Iran und Israel – Krieg vorbei, alles gut?

Israel hat den Krieg gewonnen und das Nuklearprogramm des Iran wahrscheinlich für längere Zeit lahmgelegt. Der Nahe Osten erhält eine neue Machtstruktur, doch die Probleme bleiben

Quelle
Amazon.de : Richard C. Schneider

05.07.2025

Richard C. Schneider

Der Krieg mit dem Iran ist vorbei. Vorerst. Doch für Israel beginnt jetzt eine Phase strategischer und gesellschaftlicher Selbstvergewisserung. Während das regionale Machtgefüge sich neu ordnet, bleibt die innenpolitische Lage angespannt. Auch der Gaza-Krieg ist damit keineswegs beendet. Was folgt auf die militärische Eskalation mit Teheran? Und was bedeutet das für Netanjahu, die israelische Demokratie und die Zukunft des Nahen Ostens?

Am 13. Juni 2025 begann das, was Beobachter lange für ein “Rote-Linien-Szenario” gehalten hatten: Israel eröffnete nach Jahren der Schattenkriegsführung einen massiven Militärschlag gegen iranische Nuklear- und Raketenziele sowie militärische Ziele. Die Gegenseite reagierte mit ballistischen Angriffen und Drohnen, doch eine großflächige Mobilisierung iranischer Proxys wie etwa der Hisbollah im Libanon blieb aus. Israel hatte bereits im Vorjahr die Hisbollah und andere Terrormilizen in der Region geschlagen und ihr Waffenarsenal radikal dezimiert. Militärisch betrachtet, kann Israel einen Erfolg verbuchen: Zentrale Nuklearanlagen des Iran wurden beschädigt oder zerstört, auch dank des Einsatzes von B2-Bombern der USA, das Raketenarsenal stark dezimiert, das Signal der Abschreckung wurde deutlich gesetzt. Doch strategisch ist das Ergebnis zumindest ambivalent. Das Regime in Teheran ist nicht verschwunden, aber extrem gedemütigt. Sein Einfluss in der Region wird nicht mehr militärisch, sondern asymmetrisch fortwirken. Die Terror- und Cyberangriffe dürften zunehmen. In der Region, aber auch in den USA und in Europa.

Neue Landkarte der Abschreckung

Der Krieg hat die tektonische Ordnung des Nahen Ostens noch nicht umgestürzt, aber merklich verschoben. Die offene Konfrontation zwischen Israel und dem Iran hat aus einer lange schwelenden Rivalität einen offenen Zustand struktureller Feindseligkeit gemacht, der erst einmal nicht eskalieren kann, da das iranische Regime dazu nicht in der Lage ist. Erst einmal.

Für arabische Staaten, die bislang auf eine vorsichtige Normalisierung mit Israel gesetzt hatten (etwa die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain und Saudi-Arabien), ergibt sich ein Dilemma. Einerseits teilen sie das Misstrauen gegenüber Teheran. Andererseits sorgt die israelische Bereitschaft zum Alleingang für Unruhe, man befürchtet eine gewisse Destabilisierung des Nahen Ostens.

Zugleich gewinnt Israel regional wie international an Anerkennung als militärischer Akteur mit enormer Reichweite. Die Fähigkeit, simultan an mehreren Fronten zu operieren – in Gaza, Libanon, Syrien und Iran – stellt seine Gegner vor neue Herausforderungen. Die USA haben durch nachrichtendienstliche Kooperation, logistische Hilfe und den eigenen Bombenangriff auf drei Nuklearanlagen signalisiert: In der strategischen Konkurrenz mit dem Iran ist Israel ein eigenständiger Pfeiler der westlichen Sicherheitsarchitektur.

Gaza bleibt ein unheilbarer Schauplatz

Doch während die iranische Front militärisch begrenzt wurde, bleibt Gaza ein unheilbarer Schauplatz. Der Krieg dort, der seit Oktober 2023 andauert, hat weder die Hamas vollständig zerschlagen noch eine zivile Perspektive für die gut zwei Millionen Palästinenser im Gazastreifen eröffnet. Der Krieg gegen den Iran hat den Fokus vorübergehend verschoben, aber nicht ersetzt. Vielmehr wirkt Gaza nun doppelt problematisch: als humanitäres Desaster und als sicherheitspolitisches Vakuum.

Die Hoffnungen auf eine internationale Interimslösung, etwa durch eine arabische Schutztruppe unter UN-Mandat, haben sich bislang zerschlagen. Israel weigert sich, die militärische Kontrolle vollständig abzugeben, während arabische Staaten sich nicht als Verwalter einer israelischen Besatzungszone präsentieren wollen. Die Palästinensische Autonomiebehörde ist politisch geschwächt, die USA zögern, sich tiefer einzubringen.
So bleibt Gaza ein zentrales Dilemma: Jeder militärische Erfolg gegen den Iran wird innenpolitisch konterkariert durch die ungelöste Frage, wie es mit Gaza weitergeht. Für viele Israelis – insbesondere Reservisten und Angehörige der Geiseln – wird der Gaza-Krieg zur moralischen Zerreißprobe.

