Nähe und Barmherzigkeit

Die Kirche von Aparecida aus gesehen

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Aparecida: Div. Beiträge

Die Bischöfe berichten von der “kontinentalen Mission” der lateinamerikanischen Kirchen. Keine Projekte einer kulturellen Hegemonie, sondern eine “pastorale Bekehrung”, um den Glauben des Volkes zu erleichtern. Und allen entgegen zu kommen.

Inmitten von Säkularisierungsprozessen und einem Wiederaufflammen des Neoklerikalismus.

Von Gianni Valente

Samstag Morgen: Am Bahnhof Constitución, nicht gerade einem der “gehobenen” Viertel von Buenos Aires, herrscht das übliche hektische Treiben: Busse, Taxis, Menschenmassen, die kommen und gehen, mit Einkaufstüten beladene Frauen, Polizisten, Strassenverkäufer, die auf Karren ihre Ware feilbieten. Am Rande dieses Strudels emsigen menschlichen Treibens haben die Jugendlichen der Pfarreien Santa Elisa und Virgen de Caacupé ihr gelbes Zelt aufgestellt, gleich neben dem Denkmal, das “dem Vater der argentinischen Verfassung” zu Ehren errichtet wurde: Juan Bautista Alberdi.

Sie nennen es Carpa misionera – Missionszelt – der katholischen Kirche. Sie haben auch eine Statue der Virgen de Luján hierhergebracht, der Muttergottes, die in diesem Nationalheiligtum verehrt wird. Daneben stehen ein paar Tische mit Statuen des Jesuskindes und des hl. Expedit: der Heilige, der in “dringenden Fällen” angerufen wird.

Schon bald beginnen sie, auf dem Bahnhofsgelände Jesusbilder mit einem Gebet zu verteilen. Viele der Passanten kommen neugierig näher, bitten um einen Segen, legen kleine Zettel mit einer Botschaft in die Dosen auf den Tischen, in denen sie für sich und für die anderen um Arbeit und Gesundheit bitten, Gebete und Messen für ihre Verstorbenen, um Freude und die Erleichterung ihrer Mühsal. Vor Pater Flavio stehen die Leute zum Beichten Schlange. “Bautismos aquí: Taufen hier”, kann man auf dem Plakat an einem Baum lesen. An dem Tisch darunter schreiben zwei Jungen die Namen der neuen Taufbewerber auf. Auch die jener, die zufällig hier vorbeikommen, einfach nur neugierig sind. Seit gestern Abend, als hier vor der Carpa católica die misión begonnen hat, wurden 13 Taufen vorgenommen – Jugendliche und Erwachsene, die von Laienkatecheten vorbereitet worden waren, die sie auch bei der Katechese nach der Taufe betreuen werden. Dann, als keiner damit rechnet, kommt vollkommen unangemeldet auch Pater Bergoglio vorbei. Der Erzbischof der Metropole begrüsst alle Jungen und Mädchen persönlich und umarmt Don Facundo, der seine imposante Stimme im Megaphon ertönen lässt: “Adelante, kommt alle zur Carpa misionera, in ein paar Minuten beginnt die Messe!” Auch ein Betrunkener bleibt neugierig stehen. Um 11 Uhr morgens ist er schon nicht mehr nüchtern. Er schwankt auf Bergoglio zu, blickt ihn fast ungläubig an: “Dich habe ich doch schon irgendwo gesehen…”, murmelt er. Und dann: “Bist du vielleicht Katholik? Dann feier du doch die Messe!”. Und darum bittet ihn auch Don Facundo, der ihm die Paramente für die Messfeier bringt. Vor einer kleinen Gruppe von Jugendlichen, alten Leuten, Müttern mit ihren Kindern und Passanten, die zufällig vorbeigekommen und dageblieben sind, hält der Kardinal und Jesuit eine kurze, aber eindringliche Predigt: “Bitten wir Jesus um alles, was wir brauchen. Bitten wir den Vater in Seinem Namen, bitten wir Ihn, den Vater darum zu bitten. Wie die Armen, die Ihn um alles zu bitten pflegten, wenn er auf der Strasse vorbeikam und sie um ihn herumstanden. Jesus will mit uns zusammen sein, mit allen, mit allen, die auf der Strasse vorbeikommen. Wenn es auf der ganzen Erde nur einen Mann und nur eine Frau gegeben hätte, dann hätte er sein Leben auch hingeben, für diesen einen Mann und diese eine Frau.”

