unablässig zu den Quellen zurückkehrt und sich in ihnen erneuert. [8]
3. Die Anbetung „im Geist“
Versuchen wir jetzt, aus diesen Überlegungen die eine oder andere praktische Anweisung zu ziehen, speziell für unsere Art, die Liturgie zu erleben, damit sie in einer ihrer Hauptaufgaben gelingen kann: in der Heiligung der Seelen. Der Heilige Geist gibt uns keinen Freibrief, um neue und willkürliche Formen der Liturgie zu erfinden oder die existierende Liturgie eigenmächtig zu verändern (diese Aufgabe bleibt der kirchlichen Hierarchie vorbehalten). Dennoch ist er der Einzige, der die Ausdrucksformen der Liturgie erneuert und ihnen Leben gibt. In anderen Worten: der Heilige Geist macht keine neuen Dinge, aber er macht alle Dinge neu! Die von Paulus wiederholten Worte Jesu: „Der Geist ist es, der lebendig macht“ (Joh 6,63; 2 Kor 3,6), passen in erster Linie auch auf die Liturgie.
Der Völkerapostel forderte seine Gläubigen auf, „im Geist“ zu beten (Eph 6,18; vgl. auch Jud 20). Was bedeutet das: im Geist zu beten? Es bedeutet, Jesus zu erlauben, seine priesterliche Funktion weiterhin in seinem mystischen Leib, der Kirche, auszuüben. Das christliche Gebet wird zur Verlängerung des Gebets des Hauptes im Leibe. Bekannt ist die Aussage des heiligen Augustinus:
„Unser Herr Jesus Christus, der Sohn Gottes, betet für uns und in uns, und wir beten zu ihm. Er betet für uns als unser Priester; er betet in uns als unser Haupt; und wir beten zu ihm als zu unserem Gott. Daher erkennen wir in ihm unsere Stimme und in uns seine Stimme.“ [9]
In diesem Licht erscheint die Liturgie uns als „Opus Dei“, als Werk Gottes, weil sie nicht nur Gott zum Gegenstand hat, sondern Gott auch ihr handelndes Subjekt ist; nicht nur wir beten zu Gott, sondern Gott betet in uns. Der Ruf: „Abba“, Vater, den der Geist, wenn er auf uns herabkommt, an den Vater richtet (vgl. Gal 4,6; Röm 8,15), beweist, dass Jesus, der alleinige Sohn Gottes, durch den Heiligen Geist in uns betet. Denn von sich aus könnte der Heilige Geist sich nicht mit diesem Wort an den Vater wenden, weil er ja nicht „gezeugt“ ist, sondern nur vom Vater „ausgeht“. Wenn er es dennoch tut, dann deshalb, weil es der Geist Christi ist, der in uns sein Gebet zum Vater fortsetzt.
Besonders dann, wenn das Gebet Mühsal und Kampf wird, entdecken wir, wie wichtig der Heilige Geist für unser Gebetsleben ist. Der Geist wird zur Kraft unseres ansonsten schwachen Gebets; er wird zum Licht unseres erloschenen Gebets; in einem Wort: zur Seele unseres Gebets. Wahrhaftig, er „bewässert, was wüst und trocken ist.“
Das alles geschieht im Glauben. Ich muss nur sagen oder denken: „Vater, du hast mir den Geist Jesu geschenkt; da ich also ‚eines Geistes‘ mit Jesus bin, singe ich diesen Psalm, feiere ich diese Messe, oder verweile hier einfach nur im Stillen in deiner Gegenwart. Ich will dir jene Ehre und jene Freude entgegenbringen, wie Jesus es tun würde, wenn er noch von der Welt aus zu dir beten würde.“
Der Heilige Geist belebt auf ganz besondere Weise das anbetende Gebet, das den Kern jeder Liturgie bildet. Die Besonderheit dieses Gebets liegt darin, dass es sich um das einzige Gefühl handelt, das wir ausschließlich für die göttlichen Personen empfinden können. Das ist es, was Anbetung und Verehrung, auch die höchste Form der Verehrung, voneinander unterscheidet. Wir verehren die Heiligen und verehren ganz besonders die Muttergottes, aber wir beten sie nicht an. Das ist der Unterschied, den viele Kritiker des katholischen Glaubens nicht verstanden haben.
