Die Schrecken der Euthanasie für mental Kranke kehren nach Europa zurück

In Belgien wurde grünes Licht für den “süssen Tod” einer an Depressionen leidenden jungen Frau gegeben

SchöpfungEine Alternative wird vom Psychiater Santo Rullo vorgeschlagen. Dieser setzt Sport zur Therapie von Depressionen ein

Rom, 7. Juli 2015, zenit.org, Antonio Gaspari

Vor kurzem wurde berichtet, dass die 24-jährige an Depressionen leidende Belgierin Laura um assistierten Suizid angesucht hatte und die belgische Föderalkommission für Euthanasiekontrolle dem zugestimmt hatte. Dabei handelt es sich um kein Novum: 3% der insgesamt ca. 50 jährlich die Euthanasie in Anspruch nehmenden Personen treffen diese Entscheidung aufgrund psychischer Probleme. Auf der Suche nach den Gründen, warum dieser Weg des Todes trotz der Schrecken, die die Euthanasie in der jüngeren Geschichte Europas verbreitet hat, weitergegangen wird, führte Zenit ein Interview mit dem Psychiater Santo Rullo, dem ehemaligen Präsidenten der Italienischen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie, früheren Sekretär des Kuratoriums des Weltverbandes für Soziale Psychiatrie und aktuellen Leiter der Klinik „Villa Letizia Servizi Clinici per il Disagio Psichico“ (Villa Letizia, klinische Dienste zur Behandlung psychischer Leiden).

***

Dott. Rullo, was halten Sie von diesem Schritt?

Dott. Santo Rullo: Diese Meldung erfüllt mich mit grosser Erschütterung. Die Depression ist ein Krankheitsbild und betrifft Grundfragen des Daseins . Weltweit ist eine enorm hohe Zahl von Menschen davon betroffen. Etwa 20% der allgemeinen Bevölkerung kann im Laufe des Lebens eine klinische Depression manifestieren. In einer noch höheren Zahl von Fällen kommt es zu depressiven Reaktionen auf belastende Ereignisse des Lebens, die im Nachhinein rasch und ohne Rückgriff auf medizinische Hilfe überwunden werden, Bei den gravierendsten Formen der Depression und weiteren schwereren mentalen Krankheiten wie schizophrener Psychose werden die Krankheitseinsicht und die Selbstbestimmungs- und Entscheidungsfähigkeit im Leben stark beeinträchtigt. Der Umstand, dass einem durch eine anzunehmende Willensunfähigkeit vereitelter “Wille” stattgegeben wurde, erscheint mir unglaublich.

Ist es nicht furchtbar, Menschen mit einer beeinträchtigten psychischen Gesundheit sterben zu lassen?

Dott. Santo Rullo: Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, dass Personen mit psychischen Problemen zu Opfer eines Massakers werden. Vor der Verfolgung der Juden wurde im Rahmen des Nationalsozialismus psychisch Kranke in einem eugenetischen Delirium ausgelöscht, das sich nicht von jenem unterschied, das die Unterdrückung von “mental anderen” Personen vorschlägt. Ein kürzlich erschienener Song einer italienischen Punkgruppe (i Punkreas, Anm.d.R.) beschreibt in einer etwas harten Weise die Psychiatrie als “die Wissenschaft, die jenen die Stimme nimmt, die sich nicht anpassen” … Während schlechte Psychiatrie den Unangepassten ihre Stimme nimmt, nimmt die Euthanasie ihnen das Leben. Viele “Anpassungsstörungen” können auch beträchtliche depressive Symptome aufweisen. Die Annahme der Vorstellung von Euthanasie für mentale Störungen wäre insofern noch schwerwiegender als der Gedanke einer Anwendung auf andere medizinische Erkrankungen, als sie für eine Kontrolle der Ausdrucksfreiheit von Gedanken und Gefühlen angewandt werden kann.

Die Depression ist ein Gemütszustand, der immer mehr zu einer verbreiteten Krankheit wird. Können Sie uns bei der Identifizierung der Gründe helfen und uns erklären, wie ihr entgegengewirkt werden kann?

Dott. Santo Rullo: Die zuletzt grössere Verbreitung depressiver Störungen ist mit dem Anstieg belastender Situationen des modernen Lebens in Beziehung zu setzen sowie mit den laufenden grossen sozialen Veränderungen, die mit einem hohen Einsatz mentaler Ressourcen einhergehen. Die klinischen Manifestationen reichen von Traurigkeit, Angst und Panik bis zur erhöhten Verwendung von Drogen, die oft den falschen Versuch einer Selbstbehandlung darstellen. In Wahrheit ist die Depression eine sehr gut zu behandelnde Krankheit, so erschreckend und so sehr sie auch das Stigma der Schwachheit in einer Stärke erfordernden Welt tragen mag. Uns stehen sehr wirksame psychologische und pharmakologische Behandlungen zur Verfügung. Dies gilt sowohl für die leichteren klinischen Formen als auch für die schweren und sehr schweren. Die geeigneten Kuren können fast alle depressiven Krankheitsbilder in relativ kurzer Zeit lösen. In 4-6 Wochen können Antidepressiva einen grossen Teil der erheblichsten Symptome abklingen lassen. Eine Frühdiagnose der weniger schweren Fällen erlaubt überdies eine Unterbrechung des krankhaften Prozesses durch psychologische Beratung oder eine Psychotherapie, die sich der möglichen Ursachen der emotiven Überbeanspruchung annehmen. Sehr wichtig sind auch die Massnahmen für eine Änderung des Lebensstils. Nach Möglichkeit ist Stress zu vermeiden und es gilt, psychisch und körperlich aktiv zu bleiben. Dies sind sicherlich Schutzfaktoren.

Sie sind der Wegbereiter und Förderer des Einsatzes von sportlicher Praxis als Mittel zur Förderung der sozialen Beziehungen und der geistigen Gesundheit. Was hat Sport und insbesondere Fussball mit mentalen Krankheiten zu tun?

Dott. Santo Rullo: Sport ist ein Teil jener Aktivitäten zur Änderung des Lebensstils, die besondere Schutzfaktoren vor der Entwicklung einer Depression darstellen. Sport ist sowohl eine körperliche als auch spielerische Aktivität, die Körper und Geist einbezieht und die Sozialisierung und Aufrechterhaltung funktionierender Beziehungen erlaubt. Fussball fügt in unserer Kultur ein traditionelles Element hinzu. Dieses vermittelt den an mentalen Störungen leidenden Menschen auch in den dunkelsten Augenblicken ein Gefühl der Zugehörigkeit.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Die drei Säulen der röm. kath. Kirche

monstranz maria papst-franziskus

Archiv

Empfehlung

Ausgewählte Artikel