Deshalb denkt Bergoglio – und mit ihm Facundo, Don Flavio und alle Priester aus Buenos Aires, die ab und zu in den Bahnhöfen, auf den Plätzen, ja sogar unter dem Obelisk der Plaza de la República, an der weitläufigen Avenida 9 de Julio die Beichte abnehmen und taufen –, dass es das Einfachste wäre, keine Unterschiede zu machen, diesem Wunsch Jesu keine Steine in den Weg zu legen. Dass man jedes noch so kleine Zeichen der Erwartung, das in den zufälligen, oft so flüchtigen Situationen unserer Zeit aufscheint, ohne gross zu fragen annehmen muss – dem Apostel Philippus nacheifernd, der dem Kämmerer auf dem gemeinsam zurückgelegten Weg die Frohbotschaft verkündet hat. “Hier ist Wasser; was steht meiner Taufe noch im Weg?”, hatte ihn der Kämmerer dann gefragt, als sie an einer Wasserstelle vorbeikamen. “Philippus und der Kämmerer stiegen in das Wasser hinab und er taufte ihn. Als sie aber aus dem Wasser stiegen, entführte der Geist des Herrn den Philippus. Der Kämmerer sah ihn nicht mehr, und er zog voll Freude weiter” (Apg 8, 36-39).

Das Gefühl der Prekarität nimmt zu, aber auch die Möglichkeit der Begegnung

“Im Evangelium finden die schönsten Begegnungen Gottes mit den Menschen auf der Strasse statt”, erläutert Kardinal Aloísio Lorscheider, “das ist es, was uns die Jahrhunderte gelebter Geschichte des Christentums sagen.”

Heute scheint ganz Lateinamerika wie ein riesiger Bahnhof zu sein, auf dem alles in Bewegung ist, nichts statisch bleibt; wo sich die wirtschaftlichen und soziokulturellen Prozesse rapide verändern und nicht selten auch das Leben des Einzelnen und der breiten Masse radikal umkrempeln. Die Messen und Taufen im Bahnhof Constitución dagegen sind eines der vielen möglichen konkreten Bilder jener kontinentalen Mission, die sich die lateinamerikanische Kirche angesichts dieses sich so rasch verändernden Kontexts bei der letzten CELAM-Generalversammlung 2007 in Aparecida zur Aufgabe gemacht hat.

Vier Jahre später haben die Bischöfe und die Teilnehmer der XXXIII. Versammlung des lateinamerikanischen Bischofsrats in Montevideo (15.- 20. Mai) den bisher zurückgelegten Weg analysiert, die Intuitionen und den Blick auf den Kontinent neu hinterfragt, der bei der Konferenz von Aparecida zum Ausdruck kam.

Aus den Worten und Beurteilungen, die 30Giorni bei dieser Begegnung gesammelt hat, geht hervor, dass sich die Repräsentanten des Episkopats über eines einig sind: die Situation mutet an wie ein Weg, der sich vor ihnen auftut und der nur noch eingeschlagen werden muss. Ein Weg, auf dem – wie es immer geschieht – Intuitionen voller evangeliumsgemässer Hoffnung erblühen, die dann den Alltag der engagierten Seel­sorger bereichern, die im konkreten Leben des Gottesvolkes wirken.

