Falsch verstandene Freiheit

Die “Gravamina” der Kirche deutscher Nation zwischen Reformstau und Spaltung: Wenn der Zeitgeist zum Maßstab des theologischen Denkens. Ein Essay von Klaus Berger +

Quelle
Klaus Berger

30.07.2024

Redaktion

Die Neuausrichtung, die der Synodale Weg der Kirche in Deutschland verordnen wollte, ist nicht erst durch den Schock des Missbrauchsgutachten von 2018 ausgelöst worden. Das Theologen-Projekt, das dahintersteckt, ist wesentlich älter. Schon 2011, im Jahr des Besuchs von Benedikt XVI. in seiner deutschen Heimat, hatten 145 deutschsprachige Theologen ein Manifest mit dem Titel “Ein notwendiger Aufbruch” veröffentlicht, das am Ende schließlich die Unterschrift von 240 deutschsprachigen Theologen fand. Aber schon damals waren deren Forderungen sattsam bekannt, wie der Theologe Klaus Berger noch vor dem Besuch des deutschen Papstes in einem weitgehend unbekannten Essay schrieb. Seine Analyse ist gerade nach den Erfahrungen mit dem Synodalen Weg immer noch lesenswert.

Der Reformstau, unter dem die katholische Kirche in Deutschland angeblich so leiden soll, ist nicht ganz neu und frisch. Es sind altgediente, hölzerne Forderungen: Gleichgeschlechtliche Partnerschaften, Wiederverheiratung Geschiedener, verheiratete Priester, Frauen “im kirchlichen Amt” (gemeint ist wohl: Priesterinnenweihe), Beteiligung des Volkes bei der Bischofswahl. Diese Forderungen und Vorwürfe kenne ich als Historiker teils aus dem Konziliarismus (14. Jahrhundert), teils aus dem Kulturkampf unter Bismarck, teils aus den Büchern meines Urgroßvaters, der sich rühmte, schon seit 1923 Parteigenosse zu sein. Das Ganze ist jedoch weder revolutionär noch irgendwie vollständig. Es ist eine bloße Skandale-Sammlung, wie die “gravamina nationis germanicae” von 1522. Zu Deutsch: “Beschwerden der deutschen Nation”. Interessant ist, dass hier der Begriff “deutsche Nation“ fällt, denn auch das Papier der 145 Theologen vom Anfang dieses Jahres hatte einen deutsch-nationalen Hintergrund. Es fällt auf: Keine einzige dieser Forderungen ist begründet, und offenbar soll alles zugleich durchgesetzt werden.

Wer bevollmächtigt die vorgeblichen Reformer?

Niemand kann mir weismachen, es handele sich bei der Diagnose eines angeblichen Reformstaus um eine kollegiale Hilfe für den Rest der Regierungszeit von Papst Benedikt. Denn für keine Forderung besteht auch nur der Schimmer der Wahrscheinlichkeit, dass sie absehbar realisiert wird. Und wer bevollmächtigt eigentlich all diese vorgeblichen Reformer, für meinen Glauben zu sprechen? An den deutschen Universitäten dürfte es sich aber nicht nur um 145 Professoren oder etwa ein Drittel der Kollegen handeln, die diesen Schalmeien anhängen, in Wirklichkeit dürften es gut zwei Drittel sein. Doch das, wovon diese Kollegen träumen und was sie immer neu vorschlagen, ist nicht Zukunftsmusik, sondern wird landauf landab bereits praktiziert. Denn in Wahrheit wird an der Basis in Deutschland flächendeckend Interzelebration und Interkommunion gepflegt. Bei der ökumenischen Fronleichnamsprozession pflegt die evangelische Pastorin an allen vier Altären das Evangelium zu lesen. So fehlt im Katalog aller einschlägigen Forderungen vor allem diese: Wir fordern die sofortige und bedingungslose Anerkennung aller protestantischen Kirchenstrukturen. Nebenbei gesagt: Für das Credo und eventuell Glaubenswahrheiten interessiert sich schon seit längerem sowieso niemand mehr.

Die überwältigende Mehrzahl der deutschen katholischen Professoren für Theologie verkörpert nebst einigen Bischöfen deshalb bereits seit langem die Spaltung der katholischen Kirche in Deutschland. Diese Kirche ist betont und bewusst eine deutsche Nationalkirche. Denn die von Rom verlangten Sonderwege inklusive Zölibatsregelung werden ja bereits praktiziert. Es hat keinen Sinn, sich und anderen hier Sand in die Augen zu streuen. Doch Verlogenheit und Feigheit ergänzen sich zu einem besonderen Kapitel dieser neuen Kirchenspaltung. Wenn der Papst jetzt zu uns kommt, wird er von Schritt zu Schritt gute Miene zum heimtückischen Spiel machen. Klar ist mir nur: Zu der erneuerten Kirche dieser “Reformer” möchte ich nicht gehören – und auch die große Zahl jener nicht, die noch in meiner Jugend in der katholischen Kirche das Volk Gottes bildeten und längst schon in die innere oder äußere Emigration geflüchtet sind, um im Glauben meiner Väter und meiner geliebten Mutter Kirche sterben zu können.

