“Nicht entmutigt, aber verletzt”

Wie in jedem Jahr besuchen katholische Bischöfe die Christen im Heiligen Land – Was sie sehen, macht sie betroffen

Quelle
Cremisantal

Von Oliver Maksan

Cremisantal, Die Tagespost, 11. Januar 2016

Nicht laut oder gar gewaltsam, aber bestimmt machen die beiden israelischen Grenzpolizisten am Sonntagmorgen klar, dass es auf dem Schotterweg kein Weiterkommen gibt. Die Gegend sei militärisches Sperrgebiet, erklären sie. Schnell wird klar: Jede Diskussion ist zwecklos. Aus der Nähe werden sich die aus aller Welt angereisten katholischen Bischöfe die Bauarbeiten am Mauerabschnitt im Cremisantal südlich von Jerusalem also nicht anschauen können. Die Bischöfe, die wie jedes Jahr im Rahmen der “Heilig-Land-Koordination”, einer zur Jahrtausendwende gegründeten Solidaritätsgruppe, nach Israel und Palästina kommen, fügen sich wohl oder übel. Langsam drängt ein Militärjeep die Gruppe zurück. Die vor ihm herlaufenden Polizisten machen auf kameradschaftlich. Ein Polizist schiebt einen Mann – ihm die Schulter klopfend – leicht von hinten an. “Ich gehe. Aber fass mich nicht an”, faucht der, ein Palästinenser, zurück. Bitten der Grenzschützer nach einem gemeinsamen Bild wollen die Bischöfe nicht erfüllen. “Tut das nicht. Das landet dann zu Propagandazwecken auf der Seite des israelischen Aussenministeriums oder sonstwo in den sozialen Netzwerken. Damit wollen sie der Welt dann weismachen, wie herzlich sie mit Bischöfen umgehen”, warnt ein Mitarbeiter der katholischen Menschenrechtsorganisation Saint Yves.

Die vom Lateinischen Patriarchat in Jerusalem getragene Organisation ist seit Jahren in dem berühmten Streitfall von Cremisan mit ihren Rechtsanwälten vertreten. Sie haben die Oberhirten aus den USA, Kanada, Südafrika und Europa zur Ortsbegehung eingeladen. Seit 2006 schon dauert der Rechtsstreit vor den verschiedenen Instanzen an. Neben zwei katholischen Klöstern sind auch fast sechzig christliche Familien von dem Mauerbau betroffen, für den Israel Sicherheitsgründe und Terrorabwehr angibt, in dem die Palästinenser aber einen staatlich organisierten Landraub vermuten. Schliesslich wird die sich über 700 Kilometer schlängelnde Sperranlage zwischen Israel und den Palästinensergebieten zu etwa achtzig Prozent auf palästinensischem Land gebaut.

Im Cremisantal ist das nicht anders. Gross war deshalb die Freude, als am Gründonnerstag vergangenen Jahres in letzter Instanz Israels Oberster Gerichtshof verkündete, dass die beiden Klöster auf der palästinensischen Seite verbleiben würden samt ihren Ländereien und dass die Armee einen anderen Mauerverlauf vorlegen müsse. Die Familien lasen das Urteil so, dass auch sie und ihr Land gerettet waren. Von einem grossen Sieg der Gerechtigkeit sprach die Kirche. Der Papst, das amerikanische Aussenministerium und die Europäische Union hatten sich zuvor des Falles angenommen. Die Gebete der Menschen schienen erhört. Im Juli dann präzisierten die Richter, nachdem die Armee den Familien zu deren Entsetzen ihre Bauabsichten für die nahe Zukunft mitteilte. Sinngemäss hiess es: Sie hätten nur über die Klöster gesprochen. Seit August wird jetzt also gebaut. Bagger und Betonfundamente sind in der Gegend zu sehen. Die Anwälte der Betroffenen versuchen noch immer alles. Doch die Hoffnung ist gering. Immer wieder kommt es zu Demonstrationen aufgebrachter Palästinenser. Häufig schon haben die Israelis darauf mit Tränengas reagiert.

