Im Schatten der mächtigen Orthodoxie

Georgien ist ein kleines Land mit großen Problemen. Seine marginalisierte katholische Kirche punktet mit karitativer Kreativität

Quelle
Georgien: Wiederaufbau der Kirche nach der kommunistischen Ära | Hilfe für die Kirche in Not
Apostolische Reise nach Georgien und Aserbaidschan (30. September – 2. Oktober 2016) | Franziskus
Papst in Georgien und Aserbaidschan: Franziskus mahnt zu Frieden und Versöhnung | BR24 | BR.de
Georgien
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04.05.2025

Stephan Baier

Erst mit dem Ende der Sowjetunion und der neuerlichen Unabhängigkeit des georgischen Staates konnte die römisch-katholische Kirche ihre Strukturen in diesem – nach Armenien – zweitältesten christlichen Land der Welt wieder aufbauen. Der Italiener Giuseppe Pasotto war von Anfang an dabei: zunächst als Priester und Apostolischer Administrator, seit 26 Jahren als Bischof. Neben der Kathedrale wurde bislang nur ein weiteres Kirchengebäude restituiert, um sechs weitere ringt man seit Jahren. Das sei eine Frage der Notwendigkeit wie der Gerechtigkeit, meint der Apostolische Nuntius für Georgien und Armenien, der aus dem kroatischen Split stammende Erzbischof Ante Jozi(´c), im Gespräch mit der “Tagespost”.

Weniger als ein Prozent der 3,7 Millionen Einwohner Georgiens sind katholisch – aufgespalten in drei Riten-Gemeinschaften, nämlich Armenier, Chaldäer und Lateiner. “Offiziell gibt es 20 000 Katholiken, aber die genaue Zahl ist nicht bekannt”, sagt der Nuntius.

Der Heilige Stuhl unterstütze die territoriale Integrität des Landes, so Erzbischof Jozi(´c). Damit ist gemeint, dass der Vatikan die seit 2008 andauernde russische Besetzung von Abchasien und Südossetien, immerhin rund 20 Prozent des georgischen Staatsgebietes, nicht anerkennt.

Der Nuntius, der seit Herbst 2024 in Georgien residiert, “fand hier eine Vielzahl an Problemen vor”, doch verunsichert wirkt er nicht. Schließlich war er zuvor in Belarus tätig, kennt also die Lage einer kleinen, gesellschaftlich marginalisierten katholischen Kirche ebenso wie Osteuropas kleine Länder mit großen Problemen. “Es ist die Rolle der Kirche, Werte zu predigen”, meint er, etwa “Familienwerte und Solidarität”, aber auch Menschen in Not zu helfen. Eine bestimmte politische Partei oder Richtung zu unterstützen würde die Gläubigen nur spalten, sagt Jozi(´c). Zumal in einem so stark polarisierten Land.

Privilegiert ist in Georgien die georgisch-orthodoxe Kirche, zu der sich 84 Prozent der Einwohner bekennen, die vom Staat mit umgerechnet 26 Millionen Euro pro Jahr unterstützt wird und zudem Steuerfreiheit genießt. Der wahre Machthaber des Landes, der georgisch-russische Multimilliardär und Gründer der Regierungspartei “Georgischer Traum”, Bidsina Iwanischwili, hat ihr in der Hauptstadt Tbilisi (Tiflis) eine riesige Dreifaltigkeits-Kathedrale finanziert, eine der größten orthodoxen Kirchen der Welt, die gut 15 000 Menschen fasst.

Die georgische Orthodoxie genießt und verteidigt ihre Vorrangstellung, vermeidet aber, vollends in Abhängigkeit von der Regierung zu geraten: Als im Wahlkampf 2024 die Regierungspartei ankündigte, die Orthodoxie offiziell zur Staatsreligion erklären zu wollen, reagierte das Patriarchat ablehnend. Man wolle “nichts überstürzen”, zumal die Kirche durch ihren derzeitigen Status sowohl Unabhängigkeit als auch hohes Ansehen genieße.

“Alle wollen sein wie Pater Benny”

Die orthodoxe Kirche wettert gegen die westliche LGBT-Agenda und preist traditionelle Familienwerte, sie lehnt den ökumenischen Dialog mit Katholiken dezidiert als Häresie ab und hat das Panorthodoxe Konzil 2016 auf Kreta boykottiert. Ihr Patriarch, Ilia II., wird landesweit als hohe Autorität verehrt. Nun sei er sehr krank und niemand wisse, in welche Richtung sich diese autokephale orthodoxe Kirche entwickle, sagt Bischof Pasotto im Gespräch mit dieser Zeitung.

Manche sehen schon einige bischöfliche Fundamentalisten in den Startlöchern; das ohnehin sehr kühle Verhältnis könnte also noch eisiger werden. Privat plaudere er durchaus mit orthodoxen Bischöfen, erzählt Pasotto, aber einen offiziellen Dialog gibt es nicht. Als Papst Franziskus das Land 2016 besuchte, ignorierte die Orthodoxie die Reise weitgehend. Orthodoxe Fanatiker jedoch demonstrierten und wetterten wütend gegen den Papst. Patriarch Ilia II. schwieg zu alledem. “Die Ökumene hat es nicht leicht in diesem Land”, bestätigt der Nuntius. “Viele Orthodoxe denken, dass die Katholiken den Glauben verloren haben.” Das hat Auswirkungen, etwa im Fall gemischtkonfessioneller Heiraten: Da fordern orthodoxe Priester die neuerliche Taufe des katholischen Partners.