Die christliche Anbetung ist ebenfalls dreifaltig. Sie ist es in ihrem Ablauf, denn sie richtet sich an „den Vater, durch den Sohn, im Heiligen Geist“; und sie ist es auch in ihrem Ziel, denn sie gilt „dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist“.
Innerhalb der abendländischen Spiritualität hat Kardinal Pierre de Bérulle (1575-1629) das Thema der Anbetung am meisten vertieft. Für ihn ist Christus der vollkommene Anbeter des Vaters, dem man sich anschließen muss, um Gott im höchsten Maße anzubeten [10]. Er schreibt:
„Seit ewig hat es einen unendlich verehrungswürdigen Gott gegeben; doch gab es noch keinen unendlich großen Verehrer […]. Du, o Jesus, bist jetzt dieser Anbeter, dieser Mensch, dieser Diener, der an Macht und Würde unendlich groß ist; nur du kannst die Pflicht dieser göttlichen Anbetung vollkommen erfüllen.“ [11]
Wenn es in dieser Sichtweise, die der Kirche wunderbare Früchte gebracht und die französische Spiritualität für Jahrhunderte geprägt hat, einen Mangel gibt, dann ist es derselbe, den wir auch im Zusammenhang mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil betont haben: die geringe Aufmerksamkeit, die der Rolle des Heiligen Geistes geschenkt wird. Bérulle geht in seinen Überlegungen vom menschgewordenen Wort unmittelbar zum „königlichen Hof“ über, der dieses begleitet und ihm folgt: die Jungfrau Maria, Johannes der Täufer, die Apostel, die Heiligen. Es fehlt die Anerkennung der wesentlichen Rolle des Heiligen Geistes.
Wie Basilius lehrt, beginnt jeder Weg zu Gott mit dem Heiligen Geist, führt über den Sohn und endet im Vater. Es reicht daher nicht, wenn wir uns von Zeit zu Zeit daran erinnern, dass es den Heiligen Geist auch gibt; wir müssen die grundlegende Rolle erkennen, die er als Bindeglied sowohl auf dem Weg der Geschöpfe aus Gott heraus als auch auf ihrem Heimweg zu Gott hin spielt. Der Graben, der sich zwischen uns und dem Jesus der Geschichte auftut, wird durch den Heiligen Geist gefüllt. Ohne ihn wäre die Liturgie nur ein Gedenken; mit ihm ist sie auch lebendige Gegenwart.
Im Buch Exodus steht, dass Gott auf dem Sinai Mose einen Felsspalt zeigte, in den er sich stellen konnte, um von dort aus die Herrlichkeit Gottes zu schauen, ohne daran zu sterben (vgl. Ex 33,21). Diese Textstelle kommentierte Basilius wie folgt:
„Was ist heute, für uns Christen, jener Felsspalt; jener Ort, zu dem wir Zuflucht nehmen können, um Gott zu betrachten und anzubeten? Es ist der Heilige Geist! Von wem wissen wir das? Von Jesus selbst, der gesagt hat: Die wahren Beter werden den Vater im Geist und in der Wahrheit anbeten.“ [12]
Welch eine Aussicht, welche Schönheit, welche Anziehungskraft verleiht das alles dem Ideal der christlichen Anbetung! Wer spürt nicht von Zeit zu Zeit das Bedürfnis, sich aus dem Wirbelwind der Welt in diesen geistigen Felsspalt zurückzuziehen, um Gott zu betrachten und anzubeten, wie Mose?
