Die Lage in Gaza wird immer dramatischer

Washington drängt auf eine sofortige, mindestens sechswöchige Waffenruhe. Mit dem Beginn des Ramadan am Sonntag wachsen Druck und Sorge

Quelle
Pizzaballa fordert erneut Waffenstillstand im Gazastreifen

06.03.2024

Stephan Baier

Im Gazastreifen spielt sich eine humanitäre Tragödie ab. Das ist noch kein politisches Statement, beantwortet nicht die Schuldfrage und propagiert auch keine bestimmte politische Lösung. Doch unabhängig von alledem ist offensichtlich, dass das menschliche Leid der Menschen im Gazastreifen nach mehr als vier Monaten Krieg zum Himmel schreit: Mindestens 15 Kinder sind verhungert oder starben an Dehydrierung, die Grundversorgung der Verwundeten in den Krankenhäusern ist zusammengebrochen, zehntausende Familien sind zum wiederholten Mal auf der Flucht, eine Hungerkatastrophe weitet sich aus.

Laut UN-Nothilfebüro OCHA sind 576.000 Menschen in der Region “nur einen Schritt von einer Hungersnot entfernt”. Hilfslieferungen würden behindert, Konvois geplündert. “Im Gazastreifen haben die Luftangriffe und der Mangel an medizinischer Versorgung, Nahrungsmitteln, Wasser und Treibstoff das ohnehin unterfinanzierte Gesundheitssystem praktisch erschöpft”, warnt die Weltgesundheitsorganisation WHO. Die Krankenhäuser seien durch die wachsende Zahl von Patienten und Schutzsuchenden “weit über ihre Kapazitätsgrenzen hinaus ausgelastet”.

Vorwürfe gegen beide Seiten

Einrichtungen der Vereinten Nationen erheben Vorwürfe gegen beide Seiten: Das durch Fälle von Hamas-Kollaboration diskreditierte UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA will von systematischen Demütigungen, Schikanen und Misshandlungen hunderter palästinensischer Gefangener in israelischen Gefängnissen wissen. Zugleich berichtet die UN-Sonderbeauftragte für sexualisierte Gewalt, Pramila Patten, von Vergewaltigungen am Tag des Hamas-Überfalls auf Israel. Frauen seien zu Opfern von Vergewaltigungen geworden; auch sei es zur Schändung von Frauenleichen gekommen. Pattens Team hat in Dutzenden Treffen mit israelischen Behörden und Organisationen mehr als 5.000 Fotos und 50 Stunden Videomaterial gesichtet sowie 34 Zeugen befragt.

Israels Präsident Jitzchak Herzog schrieb am Dienstag auf der Plattform X, der UN-Bericht zeige “mit moralischer Klarheit und Integrität die systematischen, vorsätzlichen und anhaltenden Sexualverbrechen, die Hamas-Terroristen gegen israelische Frauen verüben”. “Man muss diese blinde Gewalt überwinden, die alle blendet”, fordert der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Kardinal Pierbattista Pizzaballa, gegenüber “Vatican News”. Es sei an der Zeit, “ein neues Kapitel zu öffnen und an Lösungen des Konflikts zu denken, die nichts mit Gewalt, Bomben oder Ähnlichem zu tun haben”. Er selbst sei in ständigem Kontakt mit dem katholischen Pfarrer in Gaza, wo die Lage jeden Tag dramatischer werde. Zu den multilateralen Verhandlungen in Kairo, an denen auch die USA, Ägypten und Katar teilnehmen, meint der Patriarch, es gebe “die nötigen Elemente für eine mögliche Waffenruhe”, aber Israel wie die Hamas müssten zu Kompromissen bereit sein. Auch Papst Franziskus hat wiederholt zu einer Waffenruhe aufgerufen und das Leid der Menschen im Gazastreifen beklagt.

Die diplomatischen Bemühungen gehen weiter

Die diplomatischen Bemühungen gehen unterdessen weiter: Während in der ägyptischen Hauptstadt Kairo die offiziellen Gespräche stattfinden, empfingen US-Vizepräsidentin Kamala Harris und Außenminister Antony Blinken den israelischen Minister Benny Gantz in Washington. Gantz gehört dem dreiköpfigen Kriegskabinett von Premier Benjamin Netanjahu an, dürfte aber bei den nächsten Wahlen dessen Herausforderer um die Regierungsführung in Israel sein. Harris und er sprachen offenbar vor allem über den Schutz der Zivilisten in Rafah, im Süden des Gazastreifens, wo 1,5 Millionen Menschen auf engstem Raum leben. Harris fordert “angesichts des immensen Ausmaßes des Leids in Gaza” eine “sofortige Waffenruhe für mindestens sechs Wochen”.

In Amman empfing Jordaniens König Abdullah II. drei arabische Abgeordnete der israelischen Knesset. Dabei ging es angesichts des am Sonntag beginnenden Fastenmonats Ramadan um den ungehinderten Zugang für Muslime zum Tempelberg in Jerusalem. König Abdullah rief alle Seiten zur Deeskalation auf.

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