Auf Friedensfahrt durch Russland
Von Moskau bis Jekaterinburg: In diesen Zeiten ausgerechnet nach Russland reisen? Dass das nicht nur möglich, sondern sinnvoll ist, bewies eine zweiwöchige Pilgerreise für den Frieden
Quelle
Dreifaltigkeitskloster von Sergijew Possad – Wikipedia
06.07.2025
Hermann Rössler
Ein Bus mit der Abbildung des russischen Doppeladlers auf der Heckscheibe hielt vor dem Hotel Kosmos in Moskau, um 44 Pilgern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz den Ausstieg zu ermöglichen. Nach der Anreise per Flugzeug über den Zwischenstopp Istanbul lag hier der Startpunkt einer zweiwöchigen Pilgerreise für den Frieden, die von Moskau bis Jekaterinburg führte. Eingeladen zur Friedenswallfahrt hatte der deutsche Pfarrer Erich Maria Fink, der seinen Priesterdienst seit 25 Jahren in der Pfarrei Beresniki im Ural, die zur Erzdiözese Moskau gehört, verrichtet. Diese Reise, erklärte Pfarrer Fink, sei “ein flehentlicher Ruf um Frieden”. Das Gebet des heiligen Franz von Assisi “Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens” begleitete die Teilnehmer in diesen zwei Wochen jeden Tag.
Christi Himmelfahrt feierten die Wallfahrer in der katholischen Kathedrale der Unbefleckten Empfängnis in Moskau. Sie besichtigten die Christus-Erlöser-Kathedrale, liefen über den Roten Platz, besuchten das Kloster der Elisabeth von Hessen-Darmstadt, die in der Orthodoxie als Heilige verehrt wird, und beteten vor dem Denkmal für die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs einen Barmherzigkeitsrosenkranz. Vergeben wollen und um Vergebung bitten, das sei ein heilsamer, begehbarer Weg der Völker für die Zukunft, sagte Pfarrer Fink. In der katholischen Kirche St. Ludwig feierten die Teilnehmer am kommenden Tag die Messe. Hier hatte schon Konrad Adenauer gebetet, als er die Rückführung von deutschen Kriegsgefangenen verhandelt und erreicht hatte.
“Alles hat sich gelohnt!”
Im Dreifaltigkeitskloster in Sergijew Possad war das Heiligtum des auch von der römischen Kirche als Heiligen verehrten Sergius von Radonesch (1314–1392) zu sehen. Die goldenen Kuppeln grüßten schon über die Mauern der Klosteranlage hinweg, im Inneren herrschte reger Betrieb: Mönche und Priester in langen, schwarzen Kutten, langen Haaren und Bärten, Pilgergruppen, Frauen in langen Röcken, die Haare unter Tüchern verdeckt. In der Dreifaltigkeitskirche liegen Reliquien des Heiligen; besondere Gnaden versprechen sich diejenigen, die den Schrein zuerst am Fußende, dann in der Mitte und am Kopf berühren und sich zwischendurch bekreuzigen. Nach orthodoxer Art werden dabei Daumen, Zeige- und Mittelfinger zusammengelegt und von der Stirn zur Brust und von der rechten zur linken Schulter geführt. Pfarrer Fink erinnerte daran, dass Papst Johannes Paul II. ermutigt hatte, Heiligkeit, die der Heilige Geist auch in anderen Konfessionen wirke, zu erkennen. In der katholischen Kirche in Wladimir hieß der dortige Pfarrer die Pilger willkommen: “Christus resurrexit!” In Russland wird bis zum Pfingstfest mit diesen Worten auf Russisch gegrüßt. Der Pfarrer wies auf das Kreuz: “Durch Gott kommt die Veränderung, in Europa und auch in diesem Land.”
Ein besonderer Höhepunkt der Reise wartete auf die Teilnehmer in Diwejewo, wo sich das orthodoxe Heiligtum des heiligen Seraphim von Sarow (1754–1833) befindet. Zwölf Mal erschien ihm die Mutter Gottes. In seinem Leben als Einsiedler soll er 1000 Tage und Nächte betend auf einem Stein verbracht haben. Dem letzten Zaren Russlands, Nikolaus II., hinterließ er indirekt einen Brief, in dem er ihm dessen Tod sowie eine atheistische Periode in Russland voraussagte. In der Klosteranlage in Diwejewo drängten sich zur Messzeit am Sonntag Pilger um sein Grab. Die orthodoxe Liturgie wird von überschwänglichen, nicht enden wollenden Gesängen geprägt, die die Gläubigen vor allem durch wiederholte Kreuzzeichen mitvollziehen. Eine der Pilgerinnen, die ihren Koffer in Istanbul verloren hatte und somit fast ohne Gepäck reiste, rief aus: “Alles hat sich gelohnt!”
Liebt Maria die Orthodoxie besonders?