4. Das Fürbittgebet
Neben der Anbetung ist ein wesentlicher Bestandteil des liturgischen Gebets die Fürbitte. In ihrem ganzen Beten tut die Kirche nichts anderes, als Fürbitte zu leisten: für sich selbst und für die Welt, für die Gerechten und für die Sünder, für die Lebenden und für die Toten. Auch dieses Gebet will der Heilige Geist beleben und bekräftigen. Über ihn schreibt Paulus:
„So nimmt sich auch der Geist unserer Schwachheit an. Denn wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit Seufzen, das wir nicht in Worte fassen können. Und Gott, der die Herzen erforscht, weiß, was die Absicht des Geistes ist: Er tritt so, wie Gott es will, für die Heiligen ein“ (Röm 8, 26-27).
Der Heilige Geist bittet für uns und lehrt uns die Fürbitte für unsere Mitmenschen. Im Gebet für jemanden zu bitten bedeutet, sich im Glauben dem auferstandenen Christus anzuschließen, der in einem Zustand fortwährender Fürbitte für die Welt lebt (vgl. Röm 8,34; Hebr 7,25; 1 Joh 2,1). Mit dem großen Gebet, das sein irdisches Leben besiegelt, bietet Jesus uns das erhabenste Beispiel eines Fürbittgebets:
„Für sie bitte ich; für alle, die du mir gegeben hast […]. Bewahre sie in deinem Namen. Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie vor dem Bösen bewahrst. Heilige sie in der Wahrheit […]. Ich bitte nicht nur für diese hier, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben…“ (vgl. Joh 17, 9 ff.).
Über den leidenden Knecht wird in Jesaja gesagt, dass Gott ihm „seinen Anteil unter den Großen“ gibt, weil er „die Sünden von vielen trug und für die Schuldigen eintrat“ (Jes 53,12). Dieses Prophetenwort hat seine vollkommene Erfüllung in Jesus gefunden, der vom Kreuz aus für seine Peiniger bittet (vgl. Lk 23,34).
Die Wirksamkeit einer Fürbitte hängt nicht davon ab, wie viele Worte man macht (vgl. Mt 6,7), sondern von dem Maß an Angleichung mit dem Gebet Christi, das ein Mensch erreichen kann. Statt die Worte zu vervielfältigen, ist es eher sinnvoll, die Fürbitter zu vervielfältigen, d.h. die Hilfe Mariens und der Heiligen zu erbitten. An Allerheiligen bittet die Kirche Gott um Erhörung kraft der Fülle der Fürbitter („multiplicatis intercessoribus“).
Man kann die Fürbitter auch vervielfältigen, indem man gegenseitig füreinander betet. Der heilige Ambrosius lehrt:
„Wenn du für dich selbst bittest, dann wirst nur du allein für dich bitten und wenn jeder nur für sich selbst bittet, wird die Gnade, die er empfängt, geringer sein als die derer, die für andere bitten. Wenn aber jeder Einzelne für alle bittet, dann bitten zugleich alle für jeden Einzelnen. Wir können also zusammenfassen: Wenn du nur für dich allein bittest, dann bittest du allein für dich. Wenn du hingegen für alle bittest, werden auch alle anderen für dich bitten, denn du wirst ein Mitglied der Gesamtheit sein.“ [13]
Das Fürbittgebet ist besonders gottgefällig, weil es frei von Egoismus ist, der göttlichen Unentgeltlichkeit ähnelt und im Einklang mit dem Willen Gottes steht, „der will, dass alle Menschen gerettet werden“ (1 Tim 2,4). Gott ist wie ein liebender Vater, der die Pflicht hat zu strafen, aber alle möglichen „mildernden Umstände“ sucht, um es nicht tun zu müssen und in seinem Herzen froh ist, wenn die Brüder des Schuldigen ihn davon abhalten wollen.
