Libanesische Christen: Vom Krieg überrascht

Im Libanon sind hunderttausende auf der Flucht, es fehlt an allem. Welche Perspektiven haben die libanesischen Christen? Hilfsorganisationen berichten

Quelle
Dareb Ain Ebel – MOOTOO Guide (moovtoo.com)
Libanon: Ein Land am Boden – Vatican News
Kardinal Pizzaballa: Lage im Heiligen Land “ist dramatisch und eskaliert weiter” (catholicnewsagency.com)
Pater Romanelli: Das Leben in Gaza ist erbärmlich geworden – Vatican News
Libanon

Aktualisiert am 09.10.2024, 16:30 Uhr

Meldung

Die israelische Armee hat nach den Luftangriffen gegen die Hizbollah auch eine Bodenoffensive in den Südlibanon gestartet, hunderttausende sind auf der Flucht. Was bedeutet das Kriegsgeschehen für den Libanon, in dem Christen immer noch rund ein Drittel der Bevölkerung ausmachen? Christliche Hilfsorganisationen, die vor Ort Projekte betreuen, gewährten der “Tagespost” einen Einblick.

Die im Grenzgebiet zu Israel liegenden christlichen Dörfer Aïn Ebel, Deir Mimas und Rmeich seien von der Offensive stark betroffen, berichtet missio Aachen. Viele Familien hätten dem israelischen Evakuierungsbefehl Folge geleistet. Ein Bewohner habe berichtet, dass die Dörfer fast leer seien. Seither habe es auch bereits Angriffe auf unbewohnte Häuser gegeben. Pfarrer Peter Fuchs von der Initiative Christian Solidarity International (CSI) bestätigt, dass es bereits Bombardierungen von Wohnhäusern gegeben habe. Neben einzelnen Männern, die die Dörfer gegen Plünderer verteidigen wollten, säßen in Rmeich auch noch Bewohner fest, denen aufgrund der Unsicherheit über weitere Bombardierungen die Straßen in den Norden zu unsicher seien. Ihnen fehle es nun “an allem: Benzin, Trinkwasser, Internet, Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten.”

“Die Christen im Süden des Libanon waren von der rasanten Entwicklung der Situation völlig überrascht. Sie hatten sich an vielen Orten für relativ sicher gehalten, da in ihren Dörfern keine Einrichtungen der Hisbollah existieren”, schreibt Fuchs auf Anfrage der “Tagespost”. Die Israelische Armee argumentiert demgegenüber, dass auch die christlichen Dörfer von der Hizbollah infiltriert worden seien.

Die Gefahr eines Exodus steigt

Die Arbeit der Hilfsorganisationen wurde in dem schon zuvor wirtschaftlich desolaten Land weiter erschwert, berichten CSI, missio Aachen und Malteser international übereinstimmend; die Arbeit erfolge unter extrem schwierigen Bedingungen. Der Zugang zu den betroffenen Gebieten sei eingeschränkt, die Sicherheitslage ändere sich täglich, und humanitäre Hilfe werde oft durch militärische Anordnungen behindert, schreibt missio Aachen.

Der Malteserorden berichtet, dass bereits eines seiner Gesundheitszentren im Süden des Landes aufgrund der Bombardierung der “unmittelbaren Nachbarschaft” habe verlegt werden müssen. Zwei von vier mobilen Kliniken, die der libanesische Zweig des Ordens betreibt, hätten aus dem Süden nach Beirut abgezogen werden müssen. Der sowieso verarmten Bevölkerung, die nun in den libanesischen Norden flüchte, fehle es an Grundlegendem. Alle Hilfsorganisationen versuchen mit ihren lokalen Partnern, Nahrungsmittel zu verteilen, und die gegebenenfalls bestehende medizinische Versorgung auszuweiten.

Wie kann es für den Libanon mittelfristig weitergehen? Überwiegend einig sind sich die Organisationen, dass die Gefahr eines weiteren Exodus der Christen aus dem noch vor einigen Jahrzehnten mehrheitlich christlichen Land an der Levante steigt. Da viele Menschen insbesondere in der Grenzregion fürchteten, dass ihre Häuser Ziel von Angriffen werden könnten, würden sie erwägen, ihre Heimat dauerhaft zu verlassen, schreibt misso Aachen. “Besonders die Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung des Landes und die wiederkehrende Gewalt verstärken die Bereitschaft zur Flucht.” Bereits im Libanonkrieg 2006 hätten eine Million Menschen ihr Zuhause verloren, diesmal sei mit noch mehr Vertriebenen zu rechnen.

Wer ist schuld? Die Libanesen sind gespalten

Den libanesischen Christen falle es schwer, eine Zukunft für sich im Land zu sehen, schreibt Fuchs. Doch die Wahrscheinlichkeit einer Auswanderungswelle bestehe eigentlich für Angehörige aller Glaubensrichtungen, was Fuchs mit der schon vorher bestehenden wirtschaftlichen Perspektivlosigkeit erklärt: “Familien leiden Hunger. Selbst Angehörige der libanesischen Streitkräfte arbeiten abends als Kellner in Restaurants, weil ihr Sold sie nicht ernähren kann. Das Bankensystem ist extrem fragil. Im August 2024 stellte der staatliche Energieversorger sein letztes funktionierendes Kraftwerk ab, weil die Ölreserven erschöpft waren.”

Immerhin: Eine uneingeschränkte Zunahme der religiösen Konflikte des ehemaligen Bürgerkriegslandes, in dem Schiiten und Sunniten, Christen und Drusen ein prekäres Zusammenleben führen, erkennen die Hilfsorganisationen nicht. So hätten christliche Dörfer auch muslimische Flüchtlinge aufgenommen, auch Sunniten hätten Solidarität mit schiitischen Vertriebenen gezeigt. Die Hoffnung auf einen “vereinten Ansatz zur Bewältigung der Krise” bleibe bestehen, schreibt missio Aachen. Kirche in Not zitiert den maronitischen Bischof Hanna Rahmé, der berichtet, dass viele Muslime von der christlichen Solidarität beeindruckt seien. Auch in früheren Konflikten, etwa in Syrien, hätten die Projektmitarbeiter erleben dürfen, dass Notzeiten die christlichen Konfessionen, aber auch die friedliebenden Kräfte aller Religionen zusammenbrächten, so Kirche in Not.

Gleichwohl habe der Krieg auch bestehende Abneigungen verstärkt. Manche Sunniten und Christen hätten eine Oppositionshaltung angenommen, “die sich manchmal zu Hass gegenüber Schiiten steigert”, schreibt Fuchs. Die Gründe dafür liegen nahe: “Viele (Christen, Anm. d. Red.) fühlen sich in Haft genommen von einer Miliz, die einen Unterstützungskrieg für Gaza begonnen und diesen dem ganzen Land aufgezwungen hat. Immer wieder hört man von libanesischen Christen die Aussage, dass die Hisbollah an allem schuld sei.”

Doch seien die libanesischen Christen kein einheitlicher Block, viele sähen auch Schuld bei Israel: “Das Gefühl, einen Nachbarn zu haben, der die Grenzen des Libanon und die Unversehrtheit seiner Bevölkerung – egal ob es sich um Christen, Schiiten, Sunniten oder Drusen handelt – nicht respektiert, ist weit verbreitet”. Letztlich seien die Menschen gespalten: “Die einen neigen dazu, einen libanesischen “Widerstand” zu unterstützen, die anderen kritisieren die selbstmörderische militärische Eskalation. Es gibt auch Christen, die dem Westen vorhalten, diesen Krieg überhaupt zugelassen zu haben.”

(DT/jra)

Mehr Informationen über die aktuellen Libanonprojekte der Hilfsorganisationen finden Sie hier:

Internationales Hilfswerk für humanitäre Hilfe | Malteser International (malteser-international.org)
Menschrechtsorganisation – CSI – Christian Solidarity International (csi-de.de)
missio – Internationales Katholisches Hilfswerk | missio (missio-hilft.de)
Kirche in Not Hilfswerk (kirche-in-not.de)

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