Ein Missverständnis, das die klerikale und antiklerikale Propaganda oft und gerne genährt hat, kann leicht ausgeräumt werden: den Bischöfen, denen die Seelsorge wirklich am Herzen liegt, wird immer klarer, dass die kontinentale Mission weder eine Strategie noch ein Programm ist. Und auch kein Appell für einen neuen Militantismus zur Rückeroberung verlorener Posten. “Die in Aparecida abgesteckte kontinentale Mission”, erklärt Ricardo Ezzati Andrello, Erzbischof von Santiago de Chile, mit einfachen, aber resoluten Worten, “darf nicht als ein Projekt verstanden werden, das Teile jener soziologischen Macht zurückerobern will, die der Kirche in Lateinamerika immer mehr entgleitet.” Und das auch schon deshalb, weil– wie Rubén Salazar Gómez, Erzbischof von Bogotá – betont, “die Kirche als solche niemanden interessiert, keine Bedeutung hat. Sie ist nur ein Werkzeug. Das Zweite Vatikanische Konzil betont, dass die Kirche Sakrament ist, und ein Sakrament an sich hat nur als Zeichen und Werkzeug einen Sinn. Das ist die Kirche. Sie existiert nur, um den Menschen zu dienen, indem sie ihnen das Antlitz Christi zeigt.”

So scheint auch in Lateinamerika inzwischen die Zeit vorbei zu sein für die schönen Reden derer, die in den 80er und 90er Jahren auf die Zauberformel von der “Evangelisierung der Kultur” setzten und mit Hilfe der militanten Eliten für die Kirche eine Bastion zurückgewinnen wollten, die auf der öffentlichen Bühne kulturellen Einfluss hat.

Der Brasilianer Geraldo Lyrio Rocha, Erzbischof von Mariana, betont, dass die kontinentale Mission “keine Mobilisierung, keine Liste neuer Dinge ist, die es zu tun oder zu organisieren gilt. Es ist vielmehr ein gewisser Geist, von dem jeder Ausdruck des Lebens der Kirche geprägt sein muss. In Momenten des Übergangs und der grossen Veränderungen, wie denen, die wir gerade erleben, nimmt zwar das beunruhigende Gefühl zu, dass alles prekär ist, aber auch die Möglichkeiten der Begegnung. Beispielsweise mit jenen 80 % Brasilianern, die ihr Leben im katholischen Brasilien fernab von der gewöhnlichen Glaubenspraxis leben.”

Im Schlussdokument von Aparecida wird festgestellt, dass auch in Lateinamerika Säkularisierungsprozesse im Gang sind. Der Glaube, der fünf Jahrhunderte lang die Kirche, ja das Leben des Kontinents beseelt hat, wird nicht mehr mit derselben Selbstverständlichkeit wie früher von Generation zu Generation weitergegeben. So fordert der Text die lateinamerikanischen Kirchen auf, alle “morsch gewordenen Strukturen, die der Weitergabe des Glaubens nicht mehr dienen, aufzugeben” (Nr. 365), sich nicht in rhetorischen Diskursen über den “Kontinent der Hoffnung” zu ergehen und nichts für selbstverständlich oder schon erreicht zu nehmen (vgl. Nr. 349).