Wenn diese brüderlichen Arme fehlen, die zu ihm flehen, dann beklagt er sich in der Heiligen Schrift darüber: „Er sah, dass keiner sich regte, und war entsetzt, dass niemand einschritt“ (Jes 59,16). Ezechiel berichtet von folgendem Klageruf Gottes: „Da suchte ich unter ihnen einen Mann, der eine Mauer baut oder für das Land in die Bresche springt und mir entgegentritt, damit ich es nicht vernichten muss; aber ich fand keinen“ (Ez 22,30).
Das Wort Gottes betont immer wieder die außergewöhnliche Macht, die durch seine eigene Verfügung dem Gebet jener zukommt, die er als Hirten über sein Volk bestellt hat. In einem Psalm heißt es, dass Gott beschlossen hatte, sein Volk wegen der Anbetung des goldenen Kalbs zu vernichten, „wäre nicht Mose, sein Erwählter, für sie in die Bresche gesprungen, sodass Gott sie im Zorn nicht vertilgte“ (vgl. Ps 106,23).
Den Hirten und Geistesführern wage ich zu sagen: Wenn ihr im Gebet spürt, dass Gott gegen das euch anvertraute Volk erzürnt ist, dann stellt euch nicht sofort auf die Seite Gottes; stellt euch auf die Seite des Volkes! So hat Mose es auch getan und er ging so weit, Gott zu bitten, ihn selbst aus dem Buch des Lebens zu streichen (vgl. Ex 32,32). Und die Bibel gibt zu verstehen, dass dies genau das war, was Gott wollte, denn er sah von seinem Vorhaben, dem Volk zu schaden, ab. Wenn wir vor dem Volk stehen, dann müssen wir Gott mit aller Macht rechtgeben. Als Mose wenig später vor das Volk trat, entbrannte sein Zorn in vollem Umfang: Er zerstörte das Kalb, zerstampfte es zu Staub, streute den Staub in Wasser und gab es den Israeliten zu trinken (vgl. Ex 32,19 ff). Nur wer das Volk vor Gott verteidigt und die Last seiner Sünde getragen hat, hat auch das Recht – und wird den Mut finden – es hinterher zu rügen und Gottes Sache zu verteidigen, wie Mose es tat.
Zum Abschluss dieser Meditation wollen wir gemeinsam die Worte sprechen, die die Stelle des Heiligen Geistes und die trinitarische Ausrichtung der Liturgie am besten wiedergeben: die Enddoxologie des Römischen Kanons: „Durch Christus, mit Christus und in Christus ist dir, Gott, allmächtiger Vater, in der Einheit des Heiligen Geistes, alle Herrlichkeit und Ehre, jetzt und in Ewigkeit. Amen.“
[Aus dem Italienischen übersetzt von Alexander Wagensommer]*
FUSSNOTEN
[1] Vgl. I. Ker, Newman, the Councils, and Vatican II; in „Communio“. International Catholic Review, 2001, pp. 708-728.
[2] Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben A Concilio Constantinopolitano I, 25 März 1981; in AAS 73 (1981) 515-527.
[3] R. Guardini, Vom Geist der Liturgie, 23 ed., Grünewald 2013; J. Ratzinger, Der Geist der Liturgie, Herder, Freiburg, i.b., 2000.
[4] Alberigo, op. cit., III, S 245 f.
[5] SC, 7.
[6] Basilius von Caesarea, De Spiritu Sancto XVIII, 47 (PG 32 , 153).
[7] Sel. Isaak von Stella, De anima (PL 194, 1888).
[8] NMI, 32.
[9] Augustinus, Enarrationes in Psalmos 85, 1: CCL 39, S. 1176.
[10] M. Dupuy, Bérulle, une spiritualité de l’adoration, Paris 1964.
[11] P. de Bérulle, Discours de l’Etat et des grandeurs de Jésus (1623), ed. Paris 1986, Discours II, 12.
[12] Basilius, De Spiritu Sancto, XXVI,62 (PG 32, 181 ff.).
[13] Ambrosius, De Cain et Abel, I, 39 (CSEL 32, S. 372).
Schreibe einen Kommentar