Jüdisch-christlicher Dialog fordert Respekt und Demut
Das Verhältnis Roms zu Israel hat sich stark gewandelt. Die jüngsten Päpste haben die antijudaistische Haltung des Vatikans überwunden. Aber nach wie vor gibt die Wiege des Christentums heilsgeschichtliche Rätsel auf
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Judentum: Abraham
Jubiläumspilgerfahrt ins Heilige Land, 2000 | Johannes Paul II. (vatican.va)
Apostolische Reise ins Heilige Land (8.-15. Mai 2009) | BENEDIKT XVI. (vatican.va)
09.07.2024
Als Papst Franziskus genau um diese Zeit vor zehn Jahren das Heilige Land besucht hat, wusste er genau, dass er keinen der religiösen, politischen und kulturellen Konflikte lösen kann, die aus der Wiege des Christentums ein wahres Pulverfass gemacht haben. Die Präsidenten Schimon Peres und Mahmud Abbas lud er damals nicht in den Vatikan ein, um dort Friedensverhandlungen zu führen, sondern den Frieden demütig von Gott zu erbitten.
Schon der Besuch von Johannes Paul II. im Milleniums-Jahr 2000 hatte hohe Erwartungen geweckt. Doch noch im gleichen Jahr brach die zweite Intifada aus und alle Hoffnungen auf Frieden waren wieder einmal dahin. Und neun Jahre später hielt es Benedikt XVI. ähnlich: Großer Respekt für die drei Religionen, denen Jerusalem und das Land dort heilig sind. Großer Respekt für Juden und Palästina-Araber. Aber auch große Demut in dem Wissen darum, dass die Konflikte in Nahost nicht mit einem Federstrich zu lösen sind.
Der abrahamitische Glaube entstand und verschwand im Nahen Osten
Die beiden muslimischen Heiligtümer Felsendom und Al Aqsa-Moschee, die auf dem wiederum den Juden heiligen Tempelberg liegen, auf dem Salomon vor dreitausend Jahren den ersten Tempel errichtet hat, zeigen beispielhaft, wie im Heiligen Land Schicksalsfragen der Menschheit auf unheilige Weise und unentwirrbar miteinander verwoben sind.
Sie haben heilsgeschichtliche Ausmaße und sind damit auch geheimnisvoll: Im Nahen Osten wurde der abrahamitische Glaube an den einen Gott geboren – und ist dort wieder auseinandergebrochen: Es ist, dem heiligen Paulus folgend, katholische Auffassung, dass das jüdisch-christliche Schisma erst am Ende der Zeiten überwunden wird. Aus diesem Schisma ist der für Christen und Juden häretische Islam entstanden, irgendwo im arabischen Raum vor anderthalbtausend Jahren.
Heilsgeschichtlichen Gräben mit Geist und Verstand begegnen
Erst auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil, also fast zweitausend Jahre nach Entstehung des Christentums, hat die katholische Kirche überhaupt eine gemeinsame und verbindliche Sprache und Begrifflichkeiten gefunden, um mit diesen heilsgeschichtlichen Gräben umzugehen – nicht mit Feuer und Schwert, sondern mit Geist und Verstand.
Doch die Frage, warum Gott das jüdisch-christliche Schisma und die islamische Häresie denn überhaupt zugelassen hat, kann die Kirche auch heute nicht beantworten. Nimmt man jetzt noch die innerchristlichen Zerwürfnisse hinzu, wie sie etwa im – was die Zuständigkeiten angeht – Flickenteppich der Jerusalemer Grabeskirche augenfällig sind, mag einem das Heilige Land wie ein religionsgeschichtliches Knäuel vorkommen, das der Mensch nicht lösen kann.
Aber in diesem Knäuel gibt es goldene Fäden. Anfang des dreizehnten Jahrhunderts besuchte Franz von Assisi den Sultan und sein Orden erhielt die Erlaubnis, im Heiligen Land eine Kustodie zu errichten. Das trägt bis heute. Der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Kardinal Pierbattista Pizzaballa, war selber von 2004 bis 2016 Franziskaner-Kustos für das Heilige Land.
Auch gegenüber dem Staat Israel sind die Päpste und ist der Vatikan in einer gewissen Weise demütig geworden, wie zum Beispiel eine Erklärung des Direktors des Vatikanischen Presseamts aus dem Jahr 1973 zeigt, die der Rom-Fachmann Reinhard Raffalt in seinem damals erschienenen Buch „Wohin steuert der Vatikan?“ festgehalten hat.
Brutale Nichtachtung der Form
Vor gut 50 Jahren war die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir bei Paul VI. Die Audienz fand am 15. Januar 1973 statt und im unmittelbaren Anschluss daran ließ der Vatikansprecher in einer Verbalnote verlauten: “Was den Besuch von Frau Golda Meir beim Papst betrifft, muss beachtet werden, dass es sich nicht um eine Geste des Vorzugs oder der Exklusivität handelt. Paul VI. empfing den König Hussein von Jordanien und andere Persönlichkeiten höchsten Ranges aus der arabischen Welt und arabischen Ländern. Der Heilige Stuhl pflegt herzliche Beziehungen zu Ägypten, dem Libanon, Syrien und unterhält diplomatische Beziehungen zu Tunis, Algerien, Kuwait und dem Irak.”
Zutreffend kommentiert Raffalt diese Note: “Niemals bisher war es vorgekommen, dass der Vatikan einem Regierungschef, der den apostolischen Palast noch kaum verlassen hatte, schon die ganze Phalanx seiner politischen Feinde und deren Freundschaft mit dem Heiligen Stuhl öffentlich vorhielt. Von solchem Tonfall bis zur unverhohlenen Feindseligkeit war nur noch ein Schritt.”
Offensichtlich, so der Buchautor weiter, sei dieses Dokument in seiner “brutalen Nichtachtung der Form” an die Adresse der arabischen Länder gerichtet gewesen. “So fiel das vatikanische Bronzetor im Rücken von Golda Meir krachend ins Schloss”, beschreibt Raffalt den Sinngehalt der Vatikanerklärung, ohne den Hinweis auf arabische Medien zu unterlassen, die das Kommuniqué bejubelten und den Papst als Mann von Prinzipien feierten.
Päpste haben jüdisches Volk nicht anerkannt
Es hatte zunächst zu den Prinzipien der Päpste und der vatikanischen Diplomatie gehört, dem Gedanken an einen Judenstaat, an eine Heimstatt in Palästina, jegliche Unterstützung zu verweigern. Am 26. Januar 1904 hatte Theodor Herzl dem später heiliggesprochen Pius X. den Plan vorgetragen, Juden wieder in Palästina anzusiedeln. Der Papst antworte freundlich, aber mit entschiedener Ablehnung: “Wir können die Bewegung nicht gutheißen. Wir können Juden nicht daran hindern, nach Jerusalem zu gehen, aber unterstützen können wir das niemals.”
Das Land von Jerusalem sei durch das Leben Jesu Christi geheiligt worden. Er, als Oberhaupt der Kirche, könne nichts anderes sagen. “Die Juden haben unseren Herrn nicht anerkannt, darum können auch wir das jüdische Volk nicht anerkennen.”
Wende in der vatikanischen Israel-Politik kam erst mit Johannes Paul II.
Diese nicht antisemitische, aber eindeutig antijudäische Haltung blieb bestimmend für das Verhältnis des Vatikans zum schließlich 1948 gegründeten Judenstaat – auch über die Erklärungen des Zweiten Vatikanischen Konzils zum Judentum hinaus. Als Paul VI. vor sechzig Jahren als erster Papst den Judenstaat betrat, nahm er das Wort “Israel” nicht ein einziges Mal in den Mund.
Die Wende in der vatikanischen Israel-Politik kam erst mit Johannes Paul II., der als Pole aus einer Nation stammte, die unter der Nazi-Diktatur wie die Juden zu den Opfer-Völkern gehörte. Karol Wojtyla wollte die Aussöhnung mit den Juden. Dass er 1986 als erster Papst überhaupt die römische Synagoge besuchte, Rabbiner Elio Toaff umarmte und gemeinsam mit ihm betete, hatte zwar nichts mit Israel zu tun, beendete aber die Sprachlosigkeit zwischen Vatikan und dem Judenstaat.
Zeit der Begegnungen und des Dialogs begann
In nur sieben Jahren arbeiteten beide Seiten einen Grundlagenvertrag aus, der 1993 in Kraft trat. Man tauschte Botschafter aus und es begann eine Zeit der Begegnungen und des Dialogs, die in der Reise von Johannes Paul II. ins Heilige Land im Jahr 2000 ihren Höhepunkt fand. Der Ausbruch der zweiten Intifada beendete jedoch diese Hochphase in den Beziehungen zwischen Rom und Israel. Besonders die israelische Siedlungspolitik und den Bau der Sperrmauer um Bethlehem lehnt die katholische Kirche – von der örtlichen Hierarchie im Heiligen Land bis hin zur vatikanischen Diplomatie – entschieden ab.
Auch als sich Franziskus vor zehn Jahren dem Betonring bei Bethlehem wie einer zweiten Klagemauer näherte und den Kopf an sie lehnte, war das wie eine Verneigung vor den Leiden der palästinensischen Bevölkerung, die unter der Zerschneidung und Einkesselung ihres Territoriums leidet. Aber auch für die Anerkennung Israels als Heimstatt der Juden fand Franziskus eine eindeutige Geste: Am Denkmal für Theodor Herzl, dem Vater des Zionismus und Vordenker des Judenstaats, legte der Papst 110 Jahre nach der Audienz Herzls bei Pius X. einen Kranz aus Blumen nieder.
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