Abbé Mugnier: Der “Beichtvater von ganz Paris”

Abbé Arthur Mugnier begleitete den französischen Schriftsteller Joris-Karl Huysmans zur Konversion – und wirkte so bis ins Pariser Bürgertums und die Literaturszene

Quelle
Amazon.de : Abbe Mugnier
Arthur Mugnier – Wikipedia

25.02.2024

Hartmut Sommer

Dass der mit seinem Dekadenzroman “À rebours” bekannt gewordene Schriftsteller Joris-Karl Huysmans im Mai 1891 den außergewöhnlichen Abbé Mugnier (1853-1944) kennenlernte, war ein Glücksfall für ihn, denn in dem 38-jährigen Abbé fand er einen geistlichen Begleiter, der offen und einfühlsam auf ihn eingehen und mit seinen Exaltiertheiten humorvoll und gelassen umgehen konnte.

“Haben Sie ein Bleichmittel für meine Seele“, frage er den Abbé, der die Nöte dieses Hilfesuchenden sehr wohl erkannte. Huysmans benötigte nach der Arbeit an seinem satanistischen Roman “Là-bas”, die ihn tief in die Welt des Okkultismus geführt und psychisch zerrüttet hatte, dringend Unterstützung für seine seelische “Weißwaschung”. Der für Literatur begeisterte Abbé wurde sein geduldiger Zuhörer und Berater auf Augenhöhe, der ihn bis zur Konversion führte. 

Der Geistliche und die Geisteswelt

Mugnier wiederum fand über Huysmans Zugang zu literarischen Kreisen, die er bis dahin lediglich als Außenstehender bewundern konnte. Wenigstens den von ihm verehrten toten Dichtern, vor allem Georges Sand und Chateaubriand, wollte er nahekommen, indem er sich mit Reisen zu ihren Wirkungsstätten in ihr Leben hineinversetzte und Kontakt zu ihren Nachfahren aufnahm. Die Bekanntschaft mit Aurore Sand, der Enkelin von George Sand, etwa brachte ihm eine Einladung nach Nohant in das noch von der Familie bewohnte Haus der Dichterin. Aurores Mann, dem Maler Charles-Frédéric Lauth, verdanken wir das einzige Portrait von Mugnier aus seinen jüngeren Jahren.

Ab 1889 hielt Mugnier Vorträge über Themen der Literatur, über den Dramatiker Émile Augier, über Alphonse de Lamartine, einen Lyriker der französischen Romantik, und natürlich über Georges Sand, alle nicht dem katholischen Kanon zugehörig. Sein geistiger Horizont war eben weiter als die damals zu eng gezogenen Grenzen des katholisch Angemessenen. Er liebte Deutschland, wohin er häufig reiste, und die deutsche Kultur, vor allem Goethe und die Musik von Wagner, die er als eine geradezu mystische Erfahrung beschrieb. Regelmäßig besuchte er die Bayreuther Festspiele, von Huysmans belustigt als eine Art Lourdes-Wallfahrt des Abbés karikiert. Ab Mitte der 1890er Jahre stand er in freundschaftlichem Briefwechsel mit Cosima Wagner und war regelmäßig Gast in der Villa Wahnfried.

“Das ist ein heiliger Mann!”

Huysmans, der wenig von den ihm zu lauen Ortspfarrern hielt, bekam also mit diesem Abbé einen weitherzigen und intellektuell interessierten Gesprächspartner. Dabei trafen hier durchaus sehr unterschiedliche Persönlichkeiten zusammen: Mugnier war Romantiker und Naturliebhaber, dabei stets begeisterungsfähig, aber von temperiertem Gemüt, Huysmans dagegen war nüchtern beobachtender Naturalist, Stadtmensch und allen Exzessen zugeneigt, doch fanden beide Gefallen aneinander. Mugnier wurde geschätztes Mitglied in Huysmans Freundeskreis und regelmäßiger Teilnehmer an dessen sonntäglichen Abendessen. Der “verrückte Abbé” nannte Huysmans ihn flachsend, um dann rasch zu ergänzen: “Das ist ein heiliger Mann”.

Man kannte den Abbé auch als zugewandten, gewinnenden Gesprächspartner in den ersten Häusern des mondänen Faubourg Saint-Germain, wo er seit 1882 Vikar an Saint-Thomas-d’Aquin war. Zunächst über verwitwete adelige Damen, wie die Vicomtesse d’Espiès, die seinen Beichtstuhl frequentierten und seinen Beistand suchten, erhielt der Abbé, der als Sohn eines einfachen Burgverwalters aus bescheidenen Verhältnissen stammte, Zugang zu diesen gehobenen Kreisen. Man reichte ihn mit besten Empfehlungen weiter, sodass er regelmäßiger Gast in den Stadtpalais angesehenster Familien wurde und sogar die Ferien auf ihren Landschlössern verbringen konnte. Er war geschätzt als Gesellschafter, der interessiert zuhören konnte und sich nicht in den Vordergrund spielte, aber mit treffenden Bemerkungen und witzigen Anspielungen die Gespräche belebte und mitunter ihre Richtung korrigierte. Eitelkeiten und Oberflächlichkeit demaskierte er ebenso elegant, wie er Spitzen gegen sein Priestertum mit kurzen Repliken humorvoll ins Leere laufen ließ, ohne dabei bigott zu sein oder seine priesterliche Berufung zu verleugnen.