Die Öffentlichkeit ist erschöpft, und nicht versöhnt. Rechte Extremisten und Linksliberale stehen sich in Israel unversöhnlich gegenüber.
In dieser Gemengelage stellt sich unweigerlich die Frage nach dem politischen Überleben von Premier Benjamin Netanjahu. Noch im März 2024 schien sein Rückhalt dramatisch zu erodieren. Der 7. Oktober 2023 war auch für ihn ein sicherheitspolitisches Versagen. Doch wie so oft in seiner Karriere gelingt es ihm, politische Bedrohungen in taktische Gelegenheiten zu verwandeln.

Erschöpft, aber nicht gelähmt

Der Krieg gegen den Iran brachte Netanjahu kurzfristig wieder in den Mittelpunkt nationaler Geschlossenheit. Seine Botschaft: Nur eine erfahrene Führung kann das Land durch multipolare Bedrohungen steuern. Doch diese Phase ist fragil. Denn der innenpolitische Druck wächst – aus unterschiedlichen Richtungen. Seine persönlichen Umfragewerte sind gestiegen, doch die Werte für seine Koalition liegen weiterhin bei 48 Prozent. Im Fall von Neuwahlen würde Netanjahu entweder haushoch verlieren oder möglicherweise eine gänzlich andere Koalition schmieden müssen. Ohne die Rechtsextremisten.

Liberale Kräfte werfen ihm vor, Demokratieabbau, Polarisierung und juristische Eigeninteressen voranzutreiben. Religiös-nationalistische Partner wiederum verlangen die Fortführung einer harten Linie, besonders im Westjordanland. Die politische Mitte – lange das Rückgrat israelischer Stabilität – fühlt sich heimatlos.

Netanjahus Schicksal hängt zunehmend an der Frage, ob es ihm gelingt, die Erzählung vom “starken Verteidiger Israels” dauerhaft zu behaupten. Sollte sich herausstellen, dass der Iran-Krieg lediglich temporären Aufschub lieferte, aber keine strukturelle Sicherheit, wird seine Position auch in der eigenen Partei brüchig. Die Proteste gegen seine Justizreform, die 2023 Hunderttausende mobilisierten, könnten zurückkehren, mit neuer Energie.

Die israelische Gesellschaft wirkt nach zwei Jahren Dauermobilisierung erschöpft – aber nicht gelähmt. Der Krieg mit dem Iran hat viele Ängste bestätigt, aber auch die eigene Resilienz gestärkt. Die Reservistenbereitschaft blieb hoch, der Rückhalt für die Streitkräfte ist weiterhin solide. Dennoch zeigen Umfragen: Das Vertrauen in politische Institutionen, insbesondere in Regierung und Knesset, ist auf einem historischen Tiefstand.

Zudem haben sich tiefe Risse aufgetan: zwischen religiösen und säkularen Israelis, zwischen Stadt und Peripherie, zwischen jüdischen und arabischen Bürgern. Die strategische Einheit nach außen kontrastiert mit einer inneren Fragmentierung, die sich nicht mit Symbolpolitik kaschieren lässt. Die Frage, wie viel Demokratie ein Staat im Dauerkrieg erträgt, wird zunehmend dringlicher.

Der Nahe Osten im Wandel

Auch die Frage nach der Rückkehr der Geiseln aus Gaza ist nicht abgeschlossen. Familien demonstrieren weiter, fordern einen Waffenstillstand, humanitäre Abkommen und politische Verantwortung. Ihre Stimme wirkt wie ein Mahnruf: Nicht jeder Krieg stärkt den sozialen Zusammenhalt. Manche zersetzen ihn.

Der Iran-Krieg markiert keinen Abschluss, sondern einen Übergang. Israel hat demonstriert, dass es militärisch autonom agieren kann und will. Diese Stärke wirft neue Fragen auf: Wie dauerhaft ist die Abschreckung gegenüber Teheran? Wie geht es weiter in Gaza? Und wie lässt sich eine multipolare Sicherheitsstrategie mit demokratischer Kohärenz vereinen?

Auch der Nahe Osten steht vor einem Wandel: Mit jedem Konflikt verlieren multilaterale Institutionen an Relevanz, regionale Bündnisse sind fragil, die USA ziehen sich taktisch zurück, sind aber einsatzbereit. Israels neue Rolle ist die eines strategischen Einzelgängers mit punktuellen Allianzen – aber ohne echte Partner für eine langfristige politische Lösung, solange das Problem mit den Palästinensern nicht angegangen wird.

In dieser neuen Ordnung ist Sicherheit nicht mehr ein Ist-Zustand, sondern ein ständiger Prozess. Doch wer in Prozessen lebt, braucht Vertrauen, Richtung und Legitimität. Genau daran mangelt es aktuell in der Politik – in Gaza, in Teheran, aber auch in Jerusalem.

Der Autor war Israel-Korrespondent der ARD, ist Buchautor und Publizist. Er lebt in Tel Aviv und München.

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