Das Dokument entzieht auch jenen den Boden, die grundsätzlich immer ein Haar in der Suppe finden, und bringt – mit einem Zitat aus Evangelii nuntiandi von Paul VI. – die Hoffnung zum Ausdruck, “die Welt von heute” möge “die Frohbotschaft nicht aus dem Munde trauriger und mutlos gemachter Verkündiger hören, die keine Geduld haben und ängstlich sind, sondern von Dienern des Evangeliums, die als erste die Freude Christi in sich aufgenommen haben” (Nr. 552). Trotz der vielen Reflexionen, Anregungen und Hinweise wurde die kontinentale Mission nicht als etwas abgesteckt, das die Seelsorger selbst bewerkstelligen, als Verdienst derer, die den Anspruch stellen, die Kirche aus eigener Kraft bauen zu können, vielleicht von Null anfangend. Denn das Wichtigste in der Kirche ist nach wie vor das heilige Wirken des Herrn. Und jeder neue Schritt kann nur dann getan werden, “wenn wir positiv zu werten wissen, was der Heilige Geist bereits gesät hat” (Nr. 262). Von diesem Glauben ausgehend, der sich jedem Versäumnis, jeder Schwäche und möglichen Masslosigkeit zum Trotz, weiter in den einfachsten Gesten der Volksfrömmigkeit des Volkes zeigt, mit der Wehrlosigkeit eines Kindes, das man vor dem Ertrinken gerettet hat. Es ist überraschend, feststellen zu können, wie innig die Liebe zu Jesus und seiner Mutter ist, die der Grossteil der Lateinamerikaner noch immer im Herzen trägt.

Von einer Kirche, die den Glauben regelt, zu einer, die ihn erleichtert

Unter Nummer 264 beschreibt das Dokument die Volksfrömmigkeit als ein machtvolles “Bekenntnis zum lebendigen, in der Geschichte wirkenden Gott”. Ein Faktum der Realität, dem gegenüber die Kirchenmänner die Aufgabe haben, nicht das zu verkomplizieren, was einfach ist. “Es geht darum, vom Gedanken einer Kirche, die den Glauben regelt, zum Gedanken einer Kirche überzugehen, die den Glauben erleichtert”, sagt Eduardo Horacio García, Weihbischof von Buenos Aires und Pastoral-Verantwortlicher des Erzbistums.

Vielleicht ist schon das die pastorale Bekehrung, die im Schlussdokument von Aparecida als Frucht der Dankbarkeit und als eigentliche Aufgabe der lateinamerikanischen Kirchen in unserer Zeit beschrieben wird. Es ist kein Zufall, dass viele Bischöfe in ihren Reflexionen so oft das Wort cercanía, Nähe, gebrauchen. Schliesslich ist es das Erkennungszeichen einer Kirche, die sich allen als “die Mutter” anbietet, “die dem Menschen entgegengeht, als ein gastfreundliches Haus” (Nr. 370). Auf diese Weise knüpfen die Bischöfe unserer kirchlichen Epoche das Band der Kontinuität auch an die Generationen ihrer Vorgänger. Insbesondere an die Priester-Generation, die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil aus dem CELAM ein wirksames Werkzeug für das tägliche Zeugnis einer Realität gemacht haben, in der die Ortskirchen am Schicksal und am Leben der Völker des Kontinents regen Anteil haben.

“Davon einmal abgesehen”, meint der Venezolaner Baltazar Enrique Porras Cardozo, Erzbischof von Mérida, “bleibt die Nähe zu den Wünschen und zum Leid der Menschen auch in dieser Phase der grossen Veränderungen ein Erkennungszeichen der lateinamerikanischen Kirchen, und das sehen die Menschen. Auch angesichts der Zunahme der Gewalt und der Phänomene sozialen Zerfalls, die zunehmend zu Lasten der schwächsten Glieder der Gesellschaft gehen, wissen alle, dass die Kirche ihren Wunsch nach Frieden, nach einem Leben in Sicherheit und konkreter Hilfe in Schwierigkeit und Leid teilt.”

Das bestätigt auch der Kapuzinerpater Andrés Stanovnik, Erzbischof von Corrientes: “Allgemein betrachtet muss man sagen, dass die menschliche Realität, die unseren Ländern durch den Alltag hilft, nach wie vor die Kirche ist. Unsere Kirchen sind mehr als nur Bischofs-Begegnungen wie die in Aparecida. Die Bischöfe leben jeden Tag mit ihrem Volk, und auch die Priester leben nicht von der Umwelt abgeschottet in ihren Pfarreien. Sie mischen sich tagtäglich unters Volk, sind auf der Strasse tätig, in den Armenmensen, den Schulen auf dem Land, den unzähligen Wohltätigkeitswerken. Und dort sehen sie, wie schwer es viele ihrer Mitmenschen haben. Den Glauben und die Freude über die lebendige Gegenwart Christi kann man nur im konkreten Alltag teilen. Andernfalls verschliesst uns jeder gemeinsam zurückgelegte Weg früher oder später den Horizont und wird zu einer Isolation unter dem Vorwand der Religion.”

