20-Punkte-Plan: Trumps gefährlicher Balanceakt in Nahost

Donald Trumps 20-Punkte-Plan könnte ein erster Schritt aus der nahöstlichen Sackgasse sein. Doch auf palästinensischer Seite herrscht Skepsis

Quelle
Nach Treffen in Washington – Trumps Friedensplan: So soll der Krieg in Gaza enden – News – SRFTrump sieht Nahen Osten “mehr als nah dran” an einer Friedenslösung | tagesschau.de

02.10.2025

Richard C. Schneider

Die Bilder aus Washington vom 29. September könnten historischer Natur sein: Donald Trump steht neben Israels Premierminister Benjamin Netanjahu und verkündet einen Plan, der “den Krieg im Gazastreifen innerhalb von Tagen beenden” könne. Der sogenannte 21-Punkte-Plan, in der veröffentlichten Version auf 20 Punkte reduziert, wurde von Israel akzeptiert. Die Hamas hingegen zögert. Das Treffen, das als diplomatischer Wendepunkt angekündigt war, markiert eine hochriskante Phase im Nahen Osten: zwischen Hoffnung auf Stabilisierung und der Gefahr eines politischen und sicherheitspolitischen Rückschlags.

Der Plan ist ambitioniert. Er sieht einen sofortigen Waffenstillstand vor, wenn beide Seiten zustimmen, die Freilassung aller israelischen Geiseln binnen 72 Stunden, den Rückzug der israelischen Armee aus weiten Teilen Gazas sowie den stufenweisen Wiederaufbau des zerstörten Küstenstreifens unter internationaler Aufsicht. Kernforderungen sind zudem die vollständige Entwaffnung der Hamas, die Einsetzung einer Übergangsverwaltung ohne direkte Beteiligung bewaffneter Gruppen und die Rückkehr von Vertriebenen. Zugleich bekräftigt Israel, dass Gaza nicht annektiert werde und niemand dauerhaft zur Ausreise gezwungen werde – eine Reaktion auf die internationale Kritik an der bisherigen Kriegsführung.

Die Umsetzung bleibt unklar

Doch so konkret die Punkte des Plans formuliert sind, so unklar bleibt, wie sie umgesetzt werden sollen. Die Hamas, deren Zustimmung für jeden Schritt notwendig wäre, hat bislang keine formelle Erklärung abgegeben. Zwar wird in Teilen der arabischen Welt, etwa in Katar, Ägypten und Jordanien, Druck auf sie ausgeübt, doch eine Zustimmung zur vollständigen Entwaffnung ist aus heutiger Sicht kaum vorstellbar. Auch in der palästinensischen Gesellschaft herrscht Skepsis: Der Plan wird vielfach als Versuch gewertet, die Kontrolle über Gaza neu zu ordnen, ohne echte Mitsprache oder politische Perspektive für die Palästinenser.

Dabei könnte der Plan, sofern er umgesetzt wird, einen entscheidenden Beitrag zur Befriedung der Region leisten. Seit fast zwei Jahren herrscht Krieg im Gazastreifen. Zehntausende Tote, zerstörte Infrastruktur, eine humanitäre Katastrophe ohne absehbares Ende: es ist ein Konflikt, der sich festgefahren hat. Weder Israel noch die Hamas konnten bisher einen entscheidenden Vorteil erringen. Für Netanjahu bietet der Plan die Möglichkeit, mit internationaler Rückendeckung aus einer militärisch und politisch unhaltbaren Lage herauszukommen. Für Trump ist es eine Gelegenheit, sich als außenpolitischer Macher zu inszenieren.

Doch Netanjahus innenpolitische Lage ist prekär. Seine rechte Koalition droht zu zerbrechen, sollte der Premier auch nur einen Schritt auf die Forderungen der internationalen Gemeinschaft zugehen, die auf eine dauerhafte Befriedung inklusive politischer Beteiligung der Palästinenser zielt. Minister wie Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich lehnen jeden Kompromiss ab, insbesondere, wenn er den Rückzug aus Teilen Gazas oder die Aussicht auf eine Zweistaaten-Lösung impliziert. Ein Bruch mit diesen Partnern würde Netanjahu die parlamentarische Mehrheit kosten und möglicherweise Neuwahlen erzwingen. Die israelischen Medien sind sich bereits sicher, dass es im Februar 2026 dazu kommen wird. Dabei steht die israelische Öffentlichkeit längst nicht geschlossen hinter der Regierung. Während ein Teil eine kompromisslose Linie gegenüber der Hamas fordert, wächst die Zahl derer, die ein Ende des Krieges, die Rückkehr der Geiseln und eine humanitäre Entlastung für Gaza verlangen. Die Proteste gegen die Regierung halten an, ebenso wie die Forderungen nach einer politischen Erneuerung und klarer Perspektive.

Internationaler Kontext spielt entscheidende Rolle

Der internationale Kontext spielt eine entscheidende Rolle. Die USA, die Europäische Union, aber auch Staaten wie Saudi-Arabien und Ägypten signalisieren ihre Bereitschaft, den Plan zu unterstützen – finanziell wie politisch. Gleichzeitig ist das Misstrauen gegenüber Netanjahus Regierung groß. Zu oft wurden internationale Vereinbarungen ignoriert oder gebrochen. Auch die UN mahnen zur Vorsicht und fordern klare Zusagen für eine politische Lösung, nicht nur ein “technisches” Ende der Kampfhandlungen. Offen bleibt zudem die Frage nach der Übergangsverwaltung in Gaza: Der Plan nennt keine konkreten Akteure, sondern spricht von einer “nicht bewaffneten, professionellen Interimsführung”, die Sicherheit und Wiederaufbau gewährleisten soll. Die Palästinensische Autonomiebehörde wird nur am Rande erwähnt; eine mögliche Einbindung gilt jedoch als Voraussetzung für politische Legitimität. Ohne eine solche Struktur droht ein Machtvakuum, das erneut Extremisten anziehen könnte: nicht nur aus Gaza selbst, sondern auch aus Syrien, dem Libanon oder dem Iran.

Dennoch: Der 20-Punkte-Plan stellt die erste ernsthafte diplomatische Initiative seit Beginn des Krieges dar, die von beiden Seiten zumindest geprüft wird. Dass Israel zustimmt, ist nicht nur taktisch motiviert, sondern auch ein Eingeständnis, dass militärische Mittel allein keine Lösung bringen. Auch wenn die Umsetzung des Plans voller Fallstricke steckt – seine Existenz ist ein politisches Signal. Es zeigt, dass nach Monaten der Gewalt wieder Spielräume für Diplomatie existieren. Ob daraus ein dauerhafter Wandel entsteht, hängt von vielen Faktoren ab: von der Bereitschaft der Hamas zur Kooperation, vom Zusammenhalt der israelischen Regierung, von der Geduld der internationalen Gemeinschaft und nicht zuletzt von der Unterstützung der Menschen, die in Gaza und Israel leben. Für sie entscheidet sich in diesen Wochen, ob dieser Plan mehr ist als ein diplomatisches Manöver. Die Geschichte der Friedensprozesse im Nahen Osten ist lang und voller gescheiterter Hoffnungen. Der neue Plan könnte ein weiterer Versuch sein. Oder ein erster Schritt aus der Sackgasse. Noch ist beides möglich.

Der Autor war Israel-Korrespondent der ARD, ist Buchautor und Publizist.

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