Ein gern gesehener und gehörter Gesprächspartner

Es kursierten zahllose Anekdoten darüber. Als man ihm einmal einen anderen Gast am Tisch als einen rechten “Pfaffenfresser” vorstellte, kommentierte er lächelnd: “Ich habe sehr zartes Fleisch”. Jemanden, der zögerte, eine schlüpfrige Anekdote zu erzählen, ermutigte er: “Nur zu! Ich werde an Maria Magdalena denken…” Stets empfindlich auf religiösen Fanatismus reagierend, stoppte er den Redeschwall des mittelmäßigen Romanschreibers Paul Bourget, der sich bei einem Diner entsprechend ereiferte, mit der kurzen Bemerkung: “Monsieur Bourget, ich habe zwei Soutanen, möchten Sie eine haben?”

Kamen religiöse Themen und der Priesterstand zur Sprache, konnte er mit wenigen Worten deren tiefere Bedeutung sichtbar machen. Die Bemerkung etwa, Priester und Ärzte würden den französischen Familien abwechselnd mit Rat und Tat zur Seite stehen, kommentierte er mit gesenkter Stimme, das Kinn hinter sein Beffchen gezogen: “Ja, aber der Arzt vergibt nicht.” Als ihn jemand fragte, warum er sich so viel mit notorischen Ungläubigen abgebe, antwortete er: “Weil die anderen mich nicht nötig haben.”

Auch der Ruf, den Schriftsteller Huysmans bekehrt zu haben, öffnete Mugnier viele Türen. Aus den zahlreichen Einladungen zum Essen und in literarische Salons wurde nach dem Tod von Huysmans mehr und mehr eine missionarische Sendung, die er nicht geplant hatte, die ihm aber einfach zuwuchs, weil immer mehr Literaten und Persönlichkeiten aus dem Adel oder der arrivierten Bourgeoisie seine Nähe und seinen Rat suchten. Unter den schillernden Persönlichkeiten waren die Fürstin Wittgenstein, Fürstin Marthe Bibesco, Comtesse Francois de Castries, Maurice Barrès, Anna Noailles, Colette und selbst Anatole France, der Antiklerikale, den er im Salon von Madame Arman de Caillavet traf. Das brachte ihm schließlich den Ehrentitel eines “Beichtvaters von ganz Paris” ein.

“Leises Apostolat “in homöopathischen Dosen”

Mugnier sprach selbst von einem leisen Apostolat in “homöopathischen Dosen”, das offenbar geduldig und nachhaltig seine Wirkung entfaltete. Wie viel Huysmans auf seinem Konversionsweg dem Abbé verdankte, ist in der Widmung zusammengefasst, die er ihm in ein Exemplar von “En route”, der Geschichte seiner Konversion, geschrieben hat: “Für den, der mein Leben in zwei Teile geteilt hat.” Die zweite bedeutende literarische Persönlichkeit, die Mugnier neben vielen anderen zur Konversion führte, war die rumänisch-französische Schriftstellerin und Fürstin Marthe Bibesco. Nicht nur in Huysmans Roman “En route” figuriert Mugnier unter dem Namen Gévresin als einfühlsame Priestergestalt, auch in zahlreichen weiteren Romanen der Zeit ist er als Vorbild für die darin auftreten Priester zu erkennen. Abbé Mugnier verkörperte sicherlich, was Erzbischof Georg Gänswein folgendermaßen beschrieb: “Wer den Glauben intelligent, überzeugend und mit einem Schuss Humor lebt, ist ein ‘schweigsamer’, aber sehr wirksamer Zeuge.” Bei allem mondänem Umgang vernachlässigte der Abbé nicht die einfachen Leute, die ihm anvertraut waren, und suchte sie in ihren ärmlichen Wohnungen auf, etwa um Kranken die Kommunion zu bringen oder um einem Blinden Gesellschaft zu leisten und ihm vorzulesen.

Abbé Mugnier entfaltete mit seinem über 75 Jahre geführten Tagebuch auch ein eigenes literarischen Leben. Die darin detailliert dokumentierten Gespräche bei den Gesellschaften, zu denen er eingeladen war, sind eine Fundgrube, denn neben dem aufgeschnappten Klatsch findet sich viel Erhellendes über das Schaffen und Leben der Schriftsteller, mit denen er Umgang hatte. Er gilt daher auch als eine Art Eckermann der französischen Literatur.

Der Autor des Artikels ist Übersetzter des letzten Buches von Huysmans: “Lourdes – Mystik und Massen“, Lilienfeld Verlag, Düsseldorf 2020. Er bereitet derzeit für denselben Verlag eine Huysmans-Biografie vor, die Auszüge aus Abbé Mugniers Tagebüchern bringen wird.

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