Die Theologie des Leibes hat Zukunft!

Interview – Der Erzbischof von Utrecht, Kardinal Willem Jacobus Eijk, würdigt die Enzyklika “Humanae vitae” als “ein prophetisches Dokument”

Quelle
Wider den Abgesang auf die Theologie des Leibes | Die Tagespost
Kardinal Eijk: “Die Theologie des Leibes hat großes Zukunftspotenzial”
Kardinal Willem Jacobus Eijk
Wim Eijk – Wikipedia
Theologie des Leibes
Humanae vitae
Humanae vitae (3209)
Donum Vitae – Instruktion über die Achtung vor dem beginnenden menschlichen Leben und die Würde der Fortpflanzung
Dignitas Personae – Instruktion über einige Fragen der Bioethik

05.10.2025

Regina Einig

Eminenz, wie würden Sie einem kirchenfernen Zeitgenossen erklären, warum es sich lohnt, sich mit der Theologie des Leibes zu befassen?

Viele Menschen, darunter leider auch Katholiken, glauben, dass die Normen, die die Kirche im Bereich der Ehe- und Sexualmoral vertritt, “Spielregeln” sind, wie oft herablassend gesagt wird. Es handelt sich hier jedoch nicht um Regeln, die die Kirche festlegt. Die Kirche verkündet unter anderem die Absichten, die Gott mit der Erschaffung des Menschen und der Ehe hatte. Daraus ergeben sich grundlegende Normen für die Gestaltung der Ehe und der Sexualität.

Die Theologie des Leibes kommt zu dem Schluss, dass die Ehe gegenseitige Ganzhingabe und Treue ist. Sie stützt sich dabei auf die Analogie innerhalb der Beziehungen zwischen den drei göttlichen Personen in der Dreifaltigkeit, die sich einander vollständig hingeben und voneinander empfangen, und der Beziehung zwischen den Eheleuten. Diese Beziehung spiegelt auch die Beziehung zwischen Gott und dem jüdischen Volk im Alten Testament und die zwischen Christus und seiner Kirche im Neuen Testament wider. Die Ganzhingabe umfasst die geistige, die affektive und die körperliche Ebene des Menschen.

Was ergibt sich aus diesem biblischen Bild?

Die Definition der Ehe als gegenseitige Ganzhingabe verdeutlicht die grundlegenden Normen für die Ausübung der Ehe und der Sexualität. Wenn durch Verhütung die gegenseitige Hingabe der Elternschaft blockiert wird, wird die vollständige gegenseitige Ganzhingabe von Mann und Frau auf körperlicher Ebene unterbunden. Dadurch wird das Wesen der Ehe verletzt. Natürlich ist zu hoffen, dass sich die Menschen von dieser Beschreibung der Ehe überzeugen lassen. Auf jeden Fall kann die Kenntnis der Theologie des Leibes dazu beitragen, dass auch der Kirche Fernstehende verstehen, dass es Argumente für die kirchlichen Normen im Bereich der Ehe und Sexualität gibt.

Wie kann man die Theologie des Leibes, die meist außerhalb der ordentlichen Seelsorge gelehrt wird, in den Pfarreien vermitteln?

Ich habe die Theologie des Leibes mehrfach vor Gruppen junger Erwachsener und auch älterer Menschen dargelegt. Ältere Katholiken reagieren darauf manchmal sehr kritisch. Es gibt jedoch auch ältere Katholiken, die sagen: “Hätte ich das doch früher in meinem Leben gewusst.” Junge Katholiken sind dafür offen. In unseren Pfarreien melden sich in den letzten Jahren jedes Jahr mehr junge Menschen, die um Aufnahme in die Kirche durch die Taufe oder um die Firmung bitten. Auch immer mehr junge Menschen, die als Kinder getauft wurden, aber später keine religiöse Erziehung erhalten haben, entdecken ihre katholische Identität und beschließen, entsprechend zu leben. Junge Menschen entdecken Christus und seine Kirche auf TikTok und anderen sozialen Medien. Wenn sie um Aufnahme in die Kirche bitten, wissen sie bereits viel über den katholischen Glauben. Im Allgemeinen neigen junge Katholiken, wenn sie noch kirchlich aktiv sind, dazu, die gesamte kirchliche Lehre anzunehmen, auch im Bereich der Moral.

Inwiefern ist die Theologie des Leibes ökumenetauglich?

Die Theologie des Leibes basiert auf einem biblischen Menschenbild. In dieser Hinsicht eignet sich die Theologie des Leibes auch sehr gut für den ökumenischen Kontext. In reformierten Kreisen war es traditionell weniger üblich, das Konzept der Analogie anzuwenden. Das hat sich jedoch geändert. Es gibt viele Protestanten, die den Begriff der Analogie inzwischen anerkennen und schätzen.

Welche seelsorglichen Erfahrungen machen Sie in Ihrer Diözese in der Ehe- und Familienseelsorge mit der Lehre der Kirche?

Seit einigen Jahren hat das Erzbistum Utrecht eine Dienstleisterin für Ehe und Familie. Sie organisiert auf regionaler Ebene im Erzbistum Ehekurse, die auf der Theologie des Leibes basieren. Eine wachsende Zahl von Menschen, die heiraten möchten, sowie einige Jungverheiratete nehmen an diesen Kursen teil. Nach Abschluss des Kurses kommt im Allgemeinen die Reaktion der Teilnehmer, dass sie den Inhalt sehr gut finden und es bedauern, dass sie zuvor noch nie davon gehört hatten.

Hat Papst Paul VI. der Kirche mit der Enzyklika “Humanae vitae” einen langfristigen Dienst erwiesen?

Die Enzyklika von Papst Paul VI. ist ein prophetisches Dokument, das auch in unserer Zeit noch von unschätzbarem Wert ist und es auch in Zukunft sein wird. Zunächst einmal sah Paul VI. voraus, dass die breite Zugänglichkeit und Verfügbarkeit insbesondere der hormonellen Antibabypille – angesichts der Schwäche, die den Menschen nun einmal eigen ist – vor allem junge Menschen zu vorehelichem Geschlechtsverkehr und Verheiratete zu Untreue und Ehebruch verleiten könnte. Der Papst äußerte auch die Befürchtung, dass Männer durch den häufigen Gebrauch der Antibabypille den Respekt vor ihren Ehefrauen verlieren und häufigen Geschlechtsverkehr verlangen könnten, da eine Schwangerschaft leicht verhindert werden kann (Humanae vitae, Nr. 17).

Als “Humanae vitae” veröffentlicht wurde, war der “Summer of Love” (1967) in San Francisco bereits vorbei, einer der Höhepunkte der Hippie-Kultur, zu der unter anderem die Förderung der freien Liebe gehörte, wie es 1969 auch beim Woodstock-Festival der Fall sein sollte. Die sexuelle Revolution, durch die die Ehe-Moral untergraben wurde, beweist, dass die Befürchtungen von Paul VI. keineswegs unbegründet waren.

Gibt es weitere Aspekte?

Zweitens ebnete “Humanae vitae” den Weg für die Dokumente “Donum vitae” (1987) und “Dignitas personae” (2010), zwei Instruktionen der Kongregation für die Glaubenslehre, die sich unter anderem mit den ethischen Aspekten der künstlichen Fortpflanzung befassen. Hier geschieht etwas, das spiegelverkehrt zur Empfängnisverhütung ist. Verhütung bedeutet “Geschlechtsverkehr ohne Fortpflanzung”, künstliche Befruchtung “Fortpflanzung ohne Geschlechtsverkehr”. In beiden Fällen werden die beiden Bedeutungen des ehelichen Aktes, die Einheit der Eheleute und die Fortpflanzung, voneinander getrennt. Hätte Papst Paul VI. dem starken Druck nachgegeben, der auf ihn ausgeübt wurde, um die Lehre der Kirche zur Empfängnisverhütung zu ändern, hätte sich auch ihre Lehre zur künstlichen Befruchtung verschoben.

Drittens sehen wir heute die demografischen Folgen der Einführung der hormonellen Antibabypille. Diese hat seit etwa sechzig Jahren zu einer niedrigen Geburtenrate geführt, was wiederum eine Überalterung der Bevölkerung zur Folge hat, die zahlreiche neue Probleme mit sich bringt. Das Gesundheitswesen droht unbezahlbar zu werden, weil so viele ältere Menschen es in Anspruch nehmen. Eine wachsende Gruppe in der Gesellschaft mag zwar Probleme mit Migranten haben, aber ohne Migranten kann der Sozialstaat (der übrigens bereits teilweise an Kraft verloren hat) nicht aufrechterhalten werden und die durch den Ruhestand der Babyboomer frei gewordenen Arbeitsplätze können nicht besetzt werden.

In Deutschland und Österreich haben die Bischöfe 1968 unter Berufung auf Karl Rahner das persönliche Gewissen in den Vordergrund gestellt und “Humanae vitae” mit der Königsteiner beziehungsweise der Mariatroster Erklärung eine “Verantwortungsethik” (Kardinal Kasper) gegenübergestellt. Wie gerechtfertigt ist diese Haltung?

Dass die Ehepartner die beiden Bedeutungen des Eheakts nicht auf eigene Initiative voneinander trennen dürfen, ist eine absolute Norm, die sich aus den Absichten Gottes mit der Schöpfung ergibt. Eine absolute Norm kennt keine Ausnahmen. Das Gewissen des Menschen ist faktisch die Vernunft, die grundlegende Normen auf seine eigenen konkreten Handlungen anwendet. Das Gewissen erzeugt nicht die Norm. Deshalb kann das Gewissen nicht zu einer Schlussfolgerung gelangen, die von der grundlegenden Norm abweicht, dass Verhütung eine intrinsisch unzulässige Handlung ist.

Wieviel Zukunftspotenzial trauen Sie der Theologie des Leibes zu?

Die Theologie des Leibes hat großes Zukunftspotenzial, da vor allem junge Katholiken dafür offen zu sein scheinen. Ich bin überzeugt, dass die Theologie des Leibes durch den Generationswechsel in Zukunft für viele junge katholische Ehepaare die grundlegende Richtlinie für die Gestaltung ihrer Ehe und Sexualität sein wird.

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