Der chaldäische P. Benny Bet Yadegar (Red.) bestätigt im Gespräch, dass ihn das Schweigen des orthodoxen Patriarchen am meisten irritiert: Georgisch-orthodoxe Priester würden Katholiken als Häretiker beschimpfen und hätten auch gegen den Bau der chaldäischen Kirche intrigiert. “Der Patriarch hat den Orthodoxen nicht ein einziges Mal gesagt, dass Katholiken ihre Schwestern und Brüder sind. Er wird wie ein Heiliger verehrt, aber er sagt kein Wort.” Auch wenn man ihn direkt auf Probleme wie die Wiedertaufe von Katholiken anspreche, komme keine Antwort. Seine Kirche musste Chorbischof Benny letztlich als Kulturzentrum registrieren lassen, erzählt der aus dem Iran stammende Priester.

Von dort war er 1987 geflohen, als das Mullah-Regime ihn in den Krieg gegen den Irak schicken wollte. In der Türkei wurde er ins Gefängnis geworfen und gefoltert, konnte aber fliehen und sich nach Istanbul durchschlagen. Dort lebte er als Bettler auf der Straße, bis sich eine muslimische Prostituierte seiner erbarmte, ihn aufnahm und ernährte. Vier Monate habe er bei ihr gewohnt, und weil er sagte, dass er Priester werden wolle, zog sie sich für ihn stets “wie die Madonna selbst” an. In Italien studierte er schließlich Theologie, in den USA wurde er zum Priester geweiht, und nun wirkt der chaldäische Pater seit 1995 in Georgien. “Die ganze Gemeinde liebt ihn”, sagt eine Frau nach der Sonntagsmesse. “Alle Jungs hier wollen so sein wie Pater Benny!”

In Esthia, 30 Kilometer von der armenisch-georgischen Grenze entfernt, erwartet uns der armenisch-katholische Erzbischof Kevork Noradounguian, der eigens aus dem nord-armenischen Gjumri angereist ist. 400 armenisch-katholische Familien leben in der Ortschaft, zeigen uns stolz ihre kleine, schmucke Marienkirche. “In Georgien sind unsere Gläubigen gute Georgier! Wir sind überall so”, sagt der armenische Erzbischof, um zu begründen, warum er sich zu den politischen Spannungen im Land lieber nicht äußern will.

Die Armenier seien viel “in Bewegung”, auch in Russland. “Europa beschützt uns nicht, aber Russland auch nicht.” Der armenisch-katholische Ortspfarrer ist verheiratet und hat zwei Kinder. “Die Winter sind lang und kalt. Es ist ein hartes Leben, aber meine Vorfahren liegen hier begraben”, sagt er mit einer Geste in Richtung der Gräber neben der Kirche. In den Familien sprechen die Kinder hier armenisch, in der Schule und im Pfarrhaus lernen sie Georgisch und Englisch. Die Grenzregion zu Armenien ist der ärmste Landstrich Georgiens.

“Ohne spirituelle Grundlage unmöglich”

Unumstritten scheint in Georgien die segensreiche Arbeit der Caritas zu sein, die von der deutschen Caritas ebenso unterstützt wird wie von “Renovabis”. Seit 1993 hat das Osteuropa-Hilfswerk der deutschen Katholiken in Georgien rund 300 Projekte mit insgesamt 13 Millionen Euro unterstützt, darunter 51 Caritas-Projekte mit vier Millionen Euro. Die Caritas kümmert sich um Waisenkinder, Menschen mit Behinderungen, junge Mütter, Alte und Verarmte. Viele der Mitarbeiter im Caritas-Zentrum der georgischen Hauptstadt Tbilisi waren hier einst selbst als bedürftige Kinder.

Hier werden auch Georgier aufgefangen, die jahrelang im Ausland lebten und nach schlechten Erfahrungen in ihre Heimat zurückkehrten, um mühevoll ein neues Leben zu beginnen, ebenso traumatisierte Menschen, die psychologische Hilfe brauchen, Kinder mit motorischen Einschränkungen und Gewaltopfer. Anders als etwa in der Ukraine, wo die griechisch-katholische und die römisch-katholische Kirche jeweils eigene Caritas-Organisationen betreiben, ist die “Caritas Georgia” ein gemeinsames Unternehmen aller drei katholischen Gemeinschaften. “Unsere Arbeit ist so schwer, dass sie ohne eine spirituelle Grundlage überhaupt nicht möglich ist”, sagt eine führende Mitarbeiterin.

In Akhaltsihke, nahe der georgisch-türkischen Grenze betreibt der Orden der Kamillianer ein modern anmutendes Tageszentrum für Menschen mit Behinderungen, das nicht nur vom Orden selbst, sondern auch von “Renovabis” und den Botschaften Italiens und Polens unterstützt wird. Man kämpfe auch gegen die Stigmatisierung dieser Menschen, sagt ein 29-jähriger Pater. Eine dynamische Ordensschwester aus dem Kongo macht hier Kunsttherapie.

Daneben kümmern sich 20 Spezialisten jeden Tag um bis zu 150 Patienten – manches zahlt der Staat, vieles nicht. Da springen dann Sponsoren aus dem In- und Ausland ein. Draußen vor der Stadt empfängt uns eine betroffene Familie: Der 75-jährige Witwer Roland betreut seine schwer behinderte Tochter, die bis 2010 immer zuhause war. Jetzt wird sie an vier Tagen der Woche ins Tageszentrum der Kamillianer abgeholt und dort gezielt gefördert. Bezahlen muss die Familie dafür nichts. Wie so viele georgische Familien könnte sie es auch gar nicht.

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