Über Nischni Nowgorod ging die Reise weiter ins Land der muslimischen Tartaren, nach Kasan. Im Kasaner Kreml steht nahe der 2005 eingeweihten Kul-Scharif-Moschee die Mariä-Verkündigungs-Kathedrale, die unter Iwan dem Schrecklichen (1530–1584) gebaut worden war. Unweit des Kremls befindet sich die wieder errichtete und 2020 eingeweihte Kasaner Kathedrale, in der die Ikone der Gottesmutter von Kasan verehrt wird. Sie war nach 2004 aus dem Gebetsschatz des Papstes Johannes Paul II. von diesem an die russisch-orthodoxe Kirche zurückgegeben worden. Vor der Kirche erlebten die Teilnehmer eine Überraschung: Ein orthodoxer Priester, der sich als der Verantwortliche der orthodoxen Kirche für Soziales in Perm entpuppte, kam mit ausgebreiteten Armen auf Pfarrer Fink zu, umarmte ihn freundschaftlich und dankte ihm für sein soziales Engagement.
Mit der Transsibirischen Eisenbahn ging es Richtung Perm. In Obwinsk nahmen die Pilger an den Feierlichkeiten zum Fest der Erscheinung der Muttergottes bei Obwinsk 1685 teil. Der Bischof, der die Liturgie feierte, legte den katholischen Reisenden danach die Konversion ans Herz, weil die Muttergottes die Orthodoxie besonders liebe. Von Perm, wo sich erstmals die weißen Nächte Russlands erleben ließen, fuhr die Gruppe weiter in den Norden nach Rebinina. Zu diesem Zeitpunkt lag bereits eine Strecke von rund 2 000 Kilometern hinter ihr. Geprägt war die Reiselandschaft durch unaufhörliche Nadel- und Laubwälder und die meeresgleichen Flussläufe der Wolga, der Oka, der Kasanka und der Kama.
Drei neue katholische Kirchen seit 2000
In Rebinina, einer ehemaligen Arbeiterkolonie von Russlanddeutschen, steht die neu gebaute und 2015 eingeweihte Fatima-Kirche, die zur Pfarrei von Pfarrer Fink gehört und eine von drei neuen katholischen Kirchen ist, die seit seinem Wirken in Russland ab dem Jahr 2000 errichtet wurden. Die 77-jährige Walentina erzählte, dass sie Zeit ihres Lebens in der Kommunistischen Partei aktiv gewesen, inzwischen aber mit ihrem Mann katholisch geworden sei. Mit Pfarrer Fink habe sie einiges von der Welt gesehen, wovon Magnete aus Rom, Paris und Köln an ihrem Kühlschrank zeugten.
Über Nyrob fuhren die Friedenspilger nach Beresniki, wo die Pfarrei “Maria – Königin des Friedens” beheimatet ist. Ein abermals herzlicher Empfang von Gemeindemitgliedern wartete dort auf die Pilger, die drei Tage lang in den Familien der Russen und Russlanddeutschen übernachten durften. In dieser Zeit konnten sie das fast vollendete Exerzitienhaus mit der Kapelle des heiligen Josef, eine Landwirtschaft, in der auch ehemalige Drogenabhängige tätig sind, sowie die “Schule des Lebens” in Jajwa zur Heilung der Süchtigen besichtigen.
Großmutter Bernadeta, mit ihren 90 Jahren die älteste Vertreterin der Pfarrei, berichtete während einer Gartenparty, wie sie während des Kommunismus mit einer Frauen-Gebetsgruppe den katholischen Glauben bewahrt hat. Mit hellwachem Blick schenkte sie den Gästen Wodka in die Schnapsgläser und gab der ganzen Gruppe zum Abschied ihren Segen.
An Pfingsten feierte die Pfarrei ihr 25-jähriges Bestehen, es gab einen Täufling und vier Kinder empfingen die Erstkommunion. Orthodoxe Freunde des Pfarrers, darunter der Erzpriester Michail, der lutherische Gemeindevorsteher sowie Vertreter der kommunalen Politik nahmen an den Festlichkeiten teil und drückten ihren Dank über das Wirken in der Pfarrei aus.
Die letzte Station der Pilgerfahrt führte nach Jekaterinburg und damit nach Asien. Die 2003 eröffnete Kathedrale auf dem Blut, die an der Stelle errichtet wurde, wo die Zarenfamilie 1918 ermordet worden war, begeisterte die Pilger mit ihrer umwerfenden, vom Gold der Ikonen und durch die hellen Malereien an Licht reichen Schönheit. Etwas außerhalb der Stadt beteten die Teilnehmer in einer Klosteranlage an jener Grube, in die die Leichen der Zarenfamilie geworfen worden waren, einen Barmherzigkeitsrosenkranz. In der für die Pilger letzten Predigt in Russland zog Pfarrer Fink gleichsam das Resümee der Wallfahrt: “Der Weg der Liebe ist zu lernen, in jedem einen Schatz zu erkennen, den nur dieser andere mir geben kann. Dazu muss ich die Demut haben, den anderen höher als mich selbst einzuschätzen. Solange wir nicht von der Liebe Gottes zu den Menschen überzeugt sind, können wir keinen Frieden in die Welt bringen.”
Der Autor (29) hat Geschichte und Philosophie studiert. Er arbeitet als Orthopädie-Schuhmacher und schreibt freiberuflich.
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