Gottes Gebote gehen über Bord

Ohne diese unkritischen Kirchenkritiker aus dem Innern aufwerten zu wollen, möchte ich doch eine philologische Anmerkung zu ihren Pamphleten und Verlautbarungen machen. Aus der jüngeren Kirchengeschichte ist mir kein Text bekannt, der mit dem Wort “Freiheit” so willkürlich, abgehoben und völlig unbiblisch vorgeht. Ähnlich verfährt übrigens die neueste Luther-Deutung, die Luther zum Vertreter bürgerlicher Freiheitsrechte (inklusive Mitbestimmung) machen möchte. Freiheit ist nach der biblischen Offenbarung stets die Befreiung von dem, was das ewige Leben der Menschen bedroht. Sie war auch bei Luther die Zentralerfahrung der Befreiung von Sünde, Tod und Teufel. Luther meinte damit nicht Laienpredigt und die Beteiligung der Kaufleute an der nächsten Bischofswahl. Gerhard Schröder hätte so aber bei uns exzellente Chancen, Frau Käßmann würde mit ihrer ungeheuren Popularität neue Erzbischöfin von Köln und Nachfolgerin von Kardinal Meisner. Das alles ist nicht gemeint, wenn ich als Theologe von Freiheit rede. Aber Freiheit im Sinne der neuen antirömischen und antipäpstlichen “deutschen Christen” lautet demnach: “Wir tun, was wir wollen”; Maßstab ist allein der Zeitgeist. Dass dabei Gottes Gebote haufenweise über Bord gehen, wird der Leser kaum bemerken (Scheidungsverbot, Verbot der Praktizierung von Homosexualität, Verbot des öffentlichen Predigens von Frauen im Gottesdienst, in 1 Kor 14,37, ausdrücklich als Gebot des Herrn bezeichnet, Verbot der Selbstbestimmung in ethischen Fragen nach Röm 6,15-17 – “jetzt aber gehorcht ihr von Herzen der apostolischen Lehre”).

Von einem der Kollegen habe ich sogar gehört, der Zölibat sei mangels theologischer Fundierung “nicht nötig”. Da ist nun in der Tat deutsches Verständnis von Christentum auf die Spitze gebracht. Und diese stets wiederholte Erklärung, etwas sei nicht nötig, ist von dem, was unter katholisch zu verstehen ist, Lichtjahre weit entfernt. Denn auch der Kölner Dom ist “nicht nötig”, gegen seinen Abbruch sprechen keine Bibelstellen und man könnte dort leicht und mit Zustimmung der Massen einen ökumenischen Parkplatz anlegen. So meint es auch der Durchschnittskatholik in Deutschland: Seitdem irgendein schlauer Professor herausfand, sonntags nicht in die Kirche zu gehen, sei keine schwere Sünde mehr, meint der Rest, also sei es nicht nötig. Kurzum: Nichts außer der Taufe ist nötig, und die eigentlich auch nicht.

Tischgebet ist nicht nötig, Kreuzzeichen auch nicht, predigen kann jeder. Kein Gotteslob ist nötig, keine Hingabe. Man solle sich nicht so anstellen, kein Engagement, keine große Liebe zum Beispiel zur Kirche ist nötig. Dem Begehren der neuen innerkatholischen Reformer fehlt vor allem dieses: Der Name Jesus und dass eine Umkehr von Herzen bitter nötig ist. Ich will darum auch gar nicht weiter von der Krise des Glaubens reden (davon spricht schon jeder Text des Neuen Testaments) und die altneuen Forderungen der deutschen Berufs-Gravaminateure gar als Beispiel für diese Krise nennen. In meiner Heimat waren die Osterfeuer noch weithin sichtbare leuchtende Zeichen eines siegreichen Glaubens und großer Liebe. Man ging zu den Feuern hin, staunte über die Glut, wärmte sich an ihnen und schwor der mitgenommenen Freundin ewige Treue. Für die Bibel sind Glauben, Treue und Identität dasselbe.

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Hier kostenlos erhalten!

Themen & Autoren

Redaktion
Credo
Evangelische Kirche
Gerhard Schröder
Kirchengeschichte
Klaus Berger
Klaus Berger (Theologe)
Pfarrer und Pastoren
Päpste
Zölibat

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Die drei Säulen der röm. kath. Kirche

monstranz maria papst-franziskus

Archiv

Empfehlung

Ausgewählte Artikel