Peter Schallenberg: Weltliche Solidarität ist schnell am Ende

Eine Diskussion in Frankreich zeigte, wie schnell der Begriff der Solidarität in weltlichem Kontext einer tödlichen Logik folgt

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Peter Schallenberg

23.04.2024

Peter Schallenberg

Am Mittwoch der Karwoche war ich eingeladen zu einer Podiumsdiskussion in der Deutschen Botschaft in Paris. Das Thema: die Bioethik als Aufgabe des Sozialstaates, speziell der Schutz des endenden und oft langsam verlöschenden menschlichen Lebens. Der Termin war gut gewählt: nach der Abstimmung in Nationalversammlung und Senat über die Einfügung der Freiheit zur Abtreibung in die französische Verfassung, vor der Abstimmung in den Kammern über eine liberale Fassung des derzeit geltenden Gesetzes zur Sterbehilfe und zum assistierten Suizid.

Die Entwicklung in Frankreich ist ähnlich wie bei uns in Deutschland oder auch in Belgien und den Niederlanden: Eine Mehrheit in der Bevölkerung und in den Parlamenten stark säkularisierter Sozialstaaten strebt eine Liberalisierung des Lebensschutzes an. Am Anfang des menschlichen Lebens soll allein das Selbstbestimmungsrecht der Frau entscheidend sein für ein mögliches Überleben des ungeborenen Kindes; am Ende des menschlichen Lebens allein das Selbstbestimmungsrecht des schwer erkrankten oder schlicht lebensmüden Menschen für die Erlaubnis zu assistiertem Suizid.

Die entscheidende Rolle der Würde

Aus katholischer Sicht spielt für beide Konfliktsituationen jeweils der Begriff der unveräußerlichen Menschenwürde – theologisch: die Gottebenbildlichkeit – die entscheidende Rolle.

Dabei aber ist der Fall des gewollten Suizids verzwickter als der Fall der gewollten Abtreibung. Denn bei der Abtreibung handelt es sich ohne Zweifel und auch medizinisch erweisbar um menschliches eigenständiges Leben mit Schmerzempfinden, das wir in guter europäischer Tradition als Person bezeichnen und unbedingt zu schützen haben. Am Ende des Lebens oder in schwerer Krankheit aber scheint nur der Wille des Patienten ausschlaggebend zu sein. Stimmt das wirklich?

In der Podiumsdiskussion fiel mir auf, dass häufig die Solidarität als Aufgabe der Sozialgesetzgebung, auch im Fall des Suizids, betont wurde: Die Gesellschaft und der Sozialstaat müssten Solidarität mit dem schwer erkrankten Menschen und seinem Willen zeigen. Kann das wirklich das letzte Wort eines ansonsten hilflosen, weil säkularen Sozialstaates sein? Solidarität um jeden Preis und auf jeden Fall, ohne ein besseres Ziel als die Auslöschung des Lebens? Hat Solidarität nach alter Tradition nicht immer das Ziel, Staat und Gesellschaft und Familie so solide zu bauen, dass das Ziel und die Vollendung des Lebens erreicht werden kann?

Hilfe statt Tod anbieten

Und wäre es nicht höchste Solidarität auch eines säkularen Staates, Gesetze so zu machen, dass er dem verzweifelten Menschen hülfe mit der liebevollen Entgegnung auf den Zweifel, mit dem Hinweis auf die unbedingte Notwendigkeit jeder menschlichen Person in Staat und Gesellschaft, statt scheinbar solidarisch einzustimmen in dessen Verzweiflung und Lebensmüdigkeit?

Was wäre wohl gewesen, wenn sich der barmherzige Samariter einfach solidarisch neben den Verletzten im Straßengraben gelegt hätte, statt ihn mühsam auf den Esel und ins Wirtshaus der menschlichen Wiederherstellung zu bringen? Säkulare Solidarität ohne Aussicht auf ein Ziel jenseits zeitlicher Lebensqualität, so scheint mir, ist allzu schnell am Ende – und ohne mögliche Vollendung!

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