“Ich habe bereits fünfzehn Olivenbäume wegen der Mauer verloren. Sie waren viele hundert Jahre alt. Mir blutet das Herz”, sagt Herr Nahmi. “Und sie werden uns noch mehr nehmen.” Der alte Herr, ein orthodoxer Christ aus Beit Dschalla, einem überwiegend christlichen Ort nahe Bethlehem, ist vom begonnenen Mauerbau direkt betroffen. Kompensation für den Verlust habe er keine erhalten, sagt er. Er wisse auch nicht, wo die ausgegrabenen Bäume geblieben seien. Womöglich würden sie in einer Siedlung eingepflanzt. Und von den landwirtschaftlichen Toren, die die Armee den Bauern einrichten will, hält er auch nichts. “Das hat bisher schon nicht funktioniert. Aus irgendwelchen Sicherheitsgründen werden die Leute dann am Zugang gehindert. Ganz abgesehen davon, ob es ihnen erlaubt wird, schweres landwirtschaftliches Gerät und Arbeiter in die dann auf der israelischen Seite liegenden Felder mitzunehmen. Faktisch ist unser Land verloren. Die Israelis wenden ja noch immer das osmanische Recht an, wonach privates Land in den Staatsbesitz fällt, wenn es zehn Jahre lang nicht bebaut wird.” Herrn Nahmi ist überzeugt: “Israel will uns Palästinenser aus Palästina weghaben. Deswegen handeln sie so. Uns Christen trifft es besonders hart. Wenn das so weitergeht, dann sind die Kirchen hier in fünfzehn Jahren Museen.”

Sein Neffe Xavier stimmt ihm zu. Der in Chile geborene Palästinenser hat sich ganz bewusst entschieden, in die Heimat seiner Vorfahren zurückzukommen. Der junge Katholik arbeitet jetzt für die PLO. “Wir haben vier Jahre lang jeden Freitag in den Olivenhainen die Messe gefeiert und gebetet, damit uns das erspart bleibt, was jetzt geschieht. Als im letzten April das Urteil erging, habe ich gejubelt. Ich konnte unseren Kritikern und den jungen Leuten, die mit uns gebetet haben statt Steine zu werfen, sagen, dass sich Gebet und gewaltfreier Widerstand auszahlen. Aber was kann ich ihnen jetzt sagen?“

Bischof Rodolfo Cetoloni aus Italien haben die Vorgänge in Cremisan ebenfalls betroffen gemacht. Der Franziskaner leitet die Diözese Grosseto in der Toskana. Er hat selbst als junger Bruder in Jerusalem studiert und setzt sich seit Jahren mit Projekten und Pilgerfahrten für die Christen im Heiligen Land ein. Auch in der Cremisansache haben sich die italienischen Bischöfe stark gemacht. Vergeblich. Entmutigt ihn das nicht? Sind die Solidaritätsbesuche letztlich nicht vergebens? “Nein, aber was in Cremisan geschieht, verletzt mich sehr“, meint er. “Es tut mir so weh zu sehen, wie die kleinen Leute leiden. Sie verlieren ja nicht nur Land und oft auch ihre Lebensgrundlage, sondern auch ihre Geschichte, ihre Wurzeln.” Nachlassen mit seinem Einsatz für die Christen im Heiligen Land will er aber nicht. “Nur die öffentliche Meinung kann noch helfen. Man muss bekannt machen, was hier geschieht. Israel verwundet sich hier selbst. Es verteidigt nicht seine Sicherheit, sondern die Besatzung.” Wichtig ist dem Bischof dabei, dass es gewaltlos zugeht. “Man stiftet keinen Frieden, wenn man ihn nicht in sich trägt. Aber man muss stark und furchtlos auftreten und das Unrecht anklagen.” Der Besuch in Cremisan hat Bischof Cetoloni verdeutlicht, dass es auf die persönliche Begegnung ankommt. Er will den italienischen Bischöfen deshalb nach seiner Rückkehr vorschlagen, bei Pilgerfahrten verstärkt darauf zu achten, den Christen im Heiligen Land zu begegnen. “Wir Bischöfe unterstützen viele Projekte hier. Das ist ganz wichtig. Aber es reicht nicht. Man muss den leidenden Christen die Hand halten, ihnen in die Augen schauen und ihre Geschichten hören. Darauf kommt es an.”

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