George Weigel: Politische Kategorien beim Konklave unsinnig
“Ein Mann, der gerade eine lebenslange Last übernommen hat”: Der US-amerikanische Papst-Experte George Weigel im Interview über seine ersten Eindrücke von Papst Leo XIV.
11.05.2025
Herr Weigel, welchen Eindruck haben die ersten Wortmeldungen des Heiligen Vaters auf sie gemacht?
Das erste, was ich dachte, als Papst Leo XIV. am Donnerstag die Loggia des Petersdoms betrat, war: Das ist nicht so sehr ein Mann, der irgendetwas “gewonnen” hat, sondern ein Mann, der gerade eine enorme, lebenslange Last auf sich genommen hat. Seine erste Ansprache auf der Loggia traf viele der richtigen Töne. Seine Predigt vor den Kardinälen bei seiner ersten heiligen Messe als Papst in der Sixtinischen Kapelle am folgenden Morgen war sogar noch besser, weil sie so tief christuszentriert war.
Mozzetta, Stola, lateinischer Segen, aber auch Dank an Franziskus und eine Verpflichtung zur Synodalität: Wie sind diese verschiedenen Gesten beim ersten öffentlichen Auftritt des Papstes zu interpretieren?
Die Kleidung sagt mir, dass er das Wesen des Amtes, das er übernommen hat, versteht, und dass er weiß, dass er dieses Amt nicht seinen persönlichen Vorlieben unterordnen darf. Was die Synodalität betrifft: Niemand weiß so ganz genau, was “Synodalität” bedeutet. Daher müssen wir abwarten, was Papst Leo damit meint. Ich bin mir jedoch ziemlich sicher, dass er damit nicht das gleiche meint, wie der deutsche Synodale Weg.
“Die Kleidung sagt mir, dass er das Wesen des Amtes, das er übernommen hat, versteht, und dass er weiß, dass er dieses Amt nicht seinen persönlichen Vorlieben unterordnen darf”
War die Wahl von Kardinal Prevost für Sie eine Überraschung?
Kardinal Robert Francis Prevost wurde in den letzten zwei Wochen von den Kardinälen hinter verschlossenen Türen diskutiert. Deshalb war ich von seiner Wahl nicht überrascht, nur von der Schnelligkeit, mit der die Kardinäle sich auf ihn geeinigt haben.
Kommentatoren in den Medien spekulieren, ob sich in diesem Konklave der progressive oder der konservative Flügel durchgesetzt hat. Als Katholiken wissen wir, dass auch der Heilige Geist ein Wort mitzureden hat. Wie blicken Sie auf dieses sehr kurze Konklave?
Ich wünschte, die säkularen Medien würden aufhören, die katholische Kirche mit völlig unsinnigen politischen Kategorien zu diskutieren. Fragen die Medien jemals, ob der Dalai-Lama ein “liberaler Buddhist” oder ein “konservativer Buddhist” ist? In der katholischen Kirche geht es um wahr und unwahr, richtig und falsch; es geht nicht um links und rechts.
Welche persönlichen, theologischen, diplomatischen und sonstigen Qualitäten bringt Prevost für das Papstamt mit?
Als ehemaliger Oberer des Augustinerordens weiß er, wie man leitet. Als ehemaliger Missionar weiß er, dass wir überall zu einer missionarischen Kirche werden müssen. Als gläubiger Mensch weiß er, dass Jesus Christus die Antwort auf die Ängste der Welt ist. Das hat er auch den Kardinälen in seiner Predigt am Morgen nach seiner Wahl gesagt.
Was bedeutet ein amerikanischer Papst für die Katholiken in den USA und für das Episkopat, das ebenfalls unter inneren Spaltungen leidet?
Die Spaltungen im amerikanischen Episkopat werden stark übertrieben. Es gibt eine solide, große Mehrheit von Bischöfen, die sich in ihrer Art und Weise, das Bischofsamt zu leben, an Johannes Paul II. und Benedikt XVI. orientieren. Es gibt allenfalls eine kleine Gruppe, die innerhalb der Bischofskonferenz kaum Einfluss hat und die ähnlich denkt wie die Mehrheit des deutschen Bischofskollegiums.
Was werden die dringendsten Aufgaben des Heiligen Vaters in den kommenden Monaten sein?
Ein solides Team zu bilden, das ihm helfen kann, die Ordnung in Rom wiederherzustellen und die besorgniserregende finanzielle Lage des Vatikans wieder in den Griff zu bekommen.
Der US-amerikanische Theologe und katholische Publizist George Weigel wurde als Biograf Johannes Pauls II. bekannt. In seinem 2020 erschienen Werk “The Next Pope: The Office of Peter and a Church in Mission” forschte er auf Grundlage seiner persönlichen Gespräche mit den Päpsten Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus danach, welchen Herausforderungen das nächste Pontifikat gegenüberstehen wird.
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