Das Wiederaufleben einer alten Form des Klerikalismus: die Gestalt des “Priesterfürsten“

Einige Bischöfe sind der Meinung, dass der heimtückischste Versuch, die bei der Aparecida-Konferenz vorgeschlagene “Politik der Nähe” zu boykottieren, weder vom Relativismus noch von der Säkularisierung, und auch nicht von den Vorurteilen kirchenfeindlicher Gruppen kommt. “Der grösste Widerstand”, meint der Franziskaner Héctor Miguel Cabrejos Vidarte, peruanischer Erzbischof von Trujillo, “kommt vom Wiederaufleben einer gewissen Form von Klerikalismus. Auch deshalb betrifft die in Aparecida gewollte pastorale Bekehrung vor allem die Priester und die Bischöfe. Aber auch einige manchmal wie Sippschaften anmutende organisierte Gruppen und Bewegungen, die nur daran interessiert zu sein scheinen, in der Kirche nach Macht und Ansehen zu streben”. In einigen Situationen scheint die Gestalt des “Priesterfürsten” wiederaufzuleben, Repräsentant einer privilegierten Kaste, Amtsträger einer religiösen Macht, der auch die Sakramente wie etwas ihm Gehörendes behandelt, um den Laiengläubigen seine Überlegenheit zu zeigen. Und das tut er vielleicht gerade dadurch, dass er dem Volk seine Zerbrechlichkeit und seine Verletzungen vorwirft und die Erwartungshaltung und Aufgeschlossenheit jener kasteit, die angeblich weder die nötigen lehrmässigen Grundlagen noch die moralische Befindlichkeit vorweisen können, die vom aufstrebenden klerikalen Neorigorismus gefordert werden – einem jener Stile und Strukturen, die das CELAM-Dokument als “vergänglich” definiert, und die die Vermittlung des Glaubens nicht erleichtern, sondern behindern. “Zu glauben, die Kirche könne als ein Art “Eigenprojekt” gebaut oder “gemacht” werden“, gibt Erzbischof Stanovnik zu bedenken, “kann nur in Selbstbeweihräucherung enden”. Erzbischof Porras gibt zu bedenken: “Die Geschichte des la­teinamerikanischen Katholizismus ist voller solcher Anmassungen. Man muss nur die Dokumente lesen, die der Vatikan zur 500-Jahr-Feier der Entdeckung Amerikas herausgegeben hat. Damals kam es vor, dass man aus disziplinärem Übereifer forderte, dass Priester oder Ordensleute den Beweis dafür erbrachten, dass sie als eheliche Kinder geboren worden waren, aus regulären Familien stammten und über eine Mitgift verfügten. Schon damals – zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert – erteilte Rom Hunderte von Dispensen, um diese steife Regelung zu umgehen.”

Die Kirche als Gegenmacht?

Seit der Zeit, als der CELAM von Freigeistern wie dem chilenischen Bischof Manuel Larraín und Dom Hélder Câmara geleitet und inspiriert wurde, war er stets ein Spiegel dafür, wie die lateinamerikanischen Episkopate zu den sozialen und politischen Umwälzungen in den lateinamerikanischen Ländern standen. Nicht umsonst nannte Dom Hélder diese Verflechtung von Völkern und Nationen “den christlichen Kontinent der Dritten Welt” und rief seine Mitbrüder dazu auf, das Leid zu bekämpfen, “das das Bild Gottes zerstört, das in jedem Menschen zu finden ist”.

