Benedikt XVI. über Newman: “Inspiriert und erleuchtet heute noch viele”
Am 1. November 2025 wird Kardinal John Henry Newman in Rom zum Kirchenlehrer erhoben. Papst Benedikt XVI. hatte ihn 2010 bei seiner Englandreise in Birmingham selig gesprochen. In seiner Predigt würdigte der gelehrte deutsche Papst das intellektuelle Vermächtnis des nunmehrigen Kirchenlehrers. Ein Auszug
Quelle
Apostolische Reise nach Großbritannien: Abendgebet zur Seligsprechung von Kardinal John Henry Newman im Hyde Park (London, 18. September 2010)
Apostolische Reise nach Großbritannien, 16. – 19. September 2010
Seligsprechung
Das Motto von Kardinal Newman “cor ad cor loquitur – das Herz spricht zum Herzen” gibt uns einen Einblick in sein Verständnis des christlichen Lebens als Berufung zur Heiligkeit, die als der sehnliche Wunsch des menschlichen Herzens erfahren wird, in innige Gemeinschaft mit dem Herzen Gottes zu gelangen. Der Kardinal erinnert uns daran, daß die Treue zum Gebet uns allmählich verwandelt und Gott ähnlich werden läßt. In einer seiner vielen schönen Predigten schrieb er: “So hat die Gewohnheit des Betens, die Übung, sich Gott und der unsichtbaren Welt zu jeder Zeit, an jedem Ort und bei jedem Anlaß zuzuwenden, … sozusagen eine natürliche Wirkung, indem es die Seele vergeistigt und emporhebt. Der Mensch ist dann nicht mehr, was er zuvor war; allmählich … hat er eine neue Ideenwelt eingesogen und ist von neuen Grundsätzen durchdrungen” (Parochial and Plain Sermons, IV, 230-231).
Das heutige Evangelium sagt uns, daß niemand zwei Herren dienen kann (vgl. Lk 16,13), und die Lehre des seligen John Henry über das Gebet erklärt, wie der treue Christ endgültig in den Dienst des einen wahren Meisters genommen wird, der allein Anspruch auf unsere bedingungslose Hingabe hat (vgl. Mt 23,10). Newman hilft uns zu verstehen, was das für unser tägliches Leben bedeutet: Er sagt uns, daß unser göttlicher Lehrer jedem von uns eine spezielle Aufgabe zugewiesen hat, einen “bestimmten Dienst”, der jedem einzelnen Menschen ganz persönlich anvertraut ist: “Ich habe meine Sendung”, schrieb er, “ich bin ein Glied in einer Kette, ein verbindendes Element zwischen Personen. Gott hat mich nicht umsonst erschaffen. Ich soll Gutes tun und sein Werk vollbringen. Ich soll auf meinem Posten ein Engel des Friedens, ein Prediger der Wahrheit sein … wenn ich nur seine Gebote halte und ihm in meiner Berufung diene” (Meditations and Devotions, 301-302).
Der bestimmte Dienst, zu dem der selige John Henry berufen war, beanspruchte seinen scharfen Verstand und seine produktive Feder und lenkte sie auf viele der dringenden “Tagesthemen”. Seine Einsichten in die Beziehung von Glaube und Vernunft, in den wichtigen Stellenwert der Offenbarungsreligion in der Zivilgesellschaft und in die Notwendigkeit einer breit fundierten und weit gefächerten Ausrichtung der Erziehung waren nicht nur bedeutend für das viktorianische England, sondern inspirieren und erleuchten heute noch viele Menschen in aller Welt. Ich möchte besonders seine Sicht der Erziehung würdigen, die so sehr dazu beigetragen hat, den Ethos zu prägen, der heute als treibende Kraft hinter den katholischen Schulen und Colleges steht.
“Ich wünsche mir Laien, nicht arrogant, nicht vorlaut, nicht streitsüchtig, sondern Menschen, die ihr Glaubensbekenntnis so gut kennen, daß sie darüber Rechenschaft ablegen können”
Als ein entschiedener Gegner jedes reduktiven und utilitaristischen Ansatzes suchte er ein pädagogisches Umfeld zu schaffen, in dem intellektuelle Übung, moralische Disziplin und religiöses Engagement miteinander verbunden sein sollten. Der Plan, in Irland eine katholische Universität zu gründen, gab ihm die Gelegenheit, seine Ideen zu dem Thema zu entwickeln, und die Sammlung der Reden, die er unter dem Titel ‘The Idea of a University’ veröffentlichte, stellt ein Ideal auf, von dem alle in der akademischen Bildung Beschäftigten weiterhin lernen können. Und in der Tat: Welches Ziel könnten Religionslehrer sich setzen, das besser wäre als der berühmte Appell des seligen John Henry für einen intelligenten, gut unterrichteten Laien: “Ich wünsche mir Laien, nicht arrogant, nicht vorlaut, nicht streitsüchtig, sondern Menschen, die ihre Religion kennen, die sich auf sie einlassen, die ihren eigenen Standpunkt kennen, die wissen, woran sie festhalten und was sie unterlassen, die ihr Glaubensbekenntnis so gut kennen, daß sie darüber Rechenschaft ablegen können, die über so viel geschichtliches Wissen verfügen, daß sie ihre Religion zu verteidigen wissen” (The Present Position of Catholics in England, IX, 390). An diesem Tag, da der Autor jener Worte zur Ehre der Altäre erhoben worden ist, bete ich darum, daß auf seine Fürsprache hin und durch sein Vorbild alle, die in Unterricht und Katechese beschäftigt sind, von der Sicht, die er uns so klar vor Augen hält, zu größerem Einsatz angespornt werden.
Während es verständlicherweise das intellektuelle Vermächtnis von John Henry Newman ist, das in der umfangreichen, seinem Leben und seinem Werk gewidmeten Literatur die meiste Aufmerksamkeit erhalten hat, ziehe ich es bei dieser Gelegenheit vor, mit ein paar kurzen Gedanken über sein Leben als Priester und Seelsorger zu schließen. Die Wärme und Menschlichkeit, die seinem Verständnis des pastoralen Dienstes zugrunde liegt, ist wundervoll ausgedrückt in einer anderen seiner berühmten Predigten: “Wären Engel eure Priester gewesen, meine Brüder, dann hätten sie nicht trauern können mit euch, keine Sympathie für euch und kein Mitleid mit euch empfinden, nicht herzlich mitfühlen und Nachsicht haben mit euch, wie wir es können. Sie hätten nicht eure Vorbilder und Führer sein können, noch euch aus dem alten Sein ins neue Leben geleiten können, wie die es vermögen, die aus eurer Mitte kommen” (“Men, not Angels: the Priests of the Gospel”, Discourses to Mixed Congregations, 3). Er lebte diese zutiefst menschliche Sicht des priesterlichen Dienstes in seiner treuen Fürsorge für die Menschen von Birmingham während der Jahre, die er in dem von ihm gegründeten Oratorium verbrachte, indem er die Kranken und die Armen besuchte, die Hinterbliebenen tröstete und sich um die Gefangenen kümmerte.
Kein Wunder, daß nach seinem Tode so viele Tausend Menschen die örtlichen Straßen säumten, als sein Leichnam zu seiner Begräbnisstätte gebracht wurde, die weniger als eine halbe Meile von hier entfernt ist. Einhundertundzwanzig Jahre danach haben sich wieder große Menschenmengen versammelt, um in Freude die feierliche kirchliche Anerkennung der außergewöhnlichen Heiligkeit dieses vielgeliebten Seelenvaters zu begehen. Wie könnten wir die Freude dieses Augenblicks besser ausdrücken als indem wir uns in herzlichem Dank an unseren himmlischen Vater wenden und mit den Worten beten, die der selige John Henry den Chören der Engel im Himmel in den Mund legte:
Preis sei dem Heil’gen in der Höh’
Und Tiefe ewiglich,
In Wort und Handeln wunderbar,
Und unerschütterlich!
(The Dream of Gerontius).
Der gesamte Wortlaut der Predigt von Papst Benedikt kann hier nachgelesen werden. Die Heiligsprechung von Kardinal John Henry Newman nahm Papst Franziskus am 13. Oktober 2019 in Rom vor.
vatican news, 31. Oktober 2025
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