Heute kristallisiert sich in diesen Ländern immer stärker eine neue Riege von buntgewürfelten Linksregierungen heraus, deren Führer aus den unterschiedlichsten Lagern kommen, die unterschiedlichsten Tendenzen aufweisen – von ehemaligen Guerillakämpfern und Militärs bis hin zu Nationalpopulisten und pragmatischen Reformisten. Sie alle stehen jedoch vor ein und derselben Aufgabe: sie müssen nicht nur eine zusehends dynamische Wirtschaftsentwicklung in den Griff bekommen, sondern auch komplexe politische Integrationsprozesse, wachsende Ungleichgewichte und ausgleichende Sozialprogramme, die die Lebensbedingungen von Millionen von Menschen besser machen sollen. Dabei teilen die Medien den Kirchenmännern gern die Rolle verbissener Sittenrichter zu und stempeln sie als Emissäre einer Korporation ab, die nichts anderes tut, als sich mit Politikern und Regierungsvertretern über ethisch heikle Themen in die Haare zu geraten: Verteidigung des Lebens, der Familie, Erziehungs- und Bildungsfreiheit.

In Wahrheit schien jedoch keiner der Bischöfe, die zur letzten Versammlung des CELAM in Montevideo zusammengekommen sind, die Absicht zu haben, das von den Medien hochgeschaukelte Bild einer Kirche als “Angriffsblock“ gegen die weltlichen Mächte zu bestätigen oder gar wiederaufleben zu lassen: Für sie sind die Merkmale der Kirche der apostolische Eifer und die Sanftmut. “Das Bild von einer Kirche, die eine Gegenkraft sein möchte”, erklärt der venezolanische Erzbischof Porras, “ist ein Bild, das für die populistischen Regime bequem ist. Diese erliegen oft der Versuchung, ihre eigene Macht zu “vergöttern” und die Kirche als eine nach Prestige hechelnde Korporation darzustellen, gerade wegen ihrer Nähe zum Volk und ihrer von Messianismen ungetrübten Einschätzung der sozialen Probleme“. Der chilenische Erzbischof Ricardo Ezzati ist der Meinung, dass “im Politjargon oft versucht wird, die Kirchenstruktur als etwas Rückständiges hinzustellen. Etwas, das die Gesellschaft und die Gewissen behindert, und angeblich darauf hinarbeitet, ein verlorenes soziales und kulturelles Monopol zurückzugewinnen. Meiner Meinung nach darf man dieses Stereotyp nicht bestätigen, sondern muss stattdessen klarstellen, dass die Kirche keine Macht sucht, keine Hegemonie will. Sie will allen unseren Landsleuten einzig und allein die gute Botschaft der Befreiung bringen”.

Auch Kardinal Julio Terrazas Sandoval, Erzbischof von Santa Cruz de la Sierra, bezeichnet den Versuch, die Kirche als eine Art “Gegenmacht“ darstellen zu wollen, als Karikatur: “In Bolivien hat die Kirche in den letzten Jahren stillschweigend darauf gewartet, dass die vom Volk so sehr ersehnten Veränderungen endlich stattfinden. Wir haben unsere Stimme erst dann hören lassen, als dazu aufgerufen wurde, den “Gott der Christen” zu eliminieren und eine Spaltung in zwei Kirchen herbeizuführen, die der Reichen und die der Armen”. Der Kolumbianer Rubén Salazar Gómez meint ab­schliessend: “Wir haben es hier mit einer von den Medien bewerkstelligten Deformation zu tun, die sich nur dann für Stellungnahmen von Kirchenmännern interessiert, wenn es um die Sexualmoral geht. Die Kirche muss ihr Möglichstes tun, um sich dem Mechanismus zu entziehen, der sie als eine Art Gegengewicht zur politischen Macht hinstellen will. Kurzum: Sie muss allen in Demut zeigen, dass sie nichts für